Bettruhe statt Daueralarm
Heute wird der Internationale Tag gegen den Lärm begangen. Ein Ort, an dem Lärm definitiv eine messbare Rolle spielt: Das Krankenhaus. Um den Lärm einzudämmen tüfteln Wissenschafter und Tongestalter an Konzepten, die Idee: Heilende Klänge statt Daueralarm.
Schrill piepsende Geräte, brummende Maschinen, knallende Türen, lautstarke Gespräche: In Krankenhäuser buhlen Lärmquellen um Aufmerksamkeit, verzögern die Heilung von Patientinnen und Patienten und begünstigen Kunstfehler im OP. Hauptübeltäter sind Daueralarme, obwohl nahezu 90 Prozent der Alarme im Krankenhaus keine klinische Intervention erfordern.
Mit Spitzen bis zu 96 Dezibel lärmt es auf einer Intensivstation und damit so laut wie auf einer stark befahrenen Straße. Der Dauerschallpegel liegt Messungen zufolge zwischen 60 und 65 Dezibel (TU Graz 2013) und damit zehn bis 50 Dezibel höher als die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Lärmobergrenze. Den Leitlinien zufolge gelte für Krankenhäuser eine Obergrenze von tagsüber 40 Dezibel und nachts 30.
„Unnecessary noise (...) is the most cruel absence of care which can be inflicted on sick or well”, schrieb Florence Nightingale, die als Begründerin der modernen Krankenpflege, 1859 in ihren „Notes on Nursing”.
Werden diese Werte überschritten können Schlafstörungen, Schäden des endokrinen und des Herz-Kreislauf-Systems die Folge sein. Bereits bei einem Geräuschpegel von 60 dB werden bei Schlafenden EEG Veränderungen deutlich. Die Schlaftiefe wird reduziert und ein gesunder Mensch erwacht. Diese Grenze wird auch Aufwachschwelle genannt. Bei alten oder kranken Menschen ist diese Schwelle bereits bei 50 dB erreicht. Der gestörte Schlaf kann zu Stress und häufig auch zu einem Durchgangssyndrom mit Halluzinationen und Orientierungsstörungen führen (Klinikum Klagenfurt 2013). Kommt es zu noch länger andauernden Schlafstörungen kann dies zu einer geringeren Ansprechbarkeit des Atemzentrums auf die Partialdrücke von CO2 und O2 sowie einer Erschöpfung der Atemhilfsmuskulatur führen
Grenzwertige Lärmpegel
Mehrere Studien sehen einen Zusammenhang zwischen chronischem Lärm und steigendem Herzinfarktrisiko. Dabei wurde eine Erhöhung von bis zu 50 Prozent festgestellt und das weitgehend unabhängig davon, ob Lärm subjektiv als störend empfunden wird oder nicht. Fest steht: Dauerlärm sorgt für Daueralarm im Körper. Der Adrenalinspiegel steigt, Blutdruck und Blutfettwerte schießen in die Höhe, machen anfälliger für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dabei scheint es sogar eine direkte Interaktion zwischen dem auditorischen System und anderen Bereichen des Zentralen Nervensystems zu geben. Auch kognitive Störungen können eine Folge von Lärm sein.
Gerade auf der Intensivstation seien die hohen Geräuschpegel schädlich: Die geschwächten Patientinnen und Patienten werden von der Vielzahl akustischer Reize überflutet. Bei gleichzeitiger Einschränkung optischer Reize in den oft fensterlosen Stationen bewirke dies „enormen Stress, vielfach sogar Verwirrtheitszustände“, beschreibt Wolfgang Söllner, Direktor der Klinik für Psychosomatik am Klinikum Nürnberg. Krebskranke und Patientinnen und Patienten in Palliativstationen litten in besonderem Maße unter dem Lärm. Und auch sedoanalgesierte Patientinnen und Patienten nehmen Lärm wahr.
Eine Armee von Lärmquellen
Wissenschafter haben sich seit einigen Jahren der Untersuchung von verschiedenen Lärmquellen in Krankenhäusern angenommen. Dabei fanden sie heraus, dass die dominantesten Geräuschbelastungen von Unterhaltungen des Personals (35,4 Prozent) stammen (Landeskrankenhaus Villach 2014). Eine Unterhaltung von vier Personen, wie sie häufig bei Visiten erfolgt, liegt bei etwa 74 Dezibel. Gefolgt von Monitoralarmen (34,1 Prozent). Mit mindestens 80 Dezibel ertönen viele Alarme, so laut wie ein Streitgespräch oder ein vorbeifahrendes Auto, und damit die Grenze die als Übergang zu laut definiert wird.
Andere Lärmbelästigungen sind Anrufe, Klingeln und das Zuschlagen einer Tür, die bei 86 Dezibel liegen. Das Aufreißen von Handschuhverpackungen erreicht einen Schalldruckpegel von 86 Dezibel, das Herablassen eines Bettgitters 90 und das Fallen einer Nierenschale 95 Dezibel. Fällt die Klappe des mobilen Röntgengerätes zu, ertönt das mit bis zu 92 Dezibel, wenn die Absaugkatheter auseinandergerissen werden kommt es zu 80 Dezibel, Urinflaschen scheppern und Schränke zuklappen erreichen bis zu 76 Dezibel oder es lärmt der Sekretabsauger mit mehr als 59 Dezibel und die Geschirrspülmaschine, die mit bis zu 70 Dezibel ausgeräumt wird. Aber während Pieptöne und Alarme irritierend sein können, hat eine kleine Studie an der renommierten John Hopkins University ergeben, dass Patientinnen und Patienten sich am meisten durch die Geräusche anderer Patientinnen und Patienten gestört fühlen. Dabei handelte es sich vor allem um die Stimme von jemandem, der unter Schmerzen leidet.
Geräusche im Bereich zwischen 40 und 65 Dezibel (dB) empfinden Menschen in aller Regel als „normal“ laut. Aber schon bei einer Lautstärke von 80 bis 85 dB kann unser Gehör dauerhaften Schaden nehmen, so der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärztinnen und -ärzte.
OP-Saal und Intensivstation am meisten beschallt
Lärm tritt im Vergleich zu anderen Krankenhausbereichen auf der Intensivstation häufiger und stärker auf. Die mittlere Lautstärke gemessener Umgebungsgeräusche beträgt nachts 52,85 dB mit Höchstwerten zwischen 85,5 und 98,3 dB. Lärmpegel über 70 dB treten im Schnitt zehnmal pro Stunde auf. Auch tagsüber wird der empfohlene Lärmpegel regelmäßig überschritten. Ebenso wie nachts sind hier Personalgespräche das Hauptproblem.
Die höchsten Lärmpegel wurden allerdings in Operationssälen gemessen. Spitzenpegel über 90 dB waren die Regel, aber auch Pegel über 105 dB waren während Operationen aller klinischen Fachrichtungen über mindestens zehn Prozent der Zeit messbar, ein mit der Lautstärke einer Motorsäge oder eines Rockkonzerts vergleichbarer Wert. Langzeitschallmessungen im John Hopkins Hospital ergaben Werte zwischen 57 und 70,5 dB pro Operation, die sich auf Operationszeiträume von 19 bis 548 Minuten beziehen.
Komplikationen für Patientinnen und Patienten durch Ruhe verhindern
Der hohe Geräuschpegel hat auch für Medizinerinnen und Mediziner und Pflegepersonal verheerenden Konsequenzen. Das Personal wird krankheitsanfällig und er erhöht zudem das Risiko von Kunstfehlern. Die verbale Kommunikation wird durch hohe Geräuschpegel eingeschränkt. Überwachungsapparate und Behandlungsgeräte piepen und surren häufig im Frequenzbereich der menschlichen Sprache. Dies zwinge Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegerinnen und Pfleger dazu, noch lauter zu sprechen, was wiederum den allgemeinen Geräuschpegel hebt.
Die Lautstärke des gesprochenen Wortes muss 15 dB über der des Hintergrundgeräuschpegels liegen, um verstanden zu werden. Allerdings wird bei einem Anstieg des Sprachpegels um 10 dB die Sprachverständlichkeit aufgrund der damit verbundenen Verzerrung der Sprache um 15 bis 40 Prozent reduziert. Ab Maximalpegeln von 55 dB(A) wird bereits die Sprachverständlichkeit beeinträchtigt; mit weiterer Zunahme des Schallpegels vermindert sich die Konzentration und die Fehlerhäufigkeit steigt.
Ärztinnen und Ärzte können sich nicht richtig konzentrieren. Und sie verstehen einander womöglich falsch, etwa bei einer Anweisung während einer Operation oder der Empfehlung eines Medikamentes. Ärztinnen und Ärzten im OP wird eine hohe Konzentration abverlangt, oft über Stunden, und sprachliche Kommunikation ist in dieser Situation von höchster Bedeutung. Im Jahr 2006 fand eine schwedische Studie über die Auswirkungen der Raumakustik heraus, dass lärmbedingter Stress mit emotionaler Erschöpfung und Burn-out bei Intensivmedizinerinnen und -medizinern zusammenhängt, was wiederum die Patientinnen- und Patientensicherheit gefährdet.
Alarme oft nicht wahrgenommen
Dabei ist die Dauerbeschallung, etwa durch Alarme, nur bedingt notwendig. Bis zu 90 Prozent der Alarme sind falsch positiv, also ein Fehlalarm, der dennoch oftmals zu einer Unterbrechung der Arbeit und zu Fehlverhalten führen kann: Alarmgrenzen werden in kritische Bereiche verstellt, damit seltener ein Alarm ertönt, die Lautstärke wird so stark reduziert, dass der Alarm überhört werden kann, oder er wird gänzlich ignoriert.
Je länger das Personal einer Dauerbeschallung durch Alarmtöne ausgesetzt ist, desto länger dauert die Reaktionszeit auf Warntöne und das Risiko einer Fehlinterpretation von Warnhinweisen steigt. Die Reaktionszeit nimmt ab, da die Reize nicht mehr als Warnung registriert werden, es entsteht die sogenannte Alarm-Fatigue. Nahezu alle zwei Minuten werden das medizinische Personal sowie Patientinnen und Patienten durch akustische Alarme gestört. Je mehr Patientinnen und Patienten auf einer Station liegen, desto intensiver die Geräuschkulisse. Pro Patientin oder Patient sind es täglich zwischen 150 und 300 Alarme. Verschiedene Studien zeigen, dass jede/jeder Intensivpatientin oder -patient und dessen Behandlung mehr als sechs Alarme pro Stunde verursachen. Es wird geschätzt, dass eine Ärztin oder ein Arzt pro Schicht durchschnittlich 950 Alarme hört.
Einer Studie im Fachblatt „Critical Care“(2001) zufolge reagiert das medizinische Personal nur auf einen von zehn Warntönen. Eine Untersuchung von 2007 ergab, dass nach einem Gerätealarm teils 40 Minuten vergingen bis Hilfe kam. Therapierelevante Alarme gehen unter, werden in bis zu 50 Prozent der Fälle nicht wahrgenommen, ignoriert oder gar abgestellt in der Annahme, dass es ein Fehlalarm sei. Pflegekräfte reagieren oft nicht mehr angemessen auf die Warnsignale.
Lärmpegel steigt, Technisierung steigt
Und die Lärmpegel steigen weiter: Seit Mitte des 20. Jahrhunderts sind die Pegel um etwa 20 Dezibel angestiegen, was eine Vervierfachung der Lärmintensität bedeutet. Seit 1960 sind die Lärmpegel am Tage von durchschnittlich 57 auf 72 Dezibel (dB) gestiegen, so eine Untersuchung der John Hopkins University. Die nächtlichen Schallpegel in der Klinik kletterten im gleichen Zeitraum von 42 auf 60 dB.
Für die erhöhte Lärmbelastung gibt es vielfältige Ursachen. So ist mit der zunehmenden Technologisierung auch die Anzahl der potenziellen Geräuschquellen gestiegen. Aber auch die zunehmende Freizügigkeit im Umgang mit Besuchsregeln sorgt für eine Zunahme der Umgebungsgeräusche. „Hektik und Lärm erstrecken sich in manchen Abteilungen über den ganzen Tag“, sagt Sozialmediziner Stefan Willich. Zum Schutz ruhebedürftiger Mitpatientinnen und -patienten plädiert er, für Besucher gesonderte Besuchszimmer einzurichten.
Vernetzung von Geräten
Um Abhilfe zu schaffen, schlagen Experten vor, Alarmsysteme zu entwickeln, die Umgebungsinformationen berücksichtigen. Ein EKG-Monitor für die Herzfrequenz etwa könnte mit Sensoren gekoppelt werden, die messen, ob sich die Patientin oder der Patient gerade bewegt. Denn dann könnte man einen beschleunigten Puls etwa auf ein harmloses Muskelzittern zurückführen – und sei deshalb kein Grund für ein Warnsignal. Ein anderer Weg, um weniger Alarme bei gleichbleibender Sensitivität zu erzielen, wäre, die vorhandenen Geräte miteinander zu vernetzen. Dadurch könnte aus der Fülle an Messwerten ein klares Gesamtbild entstehen. Da in Krankenhäusern oft Systeme ganz verschiedener Hersteller zum Einsatz kommen, ist das technisch aber nicht einfach umsetzbar.
Die Vernetzung sei auch ein juristisches Problem. „In dem Moment wo zum Beispiel Medizingeräte in ein IT-Netzwerk integriert werden und mit diesem kommunizieren, liegt die Verantwortlichkeit für die korrekte Kommunikation bei dem Betreiber, das heißt bei dem Krankenhaus“, beschrieb der Experte für Intensivmedizin Dr. Michael Imhoff kürzlich gegenüber Deutschlandfunk. Sollte ein lebenswichtiger Alarm aufgrund eines Programmierfehlers ausbleiben, wäre folglich das Krankenhaus haftbar und nicht der Gerätehersteller.
Schon mit kleinen technischen und organisatorischen Veränderungen ließe sich vielerorts der Schallpegel reduzieren, sagt Professor Stefan Willich, Direktor des Instituts für Sozialmedizin an der Charité in Berlin. Als Beispiel nennt er die Alarmgeräte auf der Intensivstation: „Warum muss der Patient die Pieptöne hören? Sie könnten nach außen geleitet werden.“ Eine Umstellung der akustischen Monitoralarme auf Vibration oder visuelle Signale könnte die Lärmbelastung reduzieren.
„Badezimmer“-Akustik
Neben Lärmquellen wie Alarmen und Gesprächen gibt es auch andere indirekte Geräuschquellen wie Wände, Böden und Decken, die zumeist schallreflektierend anstatt schallabsorbierend sind. Dabei handelt es sich um das Problem der sogenannten Badezimmer-Akustik. Im Krankenhaus könne man keine Teppiche auf die Böden legen, und sie können auch kein poröses Material an der Decke anbringen, weil dort Bakterien hinein gelangen und die notwendigen hygienischen Bedingungen gefährden können.
Diesem Problem nahm sich der Akustik-Ingenieur James West an. Er gestaltete eine Kinderklinik des John Hopkins Hospitals um und hängte große Bahnen aus schallschluckendem Material unter die Decken des Krankenhauses. Als Schallisolierung wurde ein glasfaserverstärkter Kunststoff eingesetzt, den man üblicherweise als Wärmedämmung benutzt. Da dieser nicht waschbar ist, wurde er in eine Art Mülltüte verpackt. Dafür fand West ein spezielles Material, das für eine keimfreie Umgebung geeignet ist. Es lässt sich herunternehmen und reinigen. Und die Umgestaltung zeigte Wirkung: Mit der Ausstattung konnte die so genannte Nachhallzeit, also die Zeit die verstreicht, bis ein Geräusch verhallt ist, halbiert werden.
„Healing Architecture“ und „Silent Hospitals”
Immer mehr Krankenhäuser testen lärmreduzierende Maßnahmen, etwa durch Lärmampeln oder Soundear-Systeme. Dabei messen die Geräte die Lautstärke und warnen mit Piktogrammen oder Ampelfarben vor zu hohen Lärmpegeln. Andere setzen wiederum auf Noise Cancelling-Kopfhörer für die Patientinnen und Patienten. Dieses System dient ursprünglich dazu, für Musikliebhaber Umgebungsgeräusche aus dem Hörgenuss herauszufiltern.
Ein anderes Konzept zur Lärmreduzierung sind die sogenannten „Adaptive Healing Rooms“. Die neu gestalteten Intensivzimmer, die etwa im Universitätsklinikum Münster und in der Berliner Charité bereits im Einsatz sind, verfügen über ein intelligentes Alarmsystem, das überflüssige Geräusche verhindert. Medizinische Geräte verschwinden weitgehend hinter einer Wandvertäfelung und eine Lichtsteuerung simuliert Sonnenlicht, um einen verbesserten Tag-Nacht-Rhythmus für die Patientinnen und Patienten zu erreichen. Solche Patientinnen- und Patientenräume werden mutmaßlich nur privat Versicherten vorbehalten sein und auch wegen kostenintensiver Umbauten nicht für jedes Krankenhaus erschwinglich. Die „Healing Architecture“ entwickelte sich mittlerweile zu einem eigenen Forschungszweig.
Sensibilisierung des Personals
Aber es geht auch ohne Aufwendung finanzieller Mittel, wie die unter dem Namen „silent hospitals help healing“ bekannten Projektspitäler in Amerika zeigen. Ein Projekt wurde im Montefiore Medical Center unter dem Namen Silent Hospitals Help Healing (SHHH) ins Leben gerufen. Hier wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Krankenhäuser leiser zu machen. Hierbei wurden etwa Transportwägen repariert und die Telefone auf Vibrationsalarm umgestellt. Schichtübergaben sind leiser geworden und die Besucher werden angehalten, leiser zu reden. An den Türen findet man Aufkleber, mit einer Krankenschwester, die einen Finger auf die Lippen hält, der zu mehr Stille auffordert. Diese Maßnahmen führten dazu, dass der Lärmpegel von gemessenen 78 Dezibel auf Werte zwischen 50 und 60 Dezibel gesunken ist. Erste Auswirkungen waren, dass Patientinnen und Patienten deutlich besser schlafen und das Personal weniger gestresst ist.
Andere Schritte, die zur Lärmreduzierung gesetzt wurden, sind weiche Sohlen an den Schuhen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und eine Verringerung der Lautstärke der Sprechanlage. Personalschulungen sind demnach eine kostengünstige Möglichkeit, die Lärmsituation auf Intensivstationen zu verbessern.
Dass sich die Sensibilisierung des Personals als wirksam erweisen kann, zeigt auch eine Studie der Medizinischen Hochschule Hannover. Nachdem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darin geschult wurden, wie sie zum Beispiel durch weniger Gespräche und ausgeschaltete Telefone, Lärm im OP vermeiden können, sank die Lärmintensität in der dritten Phase der Studie schließlich auf die Hälfte des ursprünglichen Wertes – mit dem Ergebnis, dass es dem Personal im Operationssaal messbar besser geht, da sie in einem leiseren Umfeld arbeiten können. Dies konnte anhand der Stresshormone im Speichel, des Hautwiderstandes und des abgefragten subjektiven Empfindens auch nachgewiesen werden. Auch das Wohl der Patientinnen und Patienten steigerte sich und bei OPs gab es um bis zu 50 Prozent weniger Komplikationen.
Neu komponierte Geräuschkulisse
Ein andere Möglichkeit ist es, den Lärm mit anderen Tönen zu überdecken. Die Verwendung von weißem Rauschen etwa wird als Methode zur Maskierung von Umgebungsgeräuschen, zur Verbesserung des Schlafs und zur Aufrechterhaltung des Schlafs auf der Koronarstation empfohlen.
Auch Sounddesigner und Musiker haben sich der Problematik angenommen. Die japanische Musikerin Yoko Sen arbeitet seit einigen Jahren mit Wissenschaftern, Patientinnen und Patienten, Pflegepersonal und Geräteherstellern an verschiedenen Konzepten, um schrillende Alarmsysteme durch wohltuendere Sounds zu ersetzen. 2015 startete Sen, die vor allem elektronische Musik komponiert, ihr Projekt SenSound. Ein Hörbeispiel gibt es in diesem Videoclip. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, die einzelnen Geräusche der Überwachungsgeräte aufeinander abzustimmen. Anstatt zu riskieren, dass das Personal durch eine radikale Änderung der Alarme über Nacht verwirrt wird, empfiehlt sie einfache Anpassungen, wie zum Beispiel die leichte Änderung der Tonhöhe eines Alarms. Sen entwarf auch den „Tranquility Room“, einen Raum, der mit beruhigenden Klängen, gedämmtem Licht und Aromatherapie entspannen soll.
Einen Schritt weiter ging Judy Edworthy. Die Psychologin befasst sich seit Jahrzehnten mit der Entwicklung medizinischer Alarmsysteme. Im Juli genehmigte die Internationale Normungsorganisation eine neue Reihe von Alarmdesigns, die von Edworthy entworfen wurden und die natürliche Krankenhausumgebung nachahmen. Zu den von Health Canada anerkannten Standards gehören ein elektronischer Herzschlagton für Alarme bei Herzproblemen und eine rasselnde Pillendose für die Verabreichung von Medikamenten. Laut Edworthy können diese neuen Alarme vom Pflegepersonal und Ärztinnen und Ärzte leichter identifiziert und lokalisiert werden und gleichzeitig den Klang der Krankenhausumgebung insgesamt verbessern.
Verschiedene Klangfarben für verschiedene Parameter
Einen anderen Ansatz verfolgen Wissenschafter der Technischen Universität Delft in den Niederlanden mit ihrem Critical Alarms Lab. Seit Jahren forschen Wissenschafter dort nach patienten- und personalfreundlichen Geräuschkulissen für Intensivstationen. In ihrem Konzept „Caretunes“ sollen die Alarme durch Disharmonien ersetzt werden. So bilden beispielsweise der Herzschlag, der Sauerstoffgehalt und der Blutdruck eine harmonische Melodie. Für den Herzschlag ist ein Bass zu hören, für den Sauerstoffgehalt ein Gitarrenakkord und der Blutdruck wird durch ein Glockenspiel symbolisiert. Sollte eine der Komponenten sinken oder steigen, verändert sich jeweils die Tonhöhe. Durch die nun entstandene und hörbare Disharmonie soll erkannt werden, dass sich der Zustand der betroffenen Person gewandelt hat.
Dem Ansatz, dass verschiedene Parameter verschiedene Klangfarben haben, kann Markus Redmann, Stationsleiter der Intensivstation eines Kölner Krankenhauses, viel abgewinnen. Generell seien Alarme häufig zu unspezifisch, sie seien so geschaltet, dass das Personal zwar höre, dass etwas nicht in Ordnung sei, jedoch nicht wisse, was nicht stimme.
Geräuschkulisse minimieren, Empfehlungen der Universitätsklinik Heidelberg
- Pflegerische und medizinische Interventionen, sofern es sich um Routinetätigkeiten handelt, sollten in der Nacht vermieden werden.
- Schlaf- und Beruhigungsmedikamente sollen nicht das alleinige Mittel zur Behandlung von Schlafstörungen sein, sondern dienen immer nur der Unterstützung.
- Beschäftigung tagsüber (Mobilisation, kognitive Beschäftigung, basale Stimulation) fördert Müdigkeit, Ein- und Durchschlafverhalten.
- An einem guten Schlaf des Intensivpatientinnen und -patienten sind alle Mitglieder des interdisziplinären Teams beteiligt (Ärztinnen und Ärzte, Pflegende, Physiotherapeuten usw.)
- Die Türen zu den Patientinnen- und Patientenzimmern sollten nachts geschlossen bzw. angelehnt werden.
- Licht im Patientinnen- und Patientenzimmer reduzieren, z.B. durch abgedunkelte Modi am Beatmungsgerät.
- Lärm reduzieren, z.B. durch Lautstärkereduzierung von Alarmsignalen und Vermeidung von Privatgesprächen am Patientinnen- und Patientenbett. Sehr viel Lärm macht das Öffnen von Verpackungen, Tätigkeiten wie diese können auch auf den Gang verlagert werden.
- Patientinnen und Patienten, die gerade von der künstlichen Beatmung entwöhnt werden (‚Weaning‘), sollte man nachts Erholungsphasen gönnen. Eine druckkontrollierte ist einer druckunterstützenden Beatmung vorzuziehen.
- Eine ausführliche Anamnese zu Behandlungsbeginn mit Unterstützung der Angehörigen hilft, persönliche Vorlieben (besondere Schlafgewohnheiten etc.) der Patientin oder des Patienten im Vorfeld zu erkennen.
- Länger andauernde Besprechungen im Aufenthaltsraum oder Personalstützpunkt abhalten.
- Administrative Tätigkeiten, Arbeiten am Computer und telefonische Terminvereinbarungen nach Möglichkeit nicht im Patientinnen- und Patientenzimmer durchführen.
- Arbeitsschuhe sollten mit leisen Sohlen ausgestattet sein. (Montefiore Medical Center 2008)
- Das Anbringen von Aufklebern mit dem Hinweis auf ruhiges Verhalten, ist eine Möglichkeit, sowohl Besucher als auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer wieder an leises Verhalten zu erinnern. (Montefiore Medical Center 2008)
Weiterführendes:
WHO Leitlinien für die Beurteilung von Umgebungslärm
Lärm auf Intensivstationen und dessen Auswirkungen auf Patienten und Personal Klinikum Klagenfurt am Wörthersee 2013
Geräuschkulissen der modernen Intensivstationen, Landeskrankenhaus Villach 2014
Kletzenbauer: Untersuchung des Lärmpegels auf einer Intensivstation, TU Graz 2013
Kaliciak K, Czaplik M, Follmann A, Kirfel S, Scharrer R, Vorländer M, Rossaint R. Psychoakustische Analyse des Lärms auf der Intensivstation. Deutscher Anästhesiekongress (DAC) 2011, Hamburg
Guski M, Scharrer R, Czaplik M, Rossaint R, Vorländer M. Lärmmessungen auf der Intensivstation. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Akustik 2011, Düsseldorf. Vortrag + Abstrakt.
Kirfel S, Follmann A, Kaliciak J, Rossaint R, Czaplik M. Noise reduction on intensive care units. European Society of Intensive Care Medicine, ESICM Lives, Lisbon, 13.-17.10.2012
Follmann A, Kirfel S, Kaliciak J, Rossaint R, Czaplik M. Klinische Evaluation einer Lärmreduktion auf der Intensivstation. Hauptstadtkongress für Anästhesiologie und Intensivtherapie, 13.-15. September, 2012, Berlin.