Reportage
Louisebus

„Entwicklungshilfe“ in Österreich

Die fahrbare Minipraxis auf vier Rädern, der Louisebus der Caritas, ermöglicht seit 25 Jahren ärztliche Erst- und Notversorgung für wohnungs- und obdachlose Menschen – auch ohne Krankenversicherung. Hier bekommen sie Medikamente, eine sinnvolle Behandlung und viel Verständnis.

kmc
Louisebus
Im Louisebus bekommen Menschen ohne Krankenversicherung medizinische Hilfe.
Stefan Seelig
„Obdachlos zu sein und das ganze Leben mehr oder minder auf der Straße im Freien zu verbringen, hat auch Folgen für die Gesundheit."

Bevor der Dienst der Ärztin Monika Stark im Louisebus überhaupt erst anfängt, bringt sie einige blaue Ikea-Säcke voll mit gespendeten Handtüchern, Kleidungsstücken und Kosmetiksachen in das Tageszentrum der Caritas im 4. Wiener Gemeindebezirk, wo der Louisebus immer am Donnerstagvormittag Station macht. „Die Sachen habe ich von meinen Patienten in der Ordination, wo ich immer wieder einen Aufruf für Sachspenden starte“, erklärt die Allgemeinmedizinerin, die eine Kassenpraxis in Niederösterreich hat. „Viele haben beispielswiese eine Unmenge alter Handtücher in ihren Kästen und wissen gar nicht wohin damit. Hier werden sie dringend gebraucht.“ Die Ärztin arbeitet seit 2001 für den Louisebus und hilft einmal in der Woche Menschen ohne Krankenversicherung, eine meist dringend notwendige medizinische Betreuung zu bekommen.

Organisationstalent gefragt

Man merkt, dass Monika Stark diese Arbeit mit großem Engagement und Leidenschaft macht, und dass es ihr vor allem um die Menschen hier geht. „Ich kenne die meisten Patienten und ihre Probleme schon sehr lange.“ Oft seien es mehrfache Erkrankungen in einem fortgeschrittenen Stadium, da die Patienten schon länger nicht mehr in medizinischer Behandlung gewesen sind: Denn obdachlos zu sein und das ganze Leben mehr oder minder auf der Straße im Freien zu verbringen, hat auch Folgen für die Gesundheit. Doch meist scheuen sich die Betroffenen, im Krankheitsfall eine Ärztin, einen Arzt oder ein Krankenhaus aufzusuchen, weil sie sich über ihren Zustand schämen und weil sie oft nicht krankenversichert sind.

So kommen beispielsweise an diesem Vormittag ein Mann mit dem Multibefund von Diabetes, erhöhtem Blutdruck und einer chronischen Gastritis zur Behandlung, oder ein Patient mit zwei kaputten Knien, verursacht durch seine dreißig Jahre lange Arbeit als Fliesenleger. Nicht ohne Stolz erzählt die Ärztin, dass es durch viel Herumtelefonieren und Beziehungen sogar gelungen ist, dass dieser Patient eine neue Hüfte bekommen hat. Keine Selbstverständlichkeit, wie man aus ihrer Erzählung heraushören kann.

Mediziner dringend gesucht

Überhaupt besteht die Arbeit im Louisebus hauptsächlich aus Organisieren und Herumtelefonieren. Medikamente und medizinische Hilfsmittel, wie beispielsweise Kompressionsstrümpfe, sind zwar teilweise im Bus vorhanden und werden direkt an die Patienten weitergereicht, aber manches muss erst organisiert werden. Große Hilfe bei diesem Organisationsaufwand sind auch die freiwilligen Helfer, die mit den Medizinern gemeinsam Dienst machen. Sie gehen den Ärztinnen und Ärzten zur Hand und unterstützen, wo sie können.
Neben Bluthochdruck, Hautpilzen oder Schmerzen kommen auch immer wieder Mangelerscheinungen bei den Patienten im Louisebus vor. Die Allgemeinmedizinerin schaut bei jedem Einzelnen, wie sie am besten helfen kann. Es läuft bei ihr alles schon sehr routiniert ab, man merkt ihr die jahrelange Erfahrung in diesem Bereich an, aber gleichzeitig auch ihre nach wie vor große Begeisterung, mit der sie dieser Tätigkeit nachgeht. Gleichzeitig wird die Allgemeinmedizinerin an diesem Vormittag nie müde zu erwähnen, wie dringend sie Ärztinnen und Ärzte für Dienste im Louisebus benötigen. „Man kann vorab Bescheid geben, ob man einmal in der Woche oder einmal im Monat für ein paar Stunden Dienst machen möchte. Wir sind da sehr flexibel und dankbar über jeden Einzelnen, der mitmachen möchte.“ Verpflichtend seien nur die ein bis zwei Einschulungsdienste sowie eine Informationsveranstaltung an einem Abend im Quartal, bei der sich alle Ärztinnen und Ärzte des Louisebusses über ihre Arbeit austauschen. „Da wird informiert, welche Medikamente es gerade gibt oder nicht, und wohin man Patienten überweisen kann – organisatorische Dinge eben“, erklärt Stark. Denn vor Ort sei nur eine erste Anamnese und Behandlung möglich. „Gibt es den Verdacht auf zum Beispiel Gallensteine oder dergleichen, dann müssen wir zu den Ambulanzen des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder zur weiteren Abklärung überweisen.“ „Operationen sind so gut wie keine möglich für Menschen ohne Krankenversicherung“, erklärt die Allgemeinmedizinerin noch und ergänzt: „Das ist ein großes Problem unseres Sozialstaates.“

Alltag in der fahrbaren Minipraxis

Des Öfteren kommt es auch zu Verständnisproblemen aufgrund von Sprachbarrieren während der Behandlung. Die Ärztin erklärt oft mit Händen und Füßen, wie beispielsweise ein Medikament einzunehmen sei, aber es gibt auch immer wieder Mitarbeiter des Tageszentrums, die als Dolmetscher fungieren können. Die meisten Menschen, die heute beim Louisebus vorbeikommen, erwähnen auch immer wieder, wie sehr sie Monika Stark als Ärztin und Mensch schätzen und sehr gerne zu ihr kommen, sogar nur deswegen den Bus immer nur am Donnerstagvormittag aufsuchen, da sie wissen, sie dort anzutreffen. Meist betreut sie 20 bis 25 Menschen an einem Vormittag. Stark: „Man sieht bei dieser Arbeit viele Krankheiten im fortgeschrittenen Stadium, weil die Patienten einfach schon lange nicht mehr bei einer Ärztin oder einem Arzt waren.“ Die Ärztin hat auch Erfahrung in der Entwicklungshilfe in Afrika gesammelt und ist der Meinung, dass sich die Arbeit dort kaum von der in der fahrbaren Minipraxis unterscheidet. „Es ist eine Art Entwicklungshilfe in Österreich.“
Oft müsse sie bei der Arbeit improvisieren, aber auch hier werden genaue Aufzeichnungen über Patienten, Behandlungen und Medikamente gemacht. „Sonst wüssten wir ja nicht, was wir nachbestellen müssen, oder was die andere Ärztin oder der andere Arzt gemacht hat.“ Mitunter passieren aber auch immer wieder erstaunliche Geschichten bei dieser Arbeit, erzählt die Medizinerin in ihrer offenen Art. So kam eines Tages ein Mann in einem wirklich verwahrlosten Zustand zu ihr. Bevor sie sich den Patienten näher anschauen konnte, schickte sie in erstmals ins Tageszentrum duschen. „Als ich dann ins Tageszentrum kam, habe ich den Mann gar nicht mehr wiedererkannt. Er hatte einen neuen Haarschnitt, sauber Sachen an und ich dachte mir nur, ob das wirklich derselbe Mensch von vorhin war.“
Zum Abschluss erwähnt Monika Stark noch: „Übrigens bekommen die Ärztinnen und Ärzte 40 Euro brutto pro Stunde Aufwandsentschädigung.“ Der Lohn sei aber für sie, dass sie so viel von den Menschen zurückbekomme. Tatsächlich merkt man den Menschen an, dass sie glücklich sind, für einen Moment mit ihren Problemen ernst genommen zu werden und eine so komplikationslose Hilfe bei ihren medizinischen Belangen zu bekommen.

Louisebus in Zahlen

Der medizinische Betreuungsbus ist von Montag bis Freitag in Wien unterwegs. 14 Ärztinnen und Ärzte und 35 freiwillige Mitarbeiter betreuen an fünf Tagen in der Woche an unterschiedlichen fixen Plätzen in der Stadt kranke Menschen, die den Weg in eine Ordination oder Ambulanz aus unterschiedlichen Gründen nicht schaffen. Im Jahr 2017 wurden im Louisebus 8729 Behandlungen an 2336 Personen durchgeführt und fast 1400 Stunden ärztliche Arbeit geleistet. Die Finanzierung des Busses erfolgt durch den Fonds Soziales Wien beziehungsweise durch Spenden. Der Bus ist nach Louise de Marillac benannt, die mit dem Missionar Vinzenz von Paul die Genossenschaft der Barmherzigen Schwestern gründete. Die Schwestern zogen durch die Straßen der Städte, über die Wege der Dörfer, um allen Notleidenden zu helfen. Sie wurde 1934 heiliggesprochen und ist seit 1960 Patronin aller in der Sozialarbeit tätigen.

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Stefan Seelig