Transfusionsmedizin

Revolution durch Gensequenzierung

In der Transfusionsmedizin bahnt sich eine Revolution an. Die Bestimmung der Blutgruppe könnte zukünftig häufiger automatisiert von Gensequenziermaschinen übernommen werden. Das sollte häufige Bluttransfusionen sicherer machen, stellte jetzt die Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI) anlässlich ihrer kommenden Jahrestagung Mitte September fest.

red/Agenturen

Es gibt deutlich mehr Blutgruppen als diejenigen, die man aus dem normalen Blutspenderausweis (A, B, AB, 0) kennt.  „Die International Society of Blood Transfusion unterscheidet mittlerweile 45 verschiedene Blutgruppen. Berücksichtigt man die verschiedenen Varianten der einzelnen Blutgruppen-Gene, ergeben sich sogar 360 verschiedene Blutgruppen“, schrieb die deutsche Fachgesellschaft der Transfusionsmediziner. Für viele Patient:innen sind diese oft minimalen Unterschiede nicht relevant. Es gibt aber auch Problemfälle.

„Wenn die Blutspende nicht zur Blutgruppe des Empfängers passt, bilden manche Empfänger Antikörper“, erläuterte Christof Weinstock vom Institut für Klinische Transfusionsmedizin und Immungenetik der Universität Ulm. Die Antikörper lösen dann nach einer Transfusion eine Immunabwehr gegen die fremden Blutzellen aus und zerstören sie. „Diese sogenannte Hämolyse ist eine schwerwiegende Komplikation, bei der rote Blutzellen (...) abgebaut werden, die für den Sauerstofftransport im Blut zuständig sind. Deshalb ist die passgenaue, automatisierte Bestimmung der Blutprodukte ein enormer medizinischer Fortschritt“, betonte der Experte.

Insbesondere bei Menschen, die häufig eine Bluttransfusion benötigen, bringe das neue Verfahren Fortschritte. Dies ist zum Beispiel bei Personen der Fall, die an einer Sichelzellanämie leiden. Bei dieser Erkrankung zerfallen die roten Blutkörperchen der Erkrankten vorzeitig, es kommt zu einer Anämie (Blutarmut), sodass sie häufig auf Bluttransfusionen angewiesen sind.

Höheres Risiko für Transfusionsreaktion bei Sichelzellanämie

„Wenn Patient:innen das erste Mal eine fremde Blutgruppe erhalten, kann es zur Bildung von Antikörpern kommen. Studien deuten darauf hin, dass Sichelzellanämie-Patient:innen einem höheren Risiko ausgesetzt sind als andere, Antikörper gegen bestimmte Blutgruppenantigene zu bilden“, sagte Weinstock. „Wir sprechen dann von einer Alloimmunisierung. Wenn die Patient:innen nach einiger Zeit erneut eine Transfusion mit derselben Blutgruppe erhält, kann es zu einer lebensgefährlichen Transfusionsreaktion kommen. Todesfälle sind glücklicherweise selten, doch die Alloimmunisierung ist ein häufiges Problem für Menschen, die regelmäßig Bluttransfusionen benötigen.“

Etwa 30 Prozent aller Menschen, die von einer Sichelzellanämie betroffen sind, entwickeln im Verlauf ihres Lebens eine Alloimmunisierung. „Die Blutbanken stellt dies immer wieder vor Probleme“, wurde der Ulmer Experte in einer DGTI-Aussendung zitiert. Eine Erleichterung verspricht sich der Transfusionsmediziner von der Gensequenzierung. Sie liefert detaillierte Informationen über die Antigene, die für eine allfällige Immunreaktion verantwortlich sind. Die Kosten für die Untersuchung sind in den vergangenen Jahren stark gesunken. Mit dem  „Next-Generation Sequencing „ ist es möglich, alle Gene gleichzeitig zu analysieren. „Durch die Genotypisierung sparen wir viele zeitaufwändige serologische (Einzel-)Tests (Antikörper-basierte Bluttests; Anm.), die Mehrkosten werden sich in Grenzen halten“, sagte Weinstock.

Bei sehr seltenen Blutgruppen kann es auch schwierig sein, das passende Blutprodukt zu finden. Bisher mussten die Blutbanken viele einzelne Labortests durchführen, wenn ein solcher Patient eine Transfusion benötigte. Auch bei der Auswahl von Stammzellspendern kommt es auf die Passgenauigkeit zwischen Spendern und Empfängern an, um Abstoßungsreaktionen zu verhindern.  „Die Genotypisierung hilft bei der Bestimmung zahlreicher Merkmale und verbessert damit die Verfügbarkeit passender Präparate für Patient:innen mit bestimmten Antikörpern. Durch die Vernetzung der einzelnen Blutbanken werden wir auch für die anderen Blutgruppen Spender finden“, zeigte sich DGTI-Präsident Holger Hackstein von der Universitätsklinik Erlangen optimistisch.

 

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