Wissen als Chance
Seit fast 30 Jahren leistet Maria Hengstberger, Gynäkologin aus Wien, Entwicklungshilfe in Afrika, indem sie Wissen über Mutterschutz, Familienplanung und Mutter-Kind-Gesundheit weitergibt. Und das mit einem unermüdlichen Einsatz und oft ganz einfachen Mitteln.
Vor 29 Jahren wurde Maria Hengstberger von einem Entwicklungshelfer gefragt, ob sie mithelfen möchte, eine Klinik in Äthiopien aufzubauen und einen Helfer, der bereits gewisse medizinische Grundkenntnisse hatte, in Geburtshilfe und Gynäkologie auszubilden. Damit begann für die Ärztin ihre lange, unermüdliche und engagierte Arbeit für die Menschen in Afrika.
Geburtenkontrollkette
Damals gab es bereits viele NGOs, die Entwicklungshilfe leisteten, aber Hengstberger war nicht immer einverstanden, wie diese arbeiteten. „Sie gaben und geben den Menschen sehr viele Möglichkeiten zu überleben, aber es fehlt oft an der Wissensvermittlung von Grundsätzlichem.“ 1989 fand die Ärztin beispielsweise in Äthiopien weder Möglichkeiten noch Wissen zur Schwangerschaftsverhütung, und so hat sie sich gedacht, man müsse den Frauen beibringen, wann sie ihre fruchtbaren Tage haben – die Initialzündung für die Geburtenkontrollkette. „Ich habe diese inzwischen berühmt gewordene Geburtenkontrollkette zusammen mit afrikanischen Frauen entwickelt“, erzählt Hengstberger über ihre Idee, Frauen auf einfache Weise Wissen über ihren Zyklus näherzubringen. Diese Halskette besteht aus Perlen in verschiedenen Farben, welche die verschiedenen Zyklustage symbolisieren. „Jeden Tag ziehen die Frauen einen Gummiring weiter und wissen so, wann sie ihre unfruchtbaren oder fruchtbaren Tage haben“, erklärt die Gynäkologin das Prinzip, zudem haben die Frauen damit ihren Zykluskalender stets bei sich. 1995 gelang die Kette über Vermittlung der Organisation „Pastoral des Kindes“ der brasilianischen Bischofskonferenz zur Georgetown University in die USA, die auf dieser Basis die wissenschaftlich fundierte „Standard Days Method“ entwickelte. „Irgendwie ist dabei mein Name verloren gegangen und die Kette wurde von anderen patentiert und verbreitet sich nun unter dem Begriff ´CycleBeads´ in der Welt“, bedauert Hengstberger. In der Folge wurde mit den Forschern der Georgetown University Kontakt aufgenommen, um die Herkunft der Methode klarzustellen und eine Zusammenarbeit zu erreichen, dieses Bemühen blieb jedoch ohne Erfolg. „Aktion Regen“ gestaltet aktuell die Perlen für die fruchtbaren Tage in einer an Babys erinnernden Form, um die Verständlichkeit noch weiter zu fördern. Daher wird sie nun auch „Babykette“ genannt.
Warum „Regen“?
Schon kurz nach der Entwicklung der Kette verbreitete sich diese mit Hilfe von vielen Organisationen in aller Welt und leitete damit den Beginn von „Aktion Regen“ ein. Denn Hengstberger wollte diese einfache Methode der Aufklärung auch selbst in die Welt bringen und gründete deshalb ihren Verein für Entwicklungszusammenarbeit „Aktion Regen“. Warum Regen? „Weil ich Regen mit Wissensvermittlung, mit Wasser an den Wurzeln, verbinde. Es hat überhaupt keinen Sinn, wenn man den Menschen in allen Richtungen hilft, aber nicht parallel dazu Wissen vermittelt.“ Sie brauchte aber Geld, um ihr Vorhaben umzusetzen. Ideenreich wie die Medizinerin ist, hielt sie in Österreich zu den unterschiedlichsten Gesundheitsthemen Vorträge mit dem Titel „Biete Wissen gegen Spende“ und konnte damit erste Unterstützer für ihren Verein finden und Mitarbeiter in den Entwicklungsländern ausbilden und erhalten. Inzwischen betreibt der Verein fünf Gesundheitszentren und Kliniken und finanziert sich ausschließlich durch Spenden. „Ich muss langsam schauen, dass wir zu Geld kommen. Vielleicht schicke ich einmal zwei Rainworker zu Bill Gates“, ist Hengstberger nie um eine Idee verlegen, wenn es um ihr Herzens- und Lebensprojekt geht.
Unterrichtsbehelfe
In den nächsten Jahren entwickelte die umtriebige Ärztin weitere Unterrichtsbehelfe und Skripten für Workshopmappen, die sie „Wissen als Chance“ nannte, um noch mehr Wissen über Familienplanung, Mutter-Kind-Gesundheit oder HIV/Aids-Prävention zu verbreiten. „Ich habe mich gefragt, wie ich dieses Wissen in Form bringen kann, damit auch Menschen mit wenig Schulbildung begreifen können, damit es wiederholbar ist und ins Unterbewusstsein gelangen kann.“ Viele Jahre gab sie dieses Wissen weiter unter dem Motto „Knowledge as a chance – Education – Motivation – Innovation“. „Education, Bildung, ist klar. Motivation ist für mich sehr wichtig, denn ohne diese geht nichts. Und die Innovation waren die Unterrichtsbehelfe, die ich gemacht habe.“ Im Laufe ihrer Arbeit kamen neben der Babykette noch die „Little Mom“, ein Gebärmuttermodell aus Stoff, das die Aufklärungsarbeit erleichtert, und die Mutterschutzuhr als weitere Tools hinzu. „Ganz wichtig ist das Thema Mutterschutz und die notwendige medizinische Erholungsphase zwischen den Geburten. Es hält sich leider verbissen die Meinung, wer stillt, kann nicht schwanger werden und in dieser Unwissenheit liegt die hohe Müttersterblichkeit“, erklärt Hengstberger den Hintergedanken zu der Mutterschutzuhr. Diese zeigt leicht verständlich die Phasen einer gesunden Mutterschaft auf: Schwangerschaft, Geburt, Stillphase mit Empfängnisschutz und Phase ohne sicheren Schutz vor einer nächsten Schwangerschaft. Die Frau selbst kann die Mutterschutzuhr als Kalender verwenden, in dem sie monatlich – beispielsweise zur Vollmondzeit – das Gummiband der Karte um eine Kerbe weiterzieht. Dieses Amulett sei auch für die Männer ein wichtiges Tool, denn dadurch sehen sie, dass es wichtig ist zu verhüten, denn sonst könnte die Frau sterben. „Wenn das einmal in der Gewohnheitslade ist, wie ich das nenne, dann hält das“, ist die Gynäkologin überzeugt.
Brückenbauer
Nach zehn Jahren Arbeit mit vielen Unterstützern und ehrenamtlichen Helfern habe Hengstberger geglaubt, ihr Konzept sei aufgebaut. „Doch dann kam ein Mitarbeiter in Ruanda zu mir und fragte mich, was er mit einer abgelaufenen Dreimonatspackung der Antibabypille machen solle. Da habe ich gemerkt, dass er sich da eigentlich überhaupt nicht auskennt.“ Somit wurde die Idee der so genannten „Rainworker“ geboren. „Das sind von der Aktion ausgebildete Fachkräfte, die wirklich Regen nach Afrika bringen, durch Wissen für alle.“ Mit Hilfe von engagierten Ärztinnen, Ärzten und Helfern wurden dann die ersten Rainworker-Workshops in Ruanda aufgebaut. Dabei werden Fachkräfte im Gesundheits-, Sozial- und Jugendbereich zu den Themen nachhaltige Familienplanung, sexuelle Gesundheit, Mutter-Kind-Gesundheit und HIV/AIDS-Prävention aus- bzw. weitergebildet. Als „Rainworker“ geben sie das Wissen zu den vermittelten Themen auch mithilfe der Unterrichtsbehelfe und anderen Aufklärungstools an die Menschen, mit denen sie täglich arbeiten, weiter. Diese Worker kommen aus der Bevölkerung der Communities oder Religionsgemeinschaften, sind Jugendliche oder auch Verantwortliche für Gesundheit, Erziehung und Community Based Care. „Sie fungieren dabei vor allem als Brückenbauer zwischen den Kulturen und zum Volk und sind Menschen, die die Bevölkerung wirklich ansprechen, weil sie an diese glauben.“ Mittlerweile gibt es 450 Rainworker in Ruanda, Äthiopien, Kenia, Tansania, Uganda, Guinea, Burkina Faso, Mali und im Sudan.
You get what you give
Hengstbergers Tatendrang ist ungebrochen, obwohl sie sich bereits im 77. Lebensjahr befindet. Nur ihr Arzt habe ihr geraten, weniger zu fliegen. „Da, wo ich hinkomme, sind eben keine Herzoperationen möglich.“ So müssen eben jetzt von ihr noch direkt ausgebildete Mitarbeiter die Arbeit direkt in Afrika weiterführen. Zudem sucht der Verein überall Unterstützung, vor allem auch „Kolleginnen und Kollegen, die bereit wären, vielleicht einmal eine Rainworker-Ausbildung zu übernehmen“. Es müsse nur jemand sein, der mit Engagement mit Menschen umgehen kann und Freude an der Arbeit habe. „You get what you give“, ist die engagierte Ärztin überzeugt. „Die innere Einstellung macht natürlich alles im Leben aus und ich bin überzeugt, dass es viele Ärztinnen und Ärzte gibt, die diese Arbeit als wichtig, attraktiv, notwendig und zielführend sehen.“ Dabei müssten die Mediziner zwei Wochen im Jahr in Afrika einen Rainworker-Workshop leiten, eine Ausbildungswoche und dann ein halbes Jahr später einen Refresher Kurs. „Wenn man das mit Liebe macht, ist das eine Bereicherung fürs Leben.“ Hengstberger ist davon überzeugt, dass sich die Afrikaner selbst helfen müssen, aber „man muss ihnen die Hand und eine Möglichkeit geben“.