Streik bei Deutschlands HNO-Ärzt:innen

Die Lage bleibt festgefahren

Es war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Eine Kürzung der Honorare für bestimmte Kinder-OPs löst bei den deutschen HNO-Ärzt:innen einen Streik aus. Doch selbst viele Eltern haben Verständnis. Denn was zunächst nach banaler Gier klingt, ist viel komplexer.

red/Agenturen

Ein Streit ums Geld, bei dem die Ursachen viel tiefer liegen, sorgt momentan für Unruhe in der deutschen Ärzteschaft und bei vielen Eltern. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die als Dachverband für alle Finanzfragen bei der Versorgung von Kassenpatienten zuständig ist, hatte im Dezember festgelegt, dass für bestimmte Eingriffe nur noch rund 107 statt wie zuvor 111 Euro fließen. Andere OPs wurden dagegen aufgewertet. Die HNO-Ärzte beklagen, dass die Eingriffe zum Entfernen von sogenannten Polypen und zum Setzen von Paukenröhrchen schon vorher miserabel bezahlt gewesen seien. Nach der Abwertung seien sie nun vielerorts nicht mehr wirtschaftlich.

Schon jetzt böten viele Ärzt:innen die Leistung deshalb nicht mehr an, argumentiert der Berufsverband der HNO-Ärzte, der mit dem Streik nach eigenem Bekunden als letztes Mittel auf das seit langem bekannte Problem aufmerksam machen will. Er sieht die Versorgung der Kinder in der Zukunft gefährdet.

Verlust von Expertenwissen im pädiatrischen Bereich

Unterm Strich seien den Operateuren schon bisher im Schnitt nur etwa 10 bis 20 Euro vor Abzug von Steuern und Altersvorsorge als Honorar geblieben. „Wenn Sie Kinder operieren, machen Sie in der Regel hauptsächlich das, dann haben Sie ihre ganzen Abläufe darauf eingestellt“, schildert Verbandspräsident Jan Löhler. „Deswegen hilft das den Kinderoperateuren wenig, wenn irgendwelche anderen Operationen aufgewertet werden.“ Die Folge: Viele orientierten sich um, Expertenwissen bei Ärzt:innen wie Kinderanästhesisten gehe verloren.

In Hamburg etwa sei die Zahl der Mandel- und Mittelohroperationen binnen drei Jahren um 76 Prozent eingebrochen, berichtet der Verband unter Berufung auf Abrechnungszahlen. Die Zahl der operierenden HNO-Ärzt:innen sei vom zweiten Quartal 2019 bis zum zweiten Quartal 2022 von 50 auf 20 gesunken. In Baden-Württemberg gingen die ambulanten Kinder-OPs demnach um fast 53 Prozent zurück, die Zahl der Operateure um fast 29 Prozent. In Bayern fiel die Gesamtzahl der HNO-Eingriffe bei Kindern in diesem Zeitraum - und damit ohne Corona-Effekte - um knapp 32 Prozent, die der operierenden Ärzt:innen dieser Leistungen um rund 22 Prozent.

Nach einer Umfrage des Verbands müssen betroffene Kinder schon jetzt in weiten Teilen Deutschlands mehr als drei Monate auf einen Termin warten. Mit Folgen: Vergrößerte Gaumen- und Rachenmandeln können etwa zu Atemstörungen mit Atemaussetzern und Schlafstörungen führen. Besteht ein Paukenerguss - eine Flüssigkeitsansammlung hinter dem Trommelfell - längere Zeit fort, können sich gerade bei Kleinkindern Sprach- und Sprechentwicklung verzögern.

Die Kinder hören schlecht, reagieren nicht oder unpassend, ihre Aussprache wirkt oft verwaschen. „Mit dem gedämpften Gehör muss man sich mehr anstrengen. Manche Kinder werden auch unruhig, weil sie merken, sie hören nicht gut. Das nervt sie unterschwellig, aber sie können das nicht bewusst reflektieren, zumal es ja auch nicht weh tut“, schildert Susanne Daniel, Leiterin des Arbeitskreises Hörschädigung im Bundesverband Logopädie, die Folgen.

Spracherwerb und soziale Interaktionen erschwert

Auch das Miteinander kann erschwert sein. „Wenn man nicht weiß, warum das Kind nicht reagiert, kann man auch denken, das will nicht hören“, weiß Daniel aus Erfahrung. „Dabei macht das Kind das gar nicht absichtlich.“ Besonders gravierend wirke sich die Situation auf Kinder aus, die Deutsch nicht als Muttersprache hätten.

Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen hatte den auf unbestimmte Zeit ausgerufenen Streik des Berufsverbands, dem sich nach einer internen Umfrage rund 85 Prozent der ambulanten Operateure im Verband anschließen wollten, deshalb als „maßloses und unethisches Handeln“ gegeißelt. „Wir wehren uns, dass der Streit ums Geld auf dem Rücken von Kindern ausgetragen wird“, sagte ein Sprecher.

Eine mögliche Lösung der festgefahrenen Situation schien die Aufnahme der OPs in den neuen Bereich der sogenannten „Hybrid-DRGs“ mit einer umfassenderen Finanzierung der Leistung - doch die bis Ende März geführten Verhandlungen scheiterten. Nun könnte ein Machtwort des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) Abhilfe schaffen. „Die Option der Ersatzvornahme wird derzeit im BMG geprüft“, heißt es dazu auf Anfrage. Doch nachdem vor einer etwaigen Rechtsverordnung bis zu sieben Institutionen zuarbeiten müssen, liegt die Vermutung nahe, dass das Warten für die Kinder und ihre Familien noch andauern wird.

 

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