Plädoyer für eine gehirngerechte Politik
Wutbürger, Populismus und Protest: Viele Menschen haben das Gefühl, von den politischen Akteuren nicht gehört und nicht ernst genommen zu werden. Doch welche Ursachen liegen diesem weit verbreiteten Empfinden zugrunde? Und was könnte oder vielmehr müsste konkret getan werden, um Politik und Gesellschaft wieder in Übereinstimmung zu bringen?
Der Psychiater und Autor Hans-Otto Thomashoff gibt auf diese Fragen Antworten in seinem neuen Buch „Mehr Hirn in die Politik – Gegen Unzufriedenheit, Polarisierung und Spaltung – Mit den Erkenntnissen der Hirnforschung für eine bessere Politik“, indem er die Erkenntnisse der Neurowissenschaften mit der politischen Praxis verknüpft. Seine These: Die Politik ignoriert, wie das menschliche Gehirn arbeitet, sie ignoriert, nach welchen Regeln die Psyche ihre Entscheidungsprozesse organisiert, und sie ignoriert die natürlichen Grundbedürfnis-se, die unser Handeln leiten, und bei deren Missachtung Unzufriedenheit entsteht.
Sein Buch ist ein Plädoyer für einen grundlegenden Neustart in Politik und Gesellschaft, der die mündigen Bürger aktiv an politischer Gestaltung beteiligt. Das setzt die Bereitschaft zur aktiven Teilnahme voraus und auf allen Seiten – Politik wie Bürger – (psychologische) Bildung und Wissen als Grundlage politischer Entscheidungskompetenz. Was wir Menschen brauchen, um uns zufrieden zu fühlen, hat die Hirnforschung längst herausgearbeitet: Bindung, Selbstwirksamkeit, ein erträgliches Maß an Stress und Stimmigkeit. Die Politik sollte diese Ziele zum selbstverständlichen Ziel ihres Handelns erklären. Stattdessen werden politische Entscheidungen ohne langfristige Perspektive getroffen als Reaktion auf äußere Sachzwänge. Die Politik handelt nicht gezielt, sondern sie reagiert nur, um den Status quo aufrechtzuerhalten: Klimakrise, Staatshaushalt, Rentensicherung, Zukunft der Wirtschaft, Bildung, Corona. Dazu kommen die Politiker selbst und ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Zu viele von ihnen verfangen sich in den Verlockungen ihres Amtes und inszenieren vor allem sich selbst. Darin zeigt sich eine der Schwächen der parlamentarischen Demokratie.
Die Unzufriedenheit der Bürger wächst und macht sie als Wähler empfänglich für das vereinfachte Schwarz-Weiß-Denken von Parteien jenseits des demokratischen Randes. Die Corona-Krise und ihre Folgen beschleunigen diesen Trend weiter. Thomashoffs Analyse ist grundlegend neu. Sie zeigt, welch revolutionär anderen Blick uns die Hirnforschung auf die Triebkräfte historischer Prozesse und politischen Handelns ermöglicht. Auf ihrer Basis entwickelt er Ansätze für eine neue Politik, die darauf ausgerichtet ist, unser Gehirn langfristig zufrieden zu machen. Für den erfolgreichen Staat der Zukunft fordert er: direkte demokratische Mitbestimmung, Transparenz, regionale Eigenständigkeit und konstruktive Konfliktlösung. Thomashoff ist überzeugt: Wir haben es in der Hand, unsere Zukunft besser und glücklicher zu gestalten. Wir müssen „gehirngerecht“ handeln, um uns verantwortungsvoll der Aufgabe zu stellen, eine Weltgemeinschaft mündiger Bürger zu schaffen.
Aus dem Inhalt:
- Politik als Geisel des Aktionismus
- Was die Hirnforschung von der Politik fordert: Bindung, Wirkmächtigkeit, Stressbegrenzung und Stimmigkeit
- Die erwachsene Gesellschaft
- Schwachstellen unserer Psyche als Gefahr für unsere Demokratie: Selbstverstärkung, Gefühl versus Verstand, Priming und Manipulation, Gefahr der Masse, Spaltung, Radikalisierung –
- Persönlichkeitsanforderungen an Politiker
- Mehr direkte Demokratie wagen
Hans-Otto Thomashoff ist Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse in eigener Praxis in Wien sowie promovierter Kunsthistoriker und Naturfotograf. Er ist Ehrenmitglied des Weltpsychiatrieverbandes, Aufsichtsratsmitglied in der Sigmund-Freud-Privatstiftung und Mitglied des internationalen P.E.N-Clubs. Außerdem ist er Autor zahlreicher Sachbücher und Fachpublikationen.
Hans-Otto Thomashoff, Mehr Hirn in die Politik – Gegen Unzufriedenheit, Polarisierung und Spaltung – Mit den Erkenntnissen der Hirnforschung für eine bessere Politik, Ariston 2021, 224 Seiten, ISBN 978-3-424-20230-4, 18,50 Euro