Nobelpreisträger Steinman: Zu später Triumph für den lang Unterschätzten
2011 bekam der kanadische Immunologe Ralph Steinman, dessen zehnter Todestag am 30. September war, den „Nobelpreis für Physiologie oder Medizin“ verliehen. Unter anderem erhielt er sie für seine Entdeckung der dendritischen Zellen in den 1970er Jahren. Verbunden ist die Bekanntgabe des Preisträgers auch mit einem wohl einzigartigen Lapsus in der Geschichte des Preises. Steinmans Forschung war übrigens nicht immer so angesehen wie heute.
„He´s chasing an artefact“, er jage quasi ein Phantom. Das wurde Steinmans ehemaliger Praktikantin Sarah Schlesinger Mitte der 1970er gesagt, als sie ihren Ferialjob an der New Yorker Rockefeller University antrat. Und sie solle sich doch besser „jemand anderen suchen, bei dem sie arbeiten könne“, erzählt Schlesinger, die heute selbst Professorin für Klinische Forschung an exakt jener Universität ist, in einem Radiointerview.
Schlesinger tat allerdings genau das Gegenteil von dem, was ihr damals geraten wurde. Sie war nicht nur von Steinmans Forschungsergebnissen überzeugt, sondern freundete sich auch mit ihm an. Steinman galt als dynamische, mitreißende und optimistische Persönlichkeit. Jeden Sommer und in den Semesterferien während ihres Medizinstudiums kam sie also zurück, um zu lernen und dem Forscher über die Schulter zu schauen. „Ralph war immer außerordentlich gut vorbereitet, und so lag es quasi in der Luft, dass er eine wichtige Entdeckung machen würde. Doch letztlich war es sein untrügliches Gespür, das ihn die wichtige Rolle der dendritischen Zellen erkennen ließ“, erinnert sich Schlesinger an diese Zeit.
Um was ging es nun aber bei Steinmans Forschungen? Kürzestgefasst: Um das menschliche Immunsystem. Steinman selbst verglich dieses gern mit einem Orchester, jeder Zelltyp habe eine bestimmte Aufgabe. Und die dendritischen Zellen, also welche er entdeckte, waren für ihn „die Dirgenten, diejenigen, die dem Immunsystem sozusagen das Zeichen für seinen Einsatz geben.“ Dabei waren eben diese Zellen jahrzehntelang ein Stiefkind der Immunolgie und Steinmans Forschung selbst wurde kleingeredet und nicht ernst genommen.
Er selbst glaubte aber unbeirrbar an die Wichtigkeit seiner Entdeckung und bewies, dass „seine“ dendritischen Zellen sozusagen Wächter des Immunsystems sind und das gleichermaßen bei der angeborenen sowie der erworbenenen Immunantwort. Er zeigte, dass sie die zwei Haupt-Inhibitoren der T-Zell-aktivierten Immunantwort sind. Die dendritischen Zellen lehren die T-Zellen, die ein Teil der weißen Blutkörperchen sind, sozusagen, was zu tun ist. Ob und welche Abwehrzellen angefordert werden müssen.
Das Ziel: Immunzellen gegen den Feind scharfmachen
Steinmans Forschung bewegte sich also wie gesagt recht lange unter dem Radar der Scientific community. Erst ab Mitte der 1990er Jahre kam die Wende. Seine Arbeit wurde nunmehr gar als bahnbrechend für die Erforschung des Immunsystems anerkannt, sicherlich eine Genugtuung für den nach wie vor in New York forschenden Kanadier. Eine Konsequenz war, das Steinman seither mit Preisen und Auszeichnungen geradezu überhäuft wurde. Unter anderem gewann er den renommierten, kanadischen Gairdner Prize (2004), den bedeutenden, amerikanischen Lasker Preis für medizinische Grundlagenforschung (2007) und den deutschen Robert Koch Preis (1999). Letztere werden übrigens beide gerne als Prognosemarker für einen künftigen Nobelpreis zitiert.
Apropos: Seine Tochter Alexis erzählt, „mein Vater und die gesamte Familie waren einige Jahre lang jeden Oktober sehr nervös.“ Bekanntlich werden im Oktober die Nobelpreise verliehen – und Steinman stand tatsächlich einige Jahre lang auf der Liste der Nominierten. Schließlich verging aber Jahr um Jahr ohne die begehrte Auszeichnung und Steinman begrub seine Hoffnung auf den Nobelpreis langsam.
Was den Workaholic aber nicht davon abhielt, weiterhin intensiv zu forschen und zu arbeiten. Er plante schließlich Großes: Medikamente oder gar Impfstoffe mitzuentwickeln, die Krebs oder HIV bekämpfen. Dabei wollte er neue Wege, unser Immunsystem zu nutzen, ausloten. Die Krux: Krebszellen sowie etwa HI-Viren tricksen das Immunsystem aus, überwinden das grundsätzlich sehr potente menschliche Abwehrsystem zudem und nutzen es sogar für ihre Zwecke. Deswegen galt es hier, neue Wege zu beschreiten, anders als bei althergebrachten Impfungen.
Dabei wollte Steinman auf die „Intelligenz“ der dendritischen Zellen zurückgreifen, denn diese hat anders als andere Zelltypen Zugang zu den Lymphknoten. Dendritische Zellen übernehmen sozusagen das profiling eines Eindringlings, nehmen diesen auf und machen sich damit auf den Weg in die Lymphknoten. Dort zeigen sie den T-Zellen quasi das „Fahnungsfoto“ und rufen damit Teile des Immunsystems zur Abwehr auf.
Steinmans Grundidee war es nun, weitergedacht, die dendritischen Zellen mit detaillierten Informationen rund um den bekämpfenden Gegner zu füttern, um schlußendlich das Immunsystem ganz spezifisch und zielsicher „scharf“ zu machen.
Wagemutige Forschung am eigenen Körper
Eine Wende zum Schlechten nahm sein Leben allerdings, als er 2007 an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankte. Eine Krebsart, die nicht nur besonders aggressiv ist und hohe Mortalitätsraten aufweist, sondern bei Steinman selbst auch schon in die Lymphknoten gestreut hatte. Die Überlebenschancen waren dementsprechend schlecht und er, der Mediziner und Forscher, wusste selbstredend darum. Dass er dennoch vier Jahre trotz dieser schlechten Prognose überlebte, verdankt er mit hoher Wahrscheinlich seinem immensen Wissen um das Immunsystem und dem Mut, seine Erkenntnisse an sich selbst auszuprobieren.
Nachdem ihm beim so genannten Whipple ein Teil der Bauchspeicheldrüse operativ entfernt wurde, wurde auf Basis des Tumors mithilfe kundiger Kollegen und Forscher ein spezieller Impfstoff angefertigt. Basierend auf dendritischen Zellen aus Steinmans Blut, die mit RNA aus dem entnommene Tumorgewebe angereichtert war, wurde der Patient damit behandelt, Teil einer experimentellen Therapie vom Feinsten. Zudem war Steinman Teilnehmer einiger klinischer Studien und sammelte emsig Daten zu seinem eigenen Fall.
Ein Happy End gab es nur bedingt: Ralph Steinman starb am 30. September 2011 an einer Lungenentzündung. Als (zu) späten Triumph erhielt er aber den so lang erhofften Nobelpreis gemeinsam mit seinen Forscherkollegen Jules Hoffmann und Bruce Beutler exakt drei Tage nach seinem Tod. Ein wohl einmaliger Lapsus passierte dem Nobelpreiskommitee im Zuge dessen: Man wusste in Stockholm schlicht nicht, dass der solchermaßen Geehrte bereits verstorben war. Und posthum werden laut den Statuten keine Nobelpreise verliehen. In diesem Fall wurde Steinmans Arbeit trotzdem, nach einer Debatte des Kommitees darüber, mit dieser bekanntesten und prestigeträchtigsten aller Auszeichnungen belohnt.
Steinmans Überlebenszeit trotz aggressivem Krebs war überdurchschnittlich lang und „es gibt keinen Zweifel, dass eine der Therapiemaßnahmen dafür verantwortlich war“, meint seine ehemalige Schülerin Sarah Schlesinger. Rund um die dendritischen Zellen und deren Nutzen wird intensiv geforscht. Es könnte die nächste ganz große Zäsur in der Krebstherapie sein. Ralph Steinman ist der Vater dieser Entwicklung, der sich damit in den Wissenschaftsannalen verewigt hat.
Zur Person
Ralph Marvin Steinman (* 14. Januar 1943 in Montreal; † 30. September 2011 in New York City) war ein kanadischer Immunologe und Professor an der Rockefeller University in New York City. Im Jahr 2011 erhielt Steinman posthum, gemeinsam mit Bruce Beutler und Jules Hoffmann, den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.