„Das ist eine Gratwanderung"
Die Coronapandemie verändert auch die Medien. Plötzlich sind Wissenschaftsthemen in den Fokus gerückt und das Thema Forschung hat wesentlich mehr Raum bekommen als prä-pandemisch. Einer derjenigen Journalisten, die das heimische Mediengeschehen diesbezüglich geprägt haben, ist Klaus Taschwer. Er ist Wissenschaftsredakteur bei der Tageszeitung „Der Standard“. medinlive hat mit ihm über Preprints, Erkenntnisgewinne, mediale Eintagsfliegen und Twitter gesprochen.
medinlive: Die Rolle der Journalistinnen und Journalisten hat sich in der Pandemie sehr verändert. Gerade Wissenschaftsjournalisten wurden vom Laienpublikum gerne als Experten gesehen. Wie ging es Ihnen mit dieser neuen Rolle?
Taschwer: Zumindest in meinem Medium war Corona ganz zu Beginn das Thema der Kolleginnen und Kollegen vom Gesundheitsressort. Ich bin dann als Wissenschaftsjournalist eher in die Pandemie hineingeschlittert, weil das Thema selbst und die Nachfrage nach Artikeln darüber schnell immer größer wurden. Wenn man viel über dieses Thema recherchiert und schreibt, sammelt man unvermeidlich viel spezielles Wissen an, und so kam es, dass man auch von Verwandten oder Bekannten quasi als Experte zu Corona gefragt wird. Mir ist bei meinen Texten wichtig, stets auch meine Quellen auszuweisen, damit sich die Leserinnen und Leser, wenn sie es denn wollen, selbst ein Bild machen können, wie ich zu dem gekommen bin, was ich berichte. Wichtig war mir auch, möglichst neutral den aktuellen Wissensstand zu berichten, egal, ob es um die das Übertragungsrisiko von Kindern geht, den Nutzen der Masken oder die Nebenwirkungen der AstraZeneca-Impfungen. Wir können nur versuchen, den Stand des Wissens bestmöglich wiederzugeben. Und eine der großen Herausforderungen dabei war, dass sich dieses Wissen immer wieder geändert hat.
medinlive: Am Anfang der Pandemie waren vor allem Epidemiologen gefragt, die es in Österreich nicht in besonders großer Zahl gibt. Wie haben Sie „Ihre“ Experten gefunden, wie haben Sie herausgefiltert, wer faktengestützte, evidenzbasierte Meinungen vertritt oder wo es eher um mediale Hypes geht?
Taschwer: Ich hatte in gewisser Weise einen Vorteil, kein klassischer Medizinjournalist zu sein, sondern Wissenschaftsjournalist. Als solcher orientiert man sich vor allem an internationalen Fachzeitschriften wie Nature, Science und Co. In diesen Fachmedien wurde die möglichen Dimensionen der Pandemie früher diskutiert als in Österreich. In Europa führende Epidemiologen vor allem aus Großbritannien sind zum Teil auch danebengelegen, lieferten aber noch die besten Modellrechnungen. Was die virologische Seite betrifft, hatten die Deutschen natürlich Christian Drosten. In Österreich gab es aber nicht wirklich jemanden, der auf Coronaviren spezialisiert gewesen wäre.
medinlive: Gab es den Moment, wo Sie selbst gemerkt haben, dass da etwas Großes am Horizont aufzieht?
Taschwer: Es gab relativ früh in Expertenkreisen Hochrechnungen, dass man womöglich mit Millionen Toten rechnen muss. Das war allerdings lange eine abstrakte Bedrohung, weil man lange nicht wusste, ob und wie sehr sich das Virus außerhalb Chinas schon verbreitet hat. Mich haben dann Anfang März E-Mails von italienischen Ärztinnen und Ärzten erreicht, die über die dramatische Situation in der Lombardei berichtet haben. Die forderten sehr früh einen Gesamtlockdown für Europa, was hierzulande zunächst nicht wirklich ernst genommen wurde. Diese ersten Schilderungen der Situation in der Lombardei war für mich ein Schlüsselmoment, der klar machte: Das Virus ist auch bei uns angekommen. Und dann wurde ja auch relativ bald reagiert.
medinlive: Kamen Sie neben Corona seitdem schreibtechnisch noch zu anderen Themen?
Taschwer: Eher selten. Wie immer im Wissenschaftsjournalismus – und das ist das Gute an dem Beruf bei der ganzen Tragik des Themas – gab es viel Neues zu lernen: Von Grundlagen der Epidemiologie zu Beginn über Infektiologie und Virologie bis hin zur Impfstoffforschung oder den Virusmutationen. Aber ich habe ab und zu auch über andere Themen geschrieben, die mich interessieren – auch ganz bewusst wegen der Abwechslung.
medinlive: Wie sind Sie mit all den Preprints umgegangen, die oft medial als letztgültige Wahrheit präsentiert worden sind, obwohl sie noch gar kein peer-reviewten Publikationen waren?
Taschwer: Die Pandemie hat eine völlige Umstellung des wissenschaftlichen Publikationswesens gebracht. Vor Corona war es eher unstatthaft, über Preprints zu berichten. Aber erst in Coronazeiten sind sie aufgrund der Dringlichkeit der Krise zur Publikationsform erster Wahl geworden. Das brachte natürlich einige Probleme mit sich, nicht nur für uns Journalistinnen und Journalisten, sondern auch für die Forscher selbst: Dass etwa Christian Drosten seine nur als Preprint veröffentlichte Studie über die Infektiosität von Kindern und Jugendlichen selbst noch auf Twitter promotete, war nicht ganz ideal.
Sehr hilfreich bei der Einschätzung der Preprints waren und sind das britische und das deutsche Science Media Center. Das Londoner Science Media Center befragt bei wichtigen Preprints unabhängige Expertinnen und Experten, die einschätzen, ob diese Studie etwas taugt. Das deutsche Science Media Center macht zudem einmal die Woche eine Art Literaturschau, wo aktuelle Studien kritisch zusammengefasst und in ihrer Bedeutung eingeschätzt werden. Das erleichtert mir die Arbeit sehr, denn natürlich kommen wir im Tagesgeschäft als Journalistinnen und Journalisten nicht dazu, alles selbst von vorne bis hinten zu lesen und zu bewerten.
medinlive: Könnten Sie ein wissenschaftliches Paper auch selbst zuverlässig interpretieren?
Taschwer: Das kommt darauf an. Wenn es zum Beispiel um virologische Detailfragen geht, wird es natürlich schwierig. Aber es ist fast unvermeidlich, dass man sich nach einer rund 25-jährigen Tätigkeit als Wissenschaftsjournalist ein gewisses Handwerkszeug im Lesen von Studien aneignet. Und statistische Basics, die relativ schnell erkennen lassen, wie aussagekräftig eine Studie ist, waren Teil meines sozialwissenschaftlichen Studiums. (lacht).
medinlive: Hat sich durch die Pandemie auch der Stellenwert von Wissenschaft und Forschung in der Öffentlichkeit verändert?
Taschwer: Empirische Zahlen zur aktuellen Einschätzung der Bedeutung von Wissenschaft in Pandemiezeiten haben wir – soweit ich sehe – noch nicht. Aber es gibt ja immer wieder diese Eurobarometerumfragen, wo in europäischen Ländern repräsentativ nach der Akzeptanz neuer Technologien gefragt wird oder ob man sich mehr Grundlagenforschung wünscht. Bei diesen Umfragen schnitt Österreich in den letzten Jahren immer traditionell schlecht ab oder war gar das Schlusslicht. Woran das liegt, dass in Österreich Wissenschaft im Gegensatz zur Kultur so wenig zählt, wäre eine eigene Forschungsfrage. Aber ich denke, mit der Pandemie hat sich einiges geändert. Den meisten Menschen ist wohl klar, dass wir ohne die Wissenschaft – ohne Virologen, ohne Impfstoffforscher etc. – wohl kaum den Weg aus der Krise gefunden hätten. Aber ob sich das jetzt langfristig in der Wahrnehmung von Wissenschaft in der Bevölkerung positiv niederschlägt, da würde ich gerne noch Daten abwarten.
medinlive: Hat sich auch die Wahrnehmung des Wissenschaftsjournalismus geändert?
Taschwer: Ich hoffe schon. Im ORF-Fernsehen zum Beispiel ist Günther Mayr zum Corona-Cheferklärer avanciert und kriegt nun womöglich auch eine eigene Wissenschaftssendung. In Deutschland ist Mai Thi Nguyen Kim nicht erst dank Corona zum Star geworden. Aber einige ihrer hervorragenden Clips zum Thema haben das sicher noch verstärkt. Es gab es also sicherlich einen Relevanzzugewinn des Wissenschaftsjournalismus im Speziellen und einen Gewinn für den Journalismus insgesamt. Wissenschaftsjournalisten waren aber auch Überbringer schlechter Botschaften, was traditionell von Rezipienten oft nicht geschätzt wird. Das ist mir selbst auch immer wieder passiert. Man erntet dann etwa Hassmails und den Vorwurf, man sei zu alarmistisch, das ist eine nicht ganz einfache Gratwanderung. Ich sage dazu jetzt absichtlich nicht, bei der Einschätzung „den Mittelweg zu finden“. Denn wir müssen einfach schauen, wo die besseren Evidenzen liegen.
medinlive: Es herrscht rund um das Thema Corona ja eine extrem aufgeheizte Stimmung, gerade im Social Media Bereich. Nutzen Sie eigentlich Twitter?
Taschwer: Kaum – und wenn, dann passiv. Ich habe zwar einen Account, aber den regelmäßig und gut zu bespielen, ginge sich zeitlich nicht aus. Aber ich lese gern bei einigen Kolleginnen und Kollegen mit, die ich sehr schätze – also sowohl bei einigen wenigen Wissenschaftsjournalisten wie etwa Kai Kupferschmidt, der eine hervorragende Arbeit macht, aber auch bei einigen Wissenschaftern.
medinlive: Was ich beobachtet habe, ist, dass sich Ärztinnen und Ärzte in der Pandemie mit Ihrer Fachexpertise oftmals ein bisschen unterrepräsentiert gefühlt haben. Wie ist da Ihr Eindruck?
Taschwer: Das ist möglich. Ich bin zwar auch mit Medizinern in Kontakt, aber das sind im Normalfall auch Spezialisten. Grundsätzlich hängt das aber natürlich immer von der Fragestellung ab. Wenn es um epidemiologische Entwicklungen oder Virusmutationen geht, landet man eher selten bei Ärztinnen und Ärztinnen, sondern eher bei Wissenschaftern und Forschern. Natürlich gibt es Bereiche – wenn es etwa darum geht, Impfstrategien zu entwickeln – wo Ärztinnen und Ärzte in der Niederlassung miteinbezogen werden sollen, das ist klar. Ich glaube es kommt einfach sehr stark auf den jeweiligen Bereich an. Mir wäre es nicht groß aufgefallen, dass Mediziner unterrepräsentiert waren und sind bei dem Thema. Es kann aber auch sein, dass ich da aufgrund meiner wissenschaftsjournalistischen Tätigkeit auch einen blinden Fleck habe. Ich bin ja kein klassischer Gesundheitsjournalist.
medinlive: Fehlt Ihnen nach gut einem Jahr Homeoffice eigentlich das Netzwerken auf persönlicher Ebene?
Taschwer: (lacht) Ich fürchte, ich war schon vor der Pandemie kein besonders guter Netzwerker. Das liegt auch ein bisschen an meinem Themenfeld. Für Politikjournalisten sind solche Netzwerke wichtiger als für Wissenschaftsjournalisten, da deckt man einfach zu viele verschiedene Themen ab, von Astronomie bis Zoologie. Da entsteht schon aufgrund dieser Diversität der Themen kein besonders großes Netzwerk an spezifischen Experten. Und viel Vernetzung passiert andererseits ja ohnehin virtuell. Bei der Coronapandemie mit all ihren globalen Entwicklungen hätte ein Netzwerk wohl auch nicht besonders geholfen, denn es kamen da in einer enormen Schnelligkeit immer wieder neue Entwicklungen dazu. Wer von uns hatte vor der Pandemie etwa eine Ahnung von mRNA-Impfstoffen oder Virusmutationen? Im Grunde waren das alles Themenfelder, die man sich ohnehin neu erschließen musste – was gerade auch das Spannende an unserem Beruf ist.
Zur Person
Klaus Taschwer wurde 1967 geboren und studierte Soziologie, Politikwissenschaft (mit Schwerpunkt Wissenschaftsforschung) an der Universität Wien. Er dissertierte über die Popularisierung von Wissenschaft in Wien um 1900. Klaus Taschwer ist seit 2007 Wissenschaftsredakteur bei der Tageszeitung „Der Standard“. Buchpublikationen sind u.a. „Der Fall Paul Kammerer: Das abenteuerliche Leben des umstrittensten Biologen seiner Zeit“ (Hanser, 2016) oder „Der Deutsche Klub“ (mit Linda Erker und Andreas Huber, Czernin, 2020).