Pandemien damals wie heute
Schon oft wurden Vergleiche gezogen zwischen der heutigen Pandemie mit der Pandemie der Spanischen Grippe von 1918. Doch wie berichteten die Zeitungen der damaligen Zeit über diese Geschehnisse in Wien? Wenn auch die Unterschiede groß sein mögen, so ergibt ein Blick in die zeitgenössische Berichterstattung durchaus ganz ähnliche Fragestellungen, damals wie heute.
Bei dieser Infektionskrankheit, die zwischen Frühjahr 1918 und Winter 1919 in drei Wellen auftrat, gab es fast keinen Teil der Welt, der nicht von der Spanischen Grippe betroffen war. Den Namen erhielt sie, da Spanien nicht am Krieg beteiligt war und die dortigen Medien als einer der ersten über auftretende Fälle berichteten. Als neutrales Land hatte Spanien im Ersten Weltkrieg eine relativ liberale Zensur und die Zeitungen konnten über das tatsächliche Ausmaß der Infektionskrankheit schreiben, wohingegen in anderen Ländern solche Berichte zu Beginn meist noch unterdrückt wurden. Heute geht man davon aus, dass die Pandemie ihren Ursprung in den USA hatte.
Die Zeitungen in Wien von 1918 verwendeten auch schon den Begriff Spanische Grippe, führten aber den Namen darauf zurück, dass es eben dort die ersten Fälle dieser Krankheit gab. Schätzungen gehen von weltweit zwischen 500 und 700 Millionen Erkrankten aus, davon 20 bis 50 Millionen Todesopfer.
Die erste Ausbreitungswelle verlief vergleichsweise harmlos und war daher auch schnell vergessen. Dann erlebten die Viren im Herbst 1918 eine dramatische Veränderung: Sie waren viel ansteckender und deutlich virulenter. Die Menschen starben binnen Stunden an einer hämorrhagischen Lungenentzündung.
Besonders betroffen waren junge Menschen zwischen 15 und 35 Jahren. Damit hatte die Spanische Grippe auch Auswirkungen auf den Krieg. So gab es bei der britischen Marine 10.000 Erkrankte, womit sie drei Wochen nicht auslaufen konnte. Bei der US Army und US Navy waren zwischen 20 und 40 Prozent der Rekruten bei der zweiten Welle (September bis November 1918) erkrankt. In den USA gab es insgesamt 675.000 Todesfälle, zehnmal mehr als im Krieg Gefallene.
Im Herbst 1918 traf die zweite Welle auch Wien mitten im Kriegsgewirr der letzten Wochen des Ersten Weltkrieges. Die Zeitungen begannen Ende September im vermehrten Ausmaß über die Infektionskrankheit zu berichten. Die Berichte finden sich jedoch meist im hinteren Teil der Zeitung. Dies mag einerseits auf den noch herrschenden Ersten Weltkrieg mit dem gleichzeitigen vorherrschenden Mangel besonders an Nahrungsmittel oder Heizmaterial und den vielen Toten an der Front zurückzuführen sein, andererseits darf man auch nicht vergessen, dass es noch keine Pressefreiheit gab, wie wir sie heute kennen. Zu Beginn der zweiten Welle befand sich Österreich-Ungarn noch im Krieg und war noch keine Republik, möglicherweise wollten die Behörden die Stimmung in der Bevölkerung nicht noch weiter aufgeheizt wissen.
Mund-Nasen-Schutz anno 1918
Dennoch gingen die Zeitungen beispielsweise der Frage nach, ob denn ein Mund-Nasen-Schutz überhaupt vor einer möglichen Ansteckung schützen könne oder nicht. Die „Wiener Allgemeine Zeitung“ berichtete am 28. September 1918 in einem Beitrag mit dem Titel „Die Spanische Grippe – Ein Wort aus dem Publikum.“ über die Ausbreitung der Krankheit im Sommer in der Schweiz.
Der Verfasser: „Bei der Pflege der Erkrankten soll bis auf ein die Pflege übernehmendes Mitglied der Familie den Kontakt mit den Erkrankten strengstens meiden. Der oder die Pflegende müssen Mund und Nase verhüllen, da das direkte Anhauchen oder Anhusten die Ansteckung überträgt.“
Und weiters: „Bald wurde von Ärzten eine Maske hergestellt, die sowohl sie wie das Pflegepersonal, aber später auch Reisende auf der Eisenbahn oder die Besucher von Spitälern trugen. Kein Arzt, der bei der Behandlung eine Maske vor hatte, soll sich infiziert haben. Daß auch zu derselben Zeit die Grippe in Paris gleiche Erfahrungen zeitigte, war aus einer Zeichnung im `Journal Amusant` zu ersehen. Zwei Freunde begegnen sich. Der eine trägt die Grippe-Maske. `Wohin gehst du? ` - `Ich? Ich gehe in die Oper; man spielt Carmen. `“
Die „Wiener klinische Rundschau“ vom 20. Jänner 1919 zitiert einen Arzt aus der „Korrespondenz für Schweizer Aerzte“ 1918 mit folgender Aussage: „Als prophylaktisches Mittel sind die Masken von vielen Seiten empfohlen worden. Es existieren eine ganze Anzahl von Modellen. Die anschließenden Masken werden von Schwestern und Wartpersonal sehr ungern getragen, da sie beim Arbeiten leicht feucht werden und dann kaum mehr Luft durchlassen. (…) Es sind auch Infektionen vorgekommen trotz strengem Tragen der Masken, allerdings nur leichte Erkrankungen. Einen gewissen Schutz scheinen die Masken demnach schon zu bilden.“
Schulen und Theater geschlossen, aber keine Anzeigenpflicht
Eine allgemeine Maskenpflicht wurde jedoch nicht eingeführt, auch keine Anzeigenpflicht, obwohl die Sanitätsbehörde in Wien diese forderte. Das Ministerium für Volksgesundheit lehnte diese mit folgender Begründung, nachzulesen in der „Wiener Zeitung“ vom 10. Oktober 1918, ab: „Von der Anzeigenpflicht im Sinne des Epidemiegesetzes wurde abgesehen, weil sie im allgemeinen keinen Erfolg verspricht, da erstens die Diagnose der Grippe nicht einheitlich gestellt werden kann und es daher immer von der Ansicht des jeweils behandelnden Arztes abhängt. (…) Zweitens würde die Überbürdung der Ärzte bei den vielen Kranken und den jetzigen schlechten Verkehrsmitteln bewirken, daß viele Ärzte gar nicht die Zeit finden würden, die Anzeige zu erstatten. Hauptsächlich aber würde auch die erfolgte Anzeige bei der massenhaften Verbreitung der Krankheit nicht jenen praktischen Nutzen haben, um dessenwillen die Anzeigenpflicht bei anderen Krankheiten festgesetzt wurde. Denn eine Isolierung der Kranken, ja selbst nur ihre Überwachung sowie die Durchführung einer wirksamen Desinfektion wäre undenkbar.“
Die Schulen wurden zunächst nur gesperrt, wenn 20 Prozent der Kinder krankheitsbedingt abwesend war, dies wurde jedoch rasch ausgeweitet auf eine allgemeine Schulschließung, inklusive Kindergärten, denn bald gab es Meldungen, wonach „…sämtliche Volks- und Bürgerschulen sowie Kindergärten des 10. Bezirks“ (Wiener Allgemeine Zeitung, 7. Oktober 1918) gesperrt waren. Lange diskutiert wurde auch die Sperre von Cafés, Kinos und Theater. Zunächst hieß es dazu: „… der Landessanitätsrat, (…), die Sperre der Kinos und Theater der Erwägung der schweren sozialen Folgen einstweilen unterließ. Man habe bedacht, daß so und so viele Leute ihren Tagesverdienst verlieren würden.“ Und weiter: „Die Bevölkerung könne den Besuch von Vergnügungsstätten freiwillig meiden, komme aber in Ausspeisungen, beim Anstellen in den überfüllten Straßenbahn- und Eisenbahnwagen in Massen zusammen. Es wäre immer wieder zu betonen, daß niesende und hustende Personen sich möglichst isoliert halten sollen.“ („Reichspost“, 10. Oktober 1918)
Tage später kam dann doch die Anweisung, sämtliche Wiener Theater, Kinos, Konzertsäle und Vergnüngslokale zu sperren. Unter anderem auch, weil hier die Zeitungen die Dringlichkeit von Abwehrmaßnahmen immer wieder betonten und die Behörden aufforderten, endlich konsequenter tätig zu werden. So schrieb die „Wiener Allgemeine Zeitung“ am 19. Oktober 1918: „Die Grippe ist eine böse Seuche geworden (…). Sie stellt sich als eine Lebensbedrohung der durch so viel Kriegsleiden heimgesuchten Menschheit dar. Täglich gehen viele junge, vollkräftige Menschen zugrunde, die Spitäler können nicht einmal die Schwerkranken fassen, es mangelt an Aerzten und Medikamenten. Was von den Behörden getan wird, ist viel zu schleppend, viel zu wenig radikaler Art, und in viel zu kleinlichem Maßstabe. Man sollte es für selbstverständlich halten, daß in einer Angelegenheit, die Leben und Gesundheit aller betrifft, ohne Verzug alle militärischen wie zivilen Behörden alles nur Mögliche zum Schutz gegen die Bedrängnis aufbieten.“
Rückläufige Zahl der Erkrankten?
Langsam kamen die Behörden in Gang und beschlossen unterschiedliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Krankheit. Gleichzeitig versicherten sie jedoch, und das bereits im Oktober 1918, dass die Zahl der Erkrankten wieder rückläufig sei. Die „Wiener Allgemeine Zeitung“ zweifelte an dieser Aussage in einem Bericht von 18. Oktober 1918 jedoch, da sich diese Angaben auf keine Statistik beziehe, die es angesichts einer fehlenden Anzeigepflicht gar nicht geben konnte, und in Budapest, wo es eine Anzeigenpflicht gebe, bereits 100.00 Fälle bekannt seien.
Bereits Tage zuvor zeichnete auch „Die Neue Zeitung“ ein ganz anderes Bild über die Geschehnisse in Wien. „In Wien und in der Provinz häufen sich die Erkrankungen in gleichem Maße. (…) So ist gestern in Wien eine junge Frau beerdigt worden, und der Priester, der die Leiche eingesegnete, hatte vor drei Tagen die Frau getraut. (…) Die Provinzzeitungen sind überfüllt mit Traueranzeigen und in Wien müssen sich die Leute am Friedhof förmlich anstellten, bis der Totengräber ihnen zur letzten Ruhestätte verhelfen kann.“
Die Zeitung findet aber noch deutlichere Worte, die so in dieser Form eher selten bei anderen Medien nachzulesen sind. „Täuschen wir uns nicht. Die Grippe ist heute keine vorübergehende Erscheinung, sie ist eine Seuche, die so recht in die böse Kriegszeit hineinpaßt und die um so bedenklicher ist, als sich die Aerzte über den eigentlichen Ursprung noch nicht klar sind. (…) Aber ebenso wichtig ist es, jetzt sofort Sorge zu tragen, daß die Zahl der Erkrankungen und der Todesfälle nicht mehr überhand nehme. Man darf sich nicht auf die Natur der einzelnen Menschen verlassen. (...) Die Grippe ist eine Volksgeißel geworden, so böse, daß jeder Tag zaudern ein Verbrechen ist.“
Auch die „Arbeiter Zeitung“ berichtet in ihrer Ausgabe vom 20. Oktober 1918 von einer Zunahme von Krankmeldungen bei den Krankenkassen. „Während die Neuanmeldungen Kranker in der Allgemeinen Arbeiterkrankenkasse in der Woche gewöhnlich fünfzehnhundert bis zweitausend betrugen, stiegen sie in dieser Woche auf fünfeinhalbtausend! Dieses Mehr rührt durchaus von der Grippe her.“
Ende Oktober hieß es in den meisten Zeitungen dann, dass die Grippe ständig im Abflauen sei, bis Mitte November wieder von einer Steigerung die Rede war, vor allem bei den Todesfällen. Die Infektionskrankheit hatte Wien noch weiter im Griff, aber die Behörden setzten ihre Maßnahmen diesmal schneller ein. „Die Grippe ist in ständiger Zunahme begriffen. Von 399 Todesfällen an Grippe und Lungenentzündung in der 46. Woche d. J. ist die Zahl der Todesfälle in der 47. Woche auf 533 gestiegen. Die getroffenen Vorkehrungen entsprechen den anläßlich der ersten Grippewelle getroffenen. Die Schulklassen werden, wenn 20 v. B. der Schüler erkranken, gesperrt, was in einzelnen Bezirken bereits eingetreten ist“, berichtet die „Reichspost“ am 4. Dezember 1918.
Mangel überall
Immer wieder großes Thema der zeitgenössischen Berichterstattung war der Ärztemangel: „Es fehlt an Aerzten und die Ausbreitung dieser Seuche verschärft die Folgen dieses Mangels sehr erheblich.“ („Arbeiter Zeitung“, 20. Oktober 1918)
Viele Ärztinnen und Ärzte befanden sich noch im Kriegsdienst an der Front oder waren in Kriegsspitälern in Wien tätig. „In Frieden gibt es in Wien etwa 3000 Aerzte, derzeit nur 1800 Aerzte, von denen die Spitalsärzte, die keine Privatpraxis ausüben können, abzuziehen sind. Im allgemeinen rechnet man einen Arzt per zweitausend Einwohner.“ („Neue Freie Presse“, 18. Oktober 1918)
Das Kriegsministerium ermöglichte es bald, dass auch im Spital tätige Kriegsärztinnen und -ärzte in Wien zumindest nachmittags die Zivilbevölkerung behandeln konnten. „Für die Militärärzte der Wiener Spitäler wurde durch tunlichste Einschränkung der Spitalsdienstzeit die Möglichkeit geschaffen, in der Praxis tätig zu werden.“
Dennoch häuften sich die Berichte, wonach Ärztinnen und Ärzte zu spät zu den Erkrankten kamen und nicht mehr helfen konnten, da die Krankheit so schnell voranschritt. Großes Problem hierbei war auch die Transportsituation. So gab es einerseits zu wenige Krankentransporte, um die schwer Erkrankten ins Spital bringen zu können, und andererseits fehlte es an Autos bei den Ärztinnen und Ärzten, um überhaupt zu ihren Patientinnen und Patienten zu gelangen. „Diese Lungenentzündungen bilden die größte Gefahr. Diese Fälle müßten (…) sofort in ein Spital gebracht werden. Leider fehlt es (…) an Krankentransportmitteln. Es sterben noch immer Dienstmädchen, alleinstehende Personen, Mitglieder armer Haushalte, bevor der oft angesuchte und sehnsüchtig erwartete Krankenwagen kommt.“ („Neue Freie Presse“, 15. Oktober 1918)
Das Kriegsministerium stellte dem Gesundheitsamt in Wien bald 20 Automobile zur Verfügung, vorwiegend den städtischen Ärztinnen und Ärzten, „in erster Linie in den äußeren Bezirken, zur Armenbehandlung, den restlichen Teil den Kassenärzten und praktischen Ärzten.“ („Wiener Zeitung, 19. Oktober 1918)
Das Handelsministerium startete zudem einen Aufruf an alle Privatbesitzer von Autos und Fuhrwerken: „(…) richtet an alle Besitzer von Kraftfahrzeugen die dringende Bitte, ihre Automobile während der Zeit der Epidemie dauernd oder für bestimmte Stunden der Wiener Aerztekammer zur Verfügung zu stellen. (…) Angesichts der dringenden Not hofft das Handelsministerium, daß sich kein Autobesitzer seiner patriotischen Pflicht entziehen, sondern seinen Wagen aus freien Stücken zur Verfügung stellen werde.“ („Illustrierte Kronen-Zeitung“, 20. Oktober 1918)
Die „Neue Freie Presse“ (Abendblatt, 18. Oktober 1918) machte sogar den Vorschlag, Sonderwagen der Straßenbahn für die Ärzteschaft zur Verfügung zu stellen. „Wir wiederholen unseren Vorschlag. (…) Die städtische Straßenbahn muß einspringen. Der Bürgermeister hat es in der Hand, von heute auf morgen den Verkehrsjammer, soweit unter ihm die Aerzte und mit ihnen die Grippekranken leiden, zum größten Teil zu beseitigen. Berechtigung der Aerzte, in alle Sonderwägen einzusteigen und Sondercoupés für Aerzte im bestimmten, durch den Fahrplan verlautbarten Straßenbahnzügen. Das sind die Forderungen der Bevölkerung.“ Das Problem dabei war, dass viele Eisenbahn- und Straßenbahnbedienstete ebenfalls an der Spanischen Grippe erkrankten, und es deswegen sogar zu bedeutenden Verkehrseinschränkungen kam.
Es mangelt in dieser schweren Zeit aber nicht nur an Automobilen, Medizinern oder Lebensmitteln, auch Medikamente waren Mangelware. „Der Mangel an Medikamenten, der sich zu einem Notstand entwickelt hat, veranlaßte (…) (das) „Rote Kreuze“ zu einer Hilfsaktion für die Zivilbevölkerung. Bundespräsident Graf Traun hat aus den Medikamentenvorräten des „Roten Kreuzes“ eine namhafte Menge der zur Bekämpfung der Epidemie in Betracht kommenden Heilmittel zur Verfügung gestellt.“ („Reichspost“, 10. Oktober 1918)
Wie schwer die Epidemie in Wien grassiert haben muss, zeigt auch der zunehmende Mangel an Spitalsbetten für die Zivilbevölkerung, es mussten bald zusätzliche Kapazitäten in Wien geschaffen werden. „Illustrierte Kronen-Zeitung“, 20. Oktober 1918: „(…) In den Wiener öffentlichen Zivilkrankenanstalten standen für Grippekranke bisher 1600 Betten zur Verfügung. Das Kriegsministerium hat 300 Betten des Kriegsspital Nr. 1 in Wien (gegenüber dem Wilhelminenspital) für Zivilpersonen zur Verfügung gestellt und den Militärbelag (500 Betten) im Kaiserjubiläumsspital der Stadt Wien geräumt. (…) Dadurch werden schon in den allernächsten Tagen zu den bestehenden 1600 Betten für Grippekranke vorläufig noch rund 1000 Betten hinzukommen, im Bedarfsfall eine größere Zahl.“
Erfolglose Therapien
Wie machtlos die Medizin gegenüber dieser Infektionskrankheit zur damaligen Zeit gewesen sein muss, zeigen zudem die verzweifelten Therapieversuche. So wurden Ruhe oder ein Ortswechsel verordnet, Diäten mit Milchprodukten angewiesen, Abführ- und Aufputschmittel verabreicht, intravenöse Injektionen mit flüssigem Silber und Platin gespritzt, und es kamen Opium, Heroin und andere Opiate, vor allem Morphium und Kokain, sowie Whiskey zum Einsatz. Es gab Versuche mit Zwiebeln und Knoblauch, und auch der Aderlass, der eigentlich seit Mitte des 19. Jahrhunderts in die Mottenkiste der Medizin verbannt war, kam wieder zur neuen Ehren. Genützt hat all das nicht viel. Die Ärztinnen und Ärzte der damaligen Zeit tappten im Dunklen was die Behandlung der Spanischen Grippe betraf und auch warum vorwiegend junge Menschen daran starben blieb ein Rätsel. „Wir erfahren aus den Sterbetabellen, daß Jugendliche am meisten an Pneumonie erkranken und zugrunde gehen und wissen nicht, warum gerade sie in so großer Anzahl sterben.“ („Wiener Medizinische Wochenschrift“, Nr. 2, 1919)
Manche Tipps der damaligen Zeitungen, wie man sich vor der Grippe schützen kann, besitzen wohl ihre Gültigkeit damals wie heute. „Die Neue Zeitung“, 15. Oktober 1918: „Die Wohnung rein und trocken halten, oft lüften. Viel im Freien spazieren gehen, überfüllte rauchige Räume meiden. Täglich turnen, womöglich im Luftbad oder Sonnenbad bis Erhitzung und Schweißausbrauch, nachher kühle Abreibung. Bei schlechtem Wetter zweimal wöchentlich ein Dampf- oder Heißluftbad, um durch Schwitzen das Blut zu reinigen und seuchenfrei zu machen.“
Buchtipp
„Dier Welt im Fieber“ von Laura Spinney
Spinneys Buch über die Spanische Grippe erschien bereits 2018 und wurde 2020 zum Bestseller. Binnen weniger Wochen erkrankte ein Drittel der damaligen Weltbevölkerung. Trotzdem sind die Auswirkungen auf Gesellschaft, Politik und Kultur weitgehend unbekannt. Ob in Europa, Asien oder Afrika, an vielen Orten brachte die Grippe die Machtverhältnisse ins Wanken, und verursachte Modernisierungsbewegungen. Anhand von Schicksalen auf der ganzen Welt öffnet Laura Spinney das Panorama dieser Epoche. Sie versucht mit ihrem Buch eine klaffende Lücke in der Geschichtsschreibung zu füllen und erlaubt einen völlig neuen Blick auf das Schicksalsjahr 1918.
Spinney, Laura: „Die Welt im Fieber“, Hanser Verlag, 384 Seiten, 26 Euro