Ärztinnen-Umfrage

„Diskriminierung findet in allen Bereichen statt“

Diskriminierung von Medizinerinnen hat viele Gesichter: Von der Gläsernen Decke über Karriereeinbußen bei Kinderwunsch hin zu fehlendem Netzwerk und Bewusstsein. Ungleichbehandlung beginnt am Arbeitsplatz, reicht aber auch ins familiäre Umfeld und wird häufig geprägt vom Rollenverständnis der Frau und des Arztberufes in der Gesellschaft. Was Ärztinnen in Wien konkret beschäftigt, hat das Frauenreferat der Wiener Ärztekammer in einer Umfrage unter 1.337 Ärztinnen abgefragt.

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Dabei zeigte sich, dass Ungleichbehandlung im Arbeitsalltag aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit ein großes Problem darstellt. Mit 69 Prozent haben mehr als die Hälfte aller Teilnehmerinnen im beruflichen Alltag Diskriminierung erfahren — der Großteil davon berichtet von Ungleichbehandlung durch Vorgesetzte (54 Prozent), Patient:innen (43 Prozent) und Kollegen (37 Prozent). Noch schwerer trifft dies Medizinerinnen mit Migrationshintergrund, so der Bericht einer Teilnehmerin.

„Diskriminierung findet in allen Bereichen statt“ und „passiert dauernd und unbewusst“, so Rückmeldungen der befragten Ärztinnen. Andere Stimmen bestärken den Eindruck von „täglicher, offener Diskriminierung“, die oft auch von Kolleginnen ausgeht. Die Diskriminierung kann dabei verschiedene Formen annehmen, von geringschätzenden Bemerkungen über Frauen (69 Prozent erlebten dies), über anzügliche Bemerkungen (65 Prozent), unangebrachte Berührungen (31 Prozent) hin zu sexuellen Übergriffen (3 Prozent). Die Befragten berichten auch von subtiler Benachteiligung wie etwa bei Dienstzuteilungen oder Zuverdienstmöglichkeiten. Auch die viel zitierte „gläserne Decke“ sei nach wie vor ein großes Hindernis.

Knapp die Hälfte aller Medizinerinnen sind weiblich. Wirft man einen Blick auf einzelne Hierarchieebenen, wird allerdings deutlich, dass sich diese Ausgewogenheit nicht auf alle Ebenen erstreckt. Denn in medizinischen Führungs- und Entscheidungspositionen sind sie deutlich unterrepräsentiert: Nur 14,3 Prozent aller Abteilungsleitungen der öffentlichen Krankenanstalten und 18,8 Prozent der ärztlichen Direktionen öffentlicher und privater Krankenanstalten sind weiblich besetzt (Frauen in der Medizin, 2021). Die geringe Anzahl von Frauen in medizinischen Führungspositionen hat zur Folge, dass Ärztinnen mit Karriereambitionen nur wenige gleichgeschlechtliche Rollenvorbilder haben.

Unterstützung von Ärztinnen nötig

Die Ungleichbehandlung wird verstärkt, wenn Medizinerinnen Kinder bekommen. Den Ergebnissen zufolge haben Ärztinnen durch Kinder im Durchschnitt größere Karriereinbußen als Männer. 67 Prozent der befragten Ärztinnen stimmt dieser Aussage zu. Dies betrifft die Kinderbetreuung (69 Prozent der Befragten sehen hier Karrierehindernisse), die geringe Förderung durch Vorgesetzte (50 Prozent) sowie Ungleichstellung bei der Jobvergabe (50 Prozent) und den Mangel an beruflichem Netzwerk (40 Prozent).

Aufgrund langer, unregelmäßiger Arbeitszeiten, Wochenend-, Feiertags- und Nachtdiensten sowie kaum Möglichkeiten zu Teilzeitanstellungen in Führungspositionen stellt die Medizin besondere Herausforderungen an Ärzt:innen mit Kindern, von denen insbesondere Frauen besonders betroffen sind. Bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird vor allem Stress, zeitlicher Druck des beruflichen Umfeldes und Kinderbetreuung als herausfordernd gesehen. Auch das „schlechte Gewissen“ und das Gefühl „den eigenen Ansprüchen nicht zu entsprechen“ ist für die Mehrheit der teilnehmenden Ärztinnen ein Thema. Fehlendes Verständnis gegenüber familiären Verpflichtungen sowie hierarchische Strukturen und finanzielle Unsicherheit bzw. Einschränkung zählen ebenfalls zu den wichtigsten Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Nachteile betreffen aber auch kinderlose Medizinerinnen, wie eine Teilnehmerin berichtet: „Auch Frauen ohne Familie werden diskriminiert und an der Karriere gehindert“. Und auch Männer würden für Familienplanung diskriminiert. „In meinem Bereich habe ich erlebt, dass ein männlicher Kollege vom Vorgesetzten ‚gemobbt‘ wurde, weil er in Karenz geht“, berichtet eine Teilnehmerin.

Im Vorfeld der Geburt zeigt sich auch viel Informationsbedarf. So spricht sich die Mehrheit der Befragten (83,15 Prozent) für eine Erarbeitung von konkreten Empfehlungen zur ärztlichen Tätigkeit während der Schwangerschaft im angestellten Bereich aus. Konkret gehe es vielen hier darum, auch nach der Bekanntgabe der Schwangerschaft nach eigenem Ermessen entscheiden zu können, ob sie im Patientenkontakt stehen wollen. Auch befürworten die Befragten die Möglichkeit von anrechenbaren Fortbildungen während der Karenzzeit und einem Wiedereinstiegsprogramm. Insgesamt wünschen sich die Teilnehmerinnen mehr Unterstützung seitens der Ärztekammer, auch im juristischen Bereich. Die vom Frauenreferat abgefragten Bereiche Vernetzung und Empowerment wurden mehrheitlich gut angenommen.

FACT BOX

Das im Zuge der Ärztekammer-Wahl 2023 gegründete Referat für frauenpolitische Angelegenheiten hat sich vor allem die Kernpunkte Vernetzung, Empowerment, Gleichberechtigung und Gendergerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben. Gerade die Vernetzung wird in den Fokus gestellt, um berufliche Erfahrungen zu teilen, sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam Probleme im ärztlichen Beruf analysieren und lösen zu können.

Zur Stichprobe: Von den 1.337 teilnehmenden Ärztinnen waren 1.158 ausgebildete Allgemeinmedizinerinnen und Fachärztinnen, 260 Teilnehmerinnen in Ausbildung. Mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen (55,20 Prozent) sind derzeit vollzeitbeschäftigt. Insgesamt 889 Teilnehmerinnen sind angestellte Ärztinnen, 396 Teilnehmerinnen sind im niedergelassenen Bereich tätig, 26,25 Prozent gehen einer Teilzeitbeschäftigung nach. Mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen (59,76 Prozent) haben Kinder. Der Großteil der Kinder befindet sich im betreuungspflichtigen Alter und 120 Teilnehmerinnen sind alleinerziehend.

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Die Medizin ist in den letzten 120 Jahren weiblich geworden, die medizinische Führung jedoch nicht.
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