| Aktualisiert:
Corona-Impfung

Millionen Impfdosen drohen in Österreich zu verfallen

In Österreich droht ein Impfdosenverfall in großem Ausmaß. Dies geht aus Berechnungen der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) hervor. Selbst wenn im ersten Quartal alle Impfpflichtigen den Erst-, Zweit- oder Drittstich erhalten und es viele Kinderimpfungen gebe, werden nach aktuellen Prognosen Ende März 10,2 Millionen Dosen auf Lager liegen, so MSF-Experte Marcus Bachmann. Das Gesundheitsministerium widersprach, räumte aber Verfall ein.

APA

Aktuell seien laut Bachmann sieben Millionen Dosen ungenutzt. „Das ist so ein dramatischer Überschuss, dass ganz klar wird, dass dringender Handlungsbedarf besteht“, betonte der Pharmaexperte. Er wies darauf hin, dass die Impfstoffe eine für Arzneimittel vergleichsweise kurze Haltbarkeitsdauer von sechs bis neun Monaten haben. Selbst bei einer konsequenten Beachtung des „First in, first out“-Prinzips könnte es angesichts von Ablaufdaten schon sehr bald „eng“ werden, warnte Bachmann. In der Prognose für das erste Quartal berücksichtigt sind auch 750.000 Dosen des neu zugelassenen fünften Covid-19-Impfstoffes von Novavax.

„Dass Millionen Impfstoffe verfallen könnten, entspricht nicht den Tatsachen“, dementierte das Gesundheitsministerium in einer der APA übermittelten Stellungnahme. Nicht einmal 3.000 Dosen seien bisher in den Impfstofflagern des Bundes abgelaufen. Dem Gesundheitsminister sei ein „großes Anliegen, dass keine Impfstoffe ablaufen“ und bisher sei das auch gelungen. „Wir haben in der Bundesregierung für das Jahr 2022 Vorsorge getroffen, dass 100 Prozent der Bevölkerung mit bis zu drei Stichen versorgt werden können. Dafür wurden am europäischen Markt vorausschauend entsprechende Mengen bestellt.“

Das Ministerium verwies zugleich auf Impfstoffspenden von über drei Millionen Dosen, räumte aber zugleich einen bevorstehenden Verfall von 280.000 Dosen AstraZeneca ein. Für diese habe nämlich „trotz intensiver Bemühungen der Bundesregierung“ bisher kein Abnehmerland gefunden werden können, und sie liefen „demnächst“ ab. Es handle sich aber „um einen verschwindend geringen Teil im Vergleich zu den über 16 Millionen Dosen, die in Österreich bislang verimpft wurden“.

Hersteller haben Vetorecht bei Abgabe an Ausland

Zugleich bestätigen die nunmehrigen Ministeriumsangaben die Einschätzung des MSF-Experten, der bei AstraZeneca „ganz sicher ein großes Volumen, das bald ablaufen wird“, konstatiert hatte. Von dem Impfstoff, der schon seit dem Sommer kaum noch verimpft wird, habe Österreich 5,2 Millionen Dosen erhalten, sagte Bachmann. 2,2 Millionen AstraZeneca-Dosen seien gespendet worden. Von den drei Millionen restlichen Dosen fanden aber nur knapp 1,6 Millionen den Weg in österreichische Oberarme.

Bachmann erläuterte, warum die Weitergabe von Impfdosen ans Ausland schwierig ist. Die Hersteller haben sich nämlich ein Vetorecht gesichert, wobei vor allem Moderna sehr strikt sei. Entsprechend könnten hunderttausende Moderna-Dosen in Österreich ungenutzt bleiben. Bachmann schätzt, dass von den 3,3 Millionen gelieferten Dosen noch etwa die Hälfte in Lagern liegen. Laut den im elektronischen Impfpass eingetragenen Daten wurden bisher erst 1,4 Millionen Dosen verimpft.

Exakte Zahlen zum Lagerbestand gibt es zwar nicht. Aus den vom Gesundheitsministerium veröffentlichten Daten lässt sich aber ein Lagerstand von etwa 8,2 Millionen Impfdosen ableiten - davon knapp sieben Millionen zentral gelagert, der Rest ausgeliefert, aber noch nicht verimpft. Im ersten Quartal 2022 sollen sieben Millionen Dosen dazukommen. Gebraucht würden aber trotz Impfpflicht und Boosterimpfungen bestenfalls 5,6 Millionen Dosen, errechnete der Experte. Dieser Bedarf sei ein „theoretisches Best-Case-Szenario“ und beruhe darauf, dass alle Impfpflichtigen geimpft bzw. geboostert werden und auch „ein guter Teil“ der fünf- bis elfjährigen Kinder.

Das deutsche Gesundheitsministerium hatte bereits Mitte Oktober in einem Brief an die EU-Gesundheitsbehörde Hera Alarm geschlagen und einen Abbau von bürokratischen Hürden für Impfstoffexporte gefordert. Einigen Ländern drohe nämlich, „große Mengen an wertvollen Impfstoffen wegwerfen zu müssen“. Aus dem österreichischen Gesundheitsministerium hieß es damals, größere Impfstoffspenden seien erst 2022 geplant. Bachmann sagte dazu, dass eine Ausweitung der Spenden nicht nur wegen bürokratischer Hürden schwierig sei, sondern auch wegen der kurzen Haltbarkeitsdaten. Überhaupt sei das aktuelle System, bei dem Impfdosen zunächst in einen Staat geliefert und von diesem dann an andere abgegeben werden, „absurd“, so Bachmann. „Wir würden umgekehrt nie so eine lange unlogische Lieferkette akzeptieren.“

Braucht „Strategiewechsel“

Das Missverhältnis zwischen vollen Lagern in Österreich und Impfstoffmangel in weiten Teilen der Welt zeigt für den Experten, dass es einen „Strategiewechsel“ in der Impfstoffversorgung brauche. Das von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) vorgeschlagene Konzept der Zwangslizenzen sei dabei zu langsam, zu teuer und unzureichend, um rasch genug wirksam zu sein. Der einzige sinnvolle Weg sei eine Aussetzung des Patentschutzes und eine dezentrale Impfstoffproduktion, bekräftigte Bachmann die Forderung von MSF und zahlreichen weiteren NGOs, der sich auch schon Mückstein und seine Vorgänger aus den Reihen von SPÖ und ÖVP angeschlossen haben.

Bachmann wies darauf hin, dass die Omikron-Variante nur wegen des hohen Infektionsgeschehens und der niedrigen Impfraten entstehen konnte. Setze man die bisherige Politik fort, „dann befürchte ich, dass das die beste Basis für weitere Varianten ist, die noch mehr können“, weil sie infektiöser oder tödlicher seien als die bisherigen beziehungsweise die Schutzwirkung von Impfungen unterlaufen, so Bachmann.

 

WEITERLESEN:
Impfstoff Impfen Impfung Vakzin
Selbst bei einer konsequenten Beachtung des „First in, first out“-Prinzips könnte es angesichts von Ablaufdaten bei den Impfdosen schon sehr bald „eng“ werden, so MSF-Experte Marcus Bachmann.
Pexels.com