Weltimpfwoche
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Weltimpfwoche

„Impfen muss man ein Leben lang!"

65,1 Prozent der Weltbevölkerung sind mittlerweile gegen Sars-CoV-2 geimpft. Neben der omnipräsenten Coronavirusbekämpfung der letzten beiden Jahre gibt es aber nach wie vor eine Vielzahl an Infektionskrankheiten, die längst nicht ausgerottet sind oder neuerdings wieder im Verdacht stehen, fröhliche Urständ feiern zu können, Stichwort Masern. Vakzine gibt es momentan gegen rund 20 lebensbedrohliche Krankheiten wie Diphterie, Malaria oder Meningitis, die WHO spricht von dadurch rund 3,5 Millionen vermiedenen Todesfällen.

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„Der Impfkalender in Österreich zeigt: Wir impfen vor allem bis 15 Jahre, danach nur noch wenig im Abschnitt 15-50 Jahre und ebenso wenig im Abschnitt über 50 Jahre.“ Diese eher ernüchternde Erkenntnis präsentierte die Immunologin Birgit Weinberger bei einer Podiumsdiskussion, die unter dem Motto „Krankheitsprävention durch Impfen: Privatsache oder gesundheitspolitische Aufgabe?“ stand. Ein Mitgrund dafür ist laut Weinberger auch die fehlende Zuständigkeit: „Die Frage ist ja: Wer impft ältere Menschen? Bei Kindern ist das der Kinderarzt, meist im Rahmen der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen. Aber das Thema Impfen kommt bei der Gesundenuntersuchung nicht explizit vor. So richtig ist niemand für die Impfung von Erwachsenen zuständig, da fehlt es an Logistik, und das merkt man an den Durchimpfungsraten der Älteren.“

Auch mangelndes Bewusstsein für die Gefahren etwa von Influenza oder Gürtelrose gerade für Ältere, sprich über 50-Jährige, trägt zu den im Europavergleich niedrigen Impfraten bei. Nur 20 Prozent der älteren Österreicher sind etwa gegen Influenza geimpft, in der Gesamtbevölkerung liegt die Quote noch einmal deutlich niedriger, bei nicht einmal zehn Prozent. Zudem droht durch Rückgänge von Impfraten vor allem bei vor allem bei Masern-Mumps-Röteln und Keuchhusten die Gefahr von größeren Ausbrüchen, wie es bereits 2008 einen größeren Masernausbruch mit mehreren hundert Infizierten gegeben hatte. „Von 1.000 erkrankten Kindern sterben bei Masern drei", warnte die Kinderärztin Daniela Kasparek kürzlich in einer Pressekonferenz der ÖVIH (Österreichischer Verband der Impfstoffhersteller). Es gäbe deutliche Impflücken in der Bevölkerung, denn impfen müsse man ein Leben lang, so die Medizinerin. Gerade die vergessenen Krankheiten, die durch die Impfung so effizient bekämpft wurden und deswegen unsichtbar sind, könnten dadurch ein Comeback erleben.

Stagnierende Zahlen und Impflücken

Bevor die Corona-Pandemie die Welt traf, stagnierte die Dreifachimpfung für Kinder, also gegen Diphterie, Tetanus und Keuchhusten, global gesehen bei 85 Prozent. 2020, im ersten Pandemiejahr, sank die Impfquote bei Kindern bezüglich der Dreifachimpfung auf 83 Prozent, die WHO spricht von 23 Millionen Kindern, die diese verpasst haben; um 3,7 Millionen Kinder mehr als noch 2019. Die Zahl völlig ungeimpfter Kinder liegt laut WHO-Zahlen bei 3,4 Millionen weltweit.

Viele der Impflücken klaffen dabei auf dem afrikanischen Kontinent auf, zudem ist dort Malaria nach wie vor ein großes Thema: 95 Prozent  der rund 241 Millionen weltweiten Malariafälle traten 2020 in Afrika auf, ein Anstieg im Vergleich zu 2019 um 14 Millionen Fälle. Auch die Mortalität stieg stark, um 12 Prozent auf 627.000 Tote. Mehr als zwei Drittel des Anstiegs sei auf die Corona-Pandemie zurückzuführen, weil Menschen nicht in Kliniken kamen, heißt es im Welt-Malaria-Bericht 2021.

Licht am Ende des Tunnels

Gute Nachrichten gab es allerdings vergangenen Herbst, die WHO sprach gar von einem Meilenstein: Der Malaria-Impfstoff RTS,S, der erste seiner Art, wurde zum Einsatz empfohlen. Ein halbes Jahr später ist das Fazit ermutigend: Dort, wo Kinder in der Pilotphase mit RTS,S geimpft wurden, traten innerhalb einer zweijährigen Zeitspanne um 30 Prozent weniger Fälle mit schwerem Verlauf auf, diese Kinder mussten also nicht ins Spital. Die WHO spricht von 40.000 bis 80.000 Leben, die damit gerettet werden können, sobald der Impfstoff breit eingesetzt werden kann. Am stärksten von der Krankheit betroffen sind die Länder südlich der Sahara. Zudem hatte das Mainzer Unternehmen Biontech angekündigt, an einem Malaria-Impfstoff auf mRNA-Grundlagen zu arbeiten. Biontech hat bekanntlich mit Comirnaty bereits einen effizienten mRNA-Impfstoff gegen Sars-CoV-2 entwickelt.

Apropos: In der EU sind mit zumindest zwei Stichen gegen die Coronainfektion im April 2022 72,6 Prozent der Bevölkerung versorgt. 53,1 Prozent sind geboostert, haben also den Drittstich als Auffrischung erhalten. Weit vorne bei der Impfquote liegt etwa Portugal mit 85,7 Prozent Zweitstichen und 52,1 Prozent Geboosterten, auch Frankreich, Spanien oder Finnland haben Quoten, die bei den Zweitstichen an die 80 Prozent heranreichen oder im Falle Frankreichs sogar darüber liegen. Geschafft hat der eben wiedergewählte Präsident Emmanuel Macron das vorrangig über Druck, den die Franzosen gelten als eher impfskeptisch, gerade die Corona-Impfung kam zu Beginn nicht gut an. Macron hatte also schon vergangenen Herbst mit einer Impfpflicht etwa für das Gesundheitspersonal oder Beschäftigte in der Gastronomie aufhorchen lassen und generell recht restriktiven Maßnahmen umgesetzt. In Österreich, das ähnlich strenge Maßnahmen wie Frankreich umgesetzt hat, sind allerdings nur 74,2 Prozent der Menschen zumindest mit einem Zweitsich versorgt, 58 Prozent sind geboostert.

Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, sieht Impfen jedenfalls generell als Vertrauenssache an und plädiert für eine Aufwertung der Rolle des klassischen Hausarztes: „Ich bin überzeugt davon, dass ein Hausarzt, als Arzt des Vertrauens, am besten von Impfungen überzeugen kann. Man hat in dieser Pandemie zu sehr auf die Impfstraßen und zu wenig auf die Hausärzte gesetzt. (...) Es braucht einen niederschwelligen Zugang zu idealerweise kostenlosen Impfungen“, meint er in der eingangs erwähnten Podiumsdiskussion, die sich um die Frage des Impfen als Privatsache oder gesundheitspolitischer Aufgabe drehte. Die Antwort darauf wird weiterhin verlässlich die Gemüter erhitzen.

Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

ÖVIH

WHO

Kinderimpfungen

Impfungen für Schulkinder und Jugendliche

 

 

 

 

Birigit Weinberger
Birgit Weinberger vom Institute for Biomedical Aging Research an der Universität Innsbruck wünscht sich unter anderem eine bessere Impfzuständigkeit.
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Daniela Kasparek
Kinderärztin Daniela Kasparek (Mitte) sieht Impfen als lebenslange Aufgabe.
Uta Müller-Carstanjen_FINE FACTS
Thomas Szekeres
Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, baut auf Hausärzte als Vertrauenspersonen rund um das Thema Impfung.
GlaxoSmithKline Pharma GmbH_APA-Fotoservice_Godany
 
© medinlive | 20.04.2024 | Link: https://app.medinlive.at/index.php/gesundheitspolitik/impfen-muss-man-ein-leben-lang