200 Jahre Medizingeschichte in einem Hof
Bereits 1885 entschied der Akademische Senat der Universität Wien, verdiente Professoren posthum mit Denkmälern zu ehren – allerdings frühestens fünf Jahre nach deren Tod. Aufgestellt sind die meisten Denkmäler im zentral gelegenen Arkadenhof, der insgesamt 153 Büsten beziehungsweise Gedenktafeln zählt. 53 davon sind Ärzten gewidmet. Regelmäßig – und nun zum letzten Mal – begibt sich Hans-Peter Petutschnig bei medinlive auf eine Zeitreise zu den Spuren der alten Wiener Medizin.
Dem Bau der Wiener Hauptuniversität, heute Universitätsring 1, ging eine jahrelange kontroversielle Debatte voraus. Bereits 1858 fiel der Beschluss für den Bau des neuen Universitätsgebäudes. Es sollten aber weitere 15 Jahre vergehen, bis dann tatsächlich mit dem Bau begonnen werden konnte. Als Architekt wurde Heinrich Freiherr von Ferstel gewonnen – der paradoxerweise lange gegen den Standort protestierte, befürchtete er doch die optische Konkurrenz mit der ebenfalls von ihm erbauten nahegelegenen Votivkirche.
Ferstel war es nicht beschieden, die Fertigstellung der Universität zu erleben: Er starb am 14. Juli 1883, auf den Tag genau zehn Jahre nach Baubeginn. Fertiggestellt wurde der Bau dann durch seinen Schwager Heinrich Freiherr von Köchlin sowie seinen Sohn Max von Ferstel. Die feierliche Eröffnung fand am 10. Oktober 1884 in Anwesenheit des Kaisers statt. Insgesamt kostete der Bau mehr als 7,6 Millionen Gulden, nach heutigem Wert in etwa 155 Millionen Euro.
Der Arkadenhof der Universität präsentiert sich heute als Ruheoase inmitten der Stadt. Er ist aber auch Beweis für die enormen wissenschaftlichen Leistungen, die an dieser Universität erbracht wurden, erkennbar an den zahlreichen Büsten und Gedenktafeln, die ihn umgeben – mit einem klaren Schwerpunkt in der Medizin. Hier eine kleine Auswahl bekannter (und weniger bekannter) Mediziner, die alle Medizingeschichte geschrieben haben und denen im Arkadenhof ein bleibendes Denkmal gesetzt wurde; die Reihenfolge entspricht einem Rundgang im Uhrzeigersinn:
Gerard van Swieten (1700-1772)
Er galt als einer „der gelehrtesten Männer von Wien“ und begründete den hervorragenden Ruf der Wiener Medizinischen Schule. Maria Theresia berief den Holländer 1745 als Leibarzt des Herrscherhauses von Leyden – damals eine der besten Universitäten Europas – nach Wien. Hier reorganisierte van Swieten das Medizinstudium, führte den klinischen Unterricht – „Weg vom Buch, hin zum Bett“ – in die Ausbildung der Ärzte ein, gründete 1755 die neue Universität – heute Akademie der Wissenschaften, Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 2 – und reformierte, in seinem Bereich autoritär wie Maria Theresia, das damals doch recht verwahrloste österreichische Gesundheitswesen.
Jan Ingen-Housz (1730-1799)
Mit 16 Jahren begann Ingen-Housz sein Studium in Löwen, das damals zu den österreichischen Niederlanden gehörte, promovierte mit 23 Jahren und unternahm ausgedehnte Bildungsreisen nach Paris und Leiden. Ingen-Housz war ein Vorreiter der Impfung gegen Pocken. Er entnahm Patientinnen und Patienten, die an einer leichten Form von Pocken litten, ein Serum und injizierte es gesunden Menschen, die dann entsprechende Antikörper entwickelten. So impfte er die gesamte Familie am königlichen Hof in England, bis ihm schließlich Maria Theresia eine Stelle am Hof in Wien als Leibarzt anbot.
Carl von Rokitansky (1804-1878)
Rokitansky gilt mit Josef von Škoda und Ferdinand von Hebra als Mitbegründer der „Zweiten Wiener Medizinischen Schule“. Durch sie wurde ein Paradigmenwechsel in der Medizin eingeläutet.
Die pathologische Anatomie war damals nicht von Bedeutung. Mit Rokitansky änderte sich das schlagartig: Die Anatomie müsse im Dienste der Wissenschaft stehen, dadurch ermögliche sie dem Arzt neue Diagnosestellungen und Therapiemöglichkeiten, lautete sein Credo. Insgesamt verfasste Rokitansky 60.000 Obduktionsbefunde – angeblich hat er 30.000 Obduktionen selbst durchgeführt. Sein Standardsatz bei den Befunden lautete: „Aus diesem Leichenbefunde geht hervor …“.
Karl Landsteiner (1868-1943)
Um 1900 bemerkte Landsteiner, dass Blut zweier Menschen beim Vermischen oft verklumpte: „Das Serum gesunder Menschen wirkt nicht nur auf tierische Blutkörperchen agglutinierend, sondern öfters auch auf menschliche, von anderen Individuen stammende. Es bleibt zu entscheiden, ob diese Erscheinung durch ursprünglicher individuelle Verschiedenheiten oder durch erfolgte Einwirkung von Schädigungen etwa bakterieller Natur bedingt ist. Thatsächlich fand ich das erwähnte Verhalten bei Blut, das von Schwerkranken herrührte, besonders ausgeprägt.“ Landsteiner gilt als Entdecker des AB0-Systems der Blutgruppen, wofür ihm 1930 der Nobelpreis für Medizin verliehen wurde..
Julius Tandler (1869-1936)
Tandlers Verdienste – er kam aus bescheidenen Verhältnissen und musste sich das Geld für den Besuch des Gymnasiums und des weiteren Studiums selbst verdienen – lagen vor allem im sozialen und Fürsorgebereich. Er errichtete in Wien zahlreiche soziale Einrichtungen, die heute noch bestehen, wie Mütter-, Ehe- sowie Trinkerberatungsstellen. Tandler engagierte sich im Bereich der Kinder- und Jugendarmenfürsorge und bekämpfte intensiv die zur damaligen Zeit noch sehr hohe Säuglingssterblichkeit. Durchaus kritisch gesehen werden heute Tandlers Ansichten allerdings im Bereich der Bevölkerungspolitik. In einem 1924 verfassten Aufsatz zu „Ehe und Bevölkerungspolitik“ finden sich unter anderem der Satz: „Welchen Aufwand übrigens die Staaten für völlig lebensunwertes Leben leisten müssen, ist zum Beispiel daraus zu ersehen, daß die 30.000 Vollidioten Deutschlands diesem Staat zwei Milliarden Friedensmark kosten.“
Ferdinand von Arlt (1812-1887)
Arlt gehört zu den wichtigsten Ärzten in der Augenheilkunde. Er hat die Ophtalmologie systematisch in Prag und Wien aufgebaut. Unter anderem erkannte er die Verlängerung des Bulbus, ein kugelförmiges, in der Augenhöhle liegendes Organ, als Ursache für die Kurzsichtigkeit und wandte neue Methoden zur Operation des Augapfels und der Linse an. Arlt war Mitherausgeber der ersten augenärztlichen Fachzeitschrift „Archiv für Ophtalmologie“.
Emil Zuckerkandl (1849-1910)
Hört man den Namen Zuckerkandl, denkt man zuerst wohl an die literarischen Salons der Bertha Zuckerkandl-Szeps. Sie ist die Frau von Emil Zuckerkandl, einem Anatomen aus Györ, der bei Josef Hyrtl und Carl von Rokitansky studierte und sich große Verdienste um die Forschung zur Schädelkunde erwarb.
Ferdinand von Hebra (1816-1880)
Hebra war maßgeblich an der Neuordnung von Hauterscheinungen beteiligt – was revolutionär war, da man damals noch der Ansicht war, dass Krankheiten durch eine Form von Säftefehlmischung (Arabische Humoralpathologie) nach außen dringen. Mithilfe von Selbstversuchen konnte er 1844 nachweisen, dass es sich bei der Krätze um eine parasitäre Hauterkrankung handelt. Durch das Wirken Hebras wurde Wien Mittelpunkt der damaligen dermatologischen Forschung.
Josef Hyrtl (1810-1894)
Als Anatom strebte Hyrtl eine Verknüpfung der Anatomie mit den praktischen Fächern der Medizin an. Er begründete das Museum für vergleichende Anatomie in Wien und versorgte viele anatomische Museen weltweit mit Präparaten.
Ludwig Mauthner (1840-1894)
Mauthner (nicht zu verwechseln mit Ludwig Wilhelm Mauthner von Mauthstein, dem Kinderarzt und Mitbegründer des St. Anna Kinderspitals, siehe Seite 62) war Augenarzt und führte zahlreiche neue Methoden in der Augenchirurgie ein. Interessant sind seine Familienverhältnisse, mit starkem Russlandbezug: In zweiter Ehe war Mauthner mit Rebecca Brodskyj verheiratet. Sie war die Schwester des ukrainischen Unternehmers Lasar Brodskyj und eine der reichsten Frauen des Russischen Kaiserreichs.
Clemens von Pirquet (1874-1929)
Es war Pirquet, der den Begriff der Allergie einführte. Er erkannte als erster, dass Antikörper nicht nur schützende Immunantworten, sondern auch Überempfindlichkeiten auslösen können. Weit weniger bekannt ist, dass er sich auch große Verdienste in der Erforschung von Säuglingsernährung erwarb. Er entwickelte ein eigenes Ernährungssystem (NEM / Nähreinheit Milch).
Hinweis: Besichtigt werden kann der Arkadenhof bei freiem Eintritt während der Öffnungszeiten der Universität Wien.
Hans-Peter Petutschnig ist seit vielen Jahren für die Pressearbeit und den Verlag der Wiener Ärztekammer verantwortlich. Er ist zudem stellvertretender Kammeramtsdirektor der Ärztekammer für Wien und organisiert zahlreiche kulturelle Veranstaltungen für Ärztinnen und Ärzte. Zusammen mit der staatlich geprüften Wiener Fremdenführerin sowie Kunst- und Kulturvermittlerin Bibiane Krapfenbauer-Horsky hat er das Buch „Auf den Spuren der alten Heilkunst in Wien – Medizinische Spaziergänge durch die Stadt“ verfasst.