Versorgungsengpass

Transgender-Ambulanz stößt an ihre Grenzen

Trotz steigender Patientenzahlen muss das Wiener AKH die Ambulanzzeiten in der Transgender-Ambulanz deutlich reduzieren. Darüber hinaus bestehen Bestrebungen, die Abteilung zur Gänze aufzulassen, warnt Christian Egarter, Leiter der für die Ambulanz zuständigen Abteilung, gegenüber „medinlive“.

Claudia Tschabuschnig

Transgender Personen haben das Gefühl im falschen Körper zu leben. Sie können sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren. Eine Angleichung ist für Betroffene meist der einzige Weg zu ihrer wahren Identität. Viele Transgender nutzen dafür hormonelle und/oder chirurgische Therapieoptionen. In der Transgender-Ambulanz des AKH Wien wurden im vergangenen Jahr mehr als 700 Mann-zu-Frau und 600 Frau-zu-Mann Personen mit gegengeschlechtlicher Therapie kontrolliert.

Doch die Spezialambulanz stößt an ihre Kapazitätsgrenzen. Woran das liegt und welche Entwicklungen es zuletzt bei der Versorgung von Transgender- und Intersexuellen Personen in Österreich gab, schildert Christian Egarter, Leiter der für die Ambulanz zuständigen Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie & Reproduktionsmedizin im Gespräch mit „medinlive“.

medinlive: Herr Dr. Egarter, wie kommt es zu dem Versorgungsengpass in der Ambulanz?

Egarter: In der Transgender-Ambulanz haben wir in den letzten Jahren einen massiven Frequenzanstieg beobachtet, vermutlich durch die zunehmende gesellschaftliche Liberalisierung dieses Themas und den erleichterten Zugang zu entsprechenden Spezialambulanzen bedingt. Gleichzeitig hat die Gemeinde Wien aufgrund überbordender Frequenzen beschlossen, diese zu reduzieren. Das AKH hat als Universitätsspital dann auch noch zusätzlich den Auftrag der MedUni Wien noch einmal die Ambulanzzahlen zu reduzieren. Wir müssen also den gigantischen Frequenzanstieg in Einklang mit den offiziellen Aufträgen der Gemeinde und der MedUni Wien bringen und etwa die Ambulanzzahlen um ein Drittel reduzieren . Wohin sollen aber die betroffenen Menschen gehen? Wir sind die größte Transgender-Ambulanz in Österreich und die nächst größere ist in München. Darüber hinaus bestehen Bestrebungen, unsere Abteilung überhaupt aufzulassen, was vermutlich massive Probleme für Transgender-Personen, aber auch für andere Hormonbehandlungen, die wir hier auch durchführen, nach sich ziehen würde. 

medinlive: Welche Auswege sehen Sie für diese Problematik? 

Egarter: Wir versuchen verstärkt niedergelassene Ärztinnen und Ärzte zu finden, die sich mit dieser recht komplexen Thematik anfreunden können. Hormontherapien sind grundsätzlich nicht ganz ungefährlich. Für die gegengeschlechtliche Hormontherapie muss man ein spezifisches Basiswissen mitbringen. Die Idee ist nun, bei uns den Maßnahmenkatalog und die Therapie vorzugeben und Kontrollbesuche an interessierte, spezialisierte Ärztinnen und Ärzte im niedergelassenen Bereich auszulagern. Dafür haben wir nun ein paar Mediziner an der Hand und hoffen, dass wir noch mehr hier begeistern können. Einen anderen Ausweg sehe ich nicht. 

medinlive: Was würde die Anbindung der Transgender-Ambulanz an eine andere Abteilung für die Ausbildung von Medizinern bedeuten?

Egarter: Bei einer massiven Einschränkung wäre dieser Schritt für die Ausbildung besonders deletär. Denn wir sind eines von 14 Zentren in ganz Europa, die als Ausbildungszentrum zertifiziert sind. Damit würde zunehmend Expertise in Bezug auf die Lehre der zukünftigen Mediziner verloren gehen. Die Endokrinologie ist ohnehin schon eine Art Flaschenhals in der Ausbildung für Geburtshilfe und Gynäkologie. Weil wir so klein sind, haben wir eine lange Warteliste für auszubildende Kollegen aus dem eigenen Haus und auch für Kollegen aus anderen Spitälern. 

medinlive: Wie wirkt sich der Engpass konkret auf die Patienten aus?

Egarter: Die Wartezeiten werden immer länger. Auf einen Termin in der Hormonambulanz müssen Patienten dzt. ungefähr fünf Monate warten, Operationen sind schneller möglich. Wir führen ungefähr zwölf bis 20 operative Eingriffe bei Transgender Personen pro Jahr durch. In der Praxis findet die operative Angleichung von Frau zu Mann nach Vorlage von Gutachten und der Übernahmeerklärung der Krankenkasse bezüglich der Kosten statt. Die Empfehlung von Experten ist es zudem, dass die Person ein Jahr im gegenteiligen Geschlecht leben soll, da der Transitionsprozess naturgemäß mit einer großen Veränderung verbunden ist.

medinlive: Welche operativen Schritte werden bei Transgender-Operationen durchgeführt?

Egarter: Bei der Umwandlung von Frau zu Mann wird zunächst das innere Genital entfernt, die Eierstöcke und die Gebärmutter. Dann werden in derselben Operation oder in einem zweiten Schritt die Brüste abgenommen und meist die Mamillen entsprechend repositioniert. Die weiteren operativen Schritte werden dann von der plastischen Chirurgie durchgeführt. Hierbei gibt es nicht viele Anbieter, aber das Kollektiv ist gut vernetzt. Viele PatientInnen fahren z.B. nach München. Die Umwandlung von Mann zu Frau ist primär ein Thema für Urologen und/oder plastische Chirurgen. Auch hierfür gibt es derzeit Experten in München. Das heißt bei uns bekommen die Patienten die ersten Schritte inklusive der Hormonbehandlung. Manche wollen aber auch keine weiteren Schritte machen. Sie wollen z.B. nur, dass die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale entfernt werden und dann nicht weiter in die Gegenrichtung gehen. Die angleichende Geschlechtsanpassung, wie die Bildung einer Neovagina oder ein Phaloid sind klarerweise durchaus komplex, die Nebenwirkungsrate ist hoch, auch was die Funktionalität betrifft. Hierfür gibt es wenige Spezialisten. Und wenn sich jemand diese Expertise aneignet, macht es Sinn, sich zentral in einem Bereich zu organisieren, in dem eine ausreichende Frequenz an Operationen besteht, damit diese Expertise auch gehalten werden kann. Das ist derzeit wie gesagt z.B. in München der Fall. 

medinlive: Ein Thema, das im Bereich von Transgender diskutiert wird, ist, ab wann Patienten tatsächlich irreversiblen Schritten unterzogen werden sollten. Wie ist ihre Einstellung dazu?

Egarter: Tendenziell werden die Patienten jünger, weil das gesellschaftliche Umfeld entsprechend liberaler ist. Ich bin aus verschiedensten Gründen allerdings dagegen, eine Geschlechtsumwandlung präpubertär durchzuführen, wie es bereits z.T. in Holland gemacht wird. Das halte ich aus zwei Gründen für nicht ideal: Zum einen sind die operativen Ergebnisse meist schlechter. Wenn ich zu wenig in Richtung Ausbildung der sekundären Geschlechtsorgane gehe, ist das operationstechnisch komplizierter, weil ich oft zu wenig Gewebe für die Schritte hab. Zum anderen gibt es Studien zufolge in der Pubertät oft eine gewisse Ambivalenz, was das eigene Geschlecht betrifft. Wenn man nun zu früh diesen irreversiblen operativen Prozess startet, habe ich sicher eine Erhöhung der Rate an Betroffenen, die im Nachhinein womöglich die Operation bereuen. Das will ich unter allen Umständen verhindern. Die untere Grenze für eine Geschlechtsumwandlung liegt bei uns bei 16 Jahren bis 18 Jahre, da dann der Betroffene auch aus legistischer Sicht zustimmungsfähig ist. Das empfiehlt letztlich auch die Bioethikkommission, die sich vor zwei Jahren ausführlich mit diesem Thema befasst hat und deren Mitglied ich bin. 

medinlive: Welche Alternativen haben betroffene Jugendliche?

Egarter: Man könnte in dieser zum Teil belastenden Situation für den betroffenen Jugendlichen eventuell überlegen, ob man die Pubertät hinauszögert. Das kann man relativ einfach durch entsprechende Injektionen. So könnte man die Entscheidung verschieben bis ein Alter erreicht wird, wo der Patient auch zustimmungsfähig wird und selbstbestimmt nach umfassender Aufklärung alle Vor- und Nachteile abwiegen kann.

medinlive: Welche weiteren Entwicklungen haben Sie beobachtet?

Egarter: Was in den letzten Jahren verstärkt diskutiert wird, ist das Thema Fertilitätserhalt. Es ist durch die Menschenrechte vorgegeben, dass die Fertilität ein zentraler Punkt ist, was die Würde des Menschen betrifft. Deswegen müssen entsprechende Optionen unbedingt mit Betroffenen diskutiert werden. Derzeit ist es nach wie vor so, dass sich viele nicht dazu entschließen beispielsweise Gonadengewebe, also Hoden oder Eierstöcke, zu konservieren. Auch weil die Konstellationen später nicht ganz einfach sein können.

medinlive: Welche möglichen Konstellationen sehen Sie?

Egarter: Schwierig ist es beispielsweise bei einer späteren homosexuellen Konstellation von einem cis-Mann und einem Transmann. Von dem Transmann habe ich Eierstöcke gelagert, könnte aber nur über eine Leihmutterschaft ein Kind erzeugen. Dazu müsste ich von den eingefrorenen Eierstöcken Eizellen auftauen und befruchten. Am einfachsten wäre ein lesbisches Paar aus einer cis-Frau und Trans-Frau. Hier hat man ggf. eingefrorene Samenzellen der Trans-Frau und eine Gebärmutter der cis-Frau. Ich bräuchte nur den Samen auftauen, die Frau befruchten und hätte ein genetisch eigenes Kind. Bei heterosexuellen Konstellationen verhält es sich ähnlich. Wenn ich zweimal Spermien bzw. Hoden habe, brauche ich eine Eizellspende und eine Leihmutter. Wenn ich zweimal Eierstöcke habe, brauche ich eine Samenspende. Die Kinder wären dann nicht mehr genetisch mit den Eltern verwandt. Viele Transgender Personen und insbesondere die meisten Jugendlichen sind oft überfordert, wenn man sie mit dieser zusätzlichen Thematik konfrontiert.

medinlive: Welche Folgen hat es für der Betroffenen, wenn die Transidentität unterdrückt wird?

Egarter: Eine Transgender-Situation ist meist eine extrem belastende psychologische Situation. Es kommt auch nicht selten zu Komorbiditäten. Darum ist es in meinen Augen wichtig, ein entsprechendes psychiatrisches Gutachten zu haben, in dem diese Aspekte geklärt sind. Sehr häufig leiden Betroffene auch unter anderen psychosozialen Belastungen, beispielsweise Drogen- und Alkoholprobleme. Dieses Thema muss man interdisziplinär behandeln, sprich: Zentren kreieren, die bei Bedarf auf entsprechende andere Disziplinen zurückgreifen können. Dieser Punkt wird auch von der Bioethikkommission gefordert, damit man Behandlungsmöglichkeiten in alle Richtungen habe.

medinlive: Bemerken Sie eine Enttabuisierung der Transidentität-Thematik?

Egarter: Absolut. Durch die generelle Liberalisierung wird es einfacher für Betroffene sich zu outen und entsprechende ambulante oder operative Hilfe zu suchen. Was natürlich nicht heißt, dass Betroffene nicht gelegentlich angefeindet werden. Hierfür gibt es auch die Vorgabe der EU, transphobe Hassverbrechen legistisch möglichst einzudämmen. 

medinlive: Um nun auch auf das Thema Intersexualität zur Sprache zu kommen. Mit welchen Herausforderungen sind Mediziner in der Indikationsstellung bei der Geschlechtsentwicklung von Kindern konfrontiert? 

Egarter: Da die Entwicklung eines Menschen in der frühen Schwangerschaft in ein bestimmtes Geschlecht mit einer indifferenten Ausgangslage beginnt und das ein komplexer Mechanismus ist, kann man sich vorstellen, dass es hier zu Störungen sowohl des chromosomalen, des gonadalen, des anatomischen, des hormonellen, aber auch des psychischen, erotisch-emotionalen und auch später des soziale Geschlechts kommen kann., Die Prävalenz der Interesexualität, also der nicht eindeutign Zuordnung zum weiblichen oder männlichen Geschlechts bei der Geburt liegt bei etwa 1 auf 2.000 bis 4.000 Neugeborenen; in Österreich werden also 20 bis 40 Intersexuelle pro Jahr geboren. Die Bioethikkommission und europäische und internationale Leitlinien empfehlen, dass man sich so weit als möglich zurückhalten soll, was geschlechtsangleichende irreversible Schritte betrifft, weil man weiß, dass gelegentlich das falsche Geschlecht gewählt wird. Dann gibt es aber auch Konstellationen, wo man medizinisch gar nicht anders kann, beispielsweise, wenn der Zustand lebensbedrohlich ist. 

medinlive: Wie entsteht Intersexualität?

Egarter: Durch Fehlentwicklungen in der Geschlechtsentwicklung aus der indifferenten Ausgangssituation. Ein in Relation nicht unbedeutender Teil der Intersexualität - das Adrenogenitalsyndroms - ist ein hormonelles Syndrom, bei dem es durch Enzymdefekte zu einem Überhang an männlichen Hormonen schon während der Entwicklung im Mutterleib kommt und speziell bei weiblichen Föten zu einer Androgenisierung sprich zu einer Ausbildung von männlichen äußeren Geschlechtsmerkmalen kommt. Das ist insofern ein anderes Kollektiv, da es sich um weibliche Individuen handelt, die später meist auch nicht als Männer leben wollen. Grundsätzlich ist es aber auch hier vernünftig, sich mit irreversiblen Schritten soweit wie möglich zurückzuhalten bis zu einem Lebensalter, wo mit einer Perzeption und letztlich Zustimmung auch von der betreffenden Person gerechnet werden kann, sprich bis 14 oder 16 Jahre. Früher wurde propagiert möglichst frühzeitig angleichende Operationen durchzuführen, dabei wurden oft nicht einmal die Eltern informiert. Das ist in meinen Augen heute absolut kein gangbarer Weg mehr. 


Die Transsexuellen-Ambulanz und TransX, ein in Wien ansässiger Verein von und für Transgender-Personen suchen dringend Ärztinnen und Ärzte, insbesondere aus den Fachrichtungen der Endokrinologie, Gynäkologie, Urologie und Allgemeinmedizin, die sich in der Lage sehen, eine geschlechtsangleichende Hormontherapie fachgerecht einzuleiten bzw. eine solche zumindest weiter zu betreuen.

Egarter
Univ. Prof. Dr. Christian Egarter, Leiter der klischen Abteilung Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin im AKH Wien.
Privat