EU-Streit über Pestizidreduktion: Grüne Sarah Wiener will strengere Regeln

Minus 50 Prozent weniger Pestizide bis 2030  –  das sehen u.a. die Pestizidreduktionspläne (Sustainable Use Regulation, SUR) der EU-Kommission vor. Die Grüne EU-Abgeordnete Sarah Wiener, SUR-Berichterstatterin im EU-Parlament, hat am Donnerstag ihren Bericht dazu präsentiert und will nun nachschärfen: Für besonders gefährliche Pestizide plädiert sie für eine Reduktion um 80 Prozent bis 2030. Ihre Pläne sorgen auf der Gegenseite für Unverständnis, mit ihnen würden etwa Lebensmittelimporte aus Drittstaaten gefördert.

 

red/Agenturen

Laut Einschätzung der NGO Global 2000 könnten Wieners Pläne jedoch eine Mehrheit im Umweltausschuss bekommen. Wiener verschärfte in ihrem Bericht die Vorschläge der EU-Kommission in einigen Punkten: „Ich wollte einen Bericht mit realistischen Änderungen vorlegen. Die Reduktionsziele für gefährlichere Pestizide möchte ich verschärfen“, nannte sie dabei krebserregende, hormonschädigende Substitutionskandidaten, die ohnehin längst ersetzt sein sollten.

Befürchtung: Lebensmittelversorgung gefährdet

Alexander Bernhuber, SUR-Chefverhandler der EVP im EU-Parlament, meinte indes zu Wieners Vorschlag für noch strengere Reduktionsziele von 80 Prozent, diese würden auch die Sicherstellung der europäischen Lebensmittelversorgung gefährden und die heimische Landwirtschaft, so der ÖVP-Umweltsprecher. Die Landwirtschaftskammer begrüßte angesichts der Vorschläge Wieners die Diskussion um Insekten als Nahrungsmittel, denn „wenn der Schutz unserer Nutzpflanzen nämlich weiter so sorglos zurückgefahren wird, werden wir primär Schädlinge ernten können – nicht hochwertige Ackerfrüchte, Obst und Gemüse“, betonte Landwirtschaftskammer Österreich (LKÖ)-Präsident Josef Moosbrugger.

Vorgestellt wurde Wieners Bericht im Umweltausschuss des EU-Parlaments, die Umweltschutz-NGO Global 2000 schließt aus den heutigen Stellungnahmen der Schattenberichterstatter, dass dort eine Mehrheit den EU-Pestizidreduktionszielen grundsätzlich positiv gegenüberstehen dürfte. Mehrheitlich positive Rückmeldungen habe es neben jenen der Grünen auch von den Fraktionen der Sozialdemokraten (S&D), Liberalen (Renew) und Linken (GUE) gegeben. Zur Ablehnung vonseiten der Europäischen Volkspartei (EVP) gesellte sich hingegen jene der Konservativen und Reformer (ECR) sowie der Rechtspopulisten und Rechtsextremen (ID).

Vorwurf: Diskreditierung einer ganzen Branche

Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchemiker von Global 2000, bezeichnete die Aussagen von Bernhuber als „bedenklich“, dieser würde selbst den EU-Kommissionsvorschlag für die Halbierung des Pestizideinsatzes grundsätzlich ablehnen bzw. hoffen, dass „die Kommission diesen Vorschlag zurückziehen wird“. Vonseiten der Erzeuger der Pflanzenschutzmittel gibt es hingegen Kritik an den Grünen im Europaparlament, diese würden eine gesamt Branche diskreditieren, „um realitätsferne und völlig überzogene Forderungen durchzusetzen“, stellte Christian Stockmar, Obmann der IndustrieGruppe Pflanzenschutz (IGP), in einer Aussendung fest.

Er forderte, dass die Landwirtschaft mit an den Verhandlungen teilnehmen solle. Die Industrie investiere indes 14 Milliarden Euro bis 2030, um biologische Pflanzenschutzmittel zu entwickeln, denn „die Landwirte brauchen zeitgemäße Werkzeuge, um die künftigen Herausforderungen zu lösen. Mit Schneckenküberl und Harke kann man nicht 447 Millionen Menschen ernähren“, so Stockmar. Wiener sieht hingegen andere Probleme für Landwirte, denn die Ausgaben für Düngemittel und Pestizide seien in der EU in den vergangenen 20 Jahren stetig gestiegen, die Einkommen in der Landwirtschaft jedoch kaum. "Zwischen 2003 und 2016 haben in der EU fünf Millionen Bäuerinnen und Bauern aufgegeben“, so Wiener.

Bäuerinnen und Bauern dürften bei der Transformation hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft nicht allein dastehen, sagte die Grüne Abgeordnete: „Mit finanzieller Hilfe und unabhängigen, modernen Beratungssystemen holen wir sie raus aus der Abhängigkeit von synthetischen Pestiziden.“ Mit der Anerkennung von Parkinson und Krebs als Berufskrankheiten durch Pestizideinsatz würde sich zudem das Gesundheitsnetz in der Landwirtschaft verbessern.

Die EU-Kommission hatte im Sommer 2022 einen Gesetzesvorschlag präsentiert, der unter anderem eine Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 vorsieht. Grundlage für den Wert soll demnach die durchschnittlich verkaufte Menge aus den Jahren 2015, 2016 und 2017 sein. Wiener will nun nachschärfen: Für besonders gefährliche Pestizide plädiert sie für eine Reduktion um 80 Prozent bis 2030. Zudem soll die EU-Kommission dem Bericht der ehemaligen Fernsehköchin zufolge eine Steuer für die Chemikalien ausarbeiten, deren Höhe von den Risiken ihres Einsatzes abhängen soll.

Bürgerinitiative mit offenem Brief

Die Betreiber der Europäischen Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten“ wandten sich im Zuge der SUR-Verhandlungen mit einem offenen Brief an Norbert Lins, den Vorsitzenden des EU-Landwirtschaftsausschusses (AGRI). Der deutsche CDU-Politiker wurde darin aufgefordert „seine Blockadepolitik zur SUR, die weder den Willen der Bürger:innen noch den wissenschaftlichen Konsens reflektiert, zu beenden“. Er solle den Weg frei machen „für konstruktive Verhandlungen mit dem federführenden Umweltausschuss.“

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Die EU-Kommission präsentierte im Sommer 2022 einen Gesetzesvorschlag, der unter anderem eine Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 vorsieht.
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