Schlaganfall
Schlaganfall

„Partizipative Forschung steckt noch in den Kinderschuhen"

25.000 Menschen erleiden in Österreich jährlich einen Schlaganfall. Klinische Forschung bringt zwar neue Therapien hervor, die das Leben nach einem Schlaganfall erleichtern. Die Betroffenene selbst werden allerdings normalerweise nicht in die Planung und Durchführung der Studien einbezogen. Das Innsbrucker Forschungszentrum VASCage (Research Centre on Vascular Ageing and Stroke) geht nun neue Wege: Im Projekt ACTpatient gestalten Menschen mit Schlaganfall den Forschungsprozess von Anfang an mit. medinlive hat den VASCage Forscher und Neurologen Michael Knoflach dazu befragt.

Eva Kaiserseder

medinlive: VASCage gilt als dasjenige Schlaganfall-Forschungszentrum Österreichs bzw. Europas mit primär klinischem Schwerpunkt. Welche aktuellen Zielsetzungen hat das Team und wie lässt sich das neue Projekt ACTpatient skizzieren?

Michael Knoflach: VASCage ist tatsächlich eines der wenigen klinisch ausgerichteten Forschungszentren für Gefäßerkrankungen weltweit. Unser ambitioniertes Ziel ist, ein gesundes Altern zu fördern. Dazu arbeiten wir auf vielen Ebenen. Zunächst wollen wir die Mechanismen der Gefäßalterung besser verstehen und herausfinden, was gesundes Altern fördert und wie man Schlaganfällen am besten vorbeugen kann.

Dazu bedienen wir uns großer Patientenkohorten und modernster Analysetechniken. Natürlich werden wir nie alle Herz-Kreislauf-Erkrankungen verhindern können. Deshalb beforschen wir auch alle Aspekte der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit einem besonderen Fokus auf den Schlaganfall. Unsere Forschungsprojekte beschäftigen sich u.a. mit neuen Therapieformen von der Akutbehandlung bis zur Rehabilitation sowie mit der Strukturierung und Optimierung der Schlaganfallnachsorge. Im Zentrum der klinischen Forschung stehen natürlich die Patient:innen. In unserem Sprachgebrauch wird dies als „Forschung am Menschen“ bezeichnet. Dies ist allerdings eine veraltete Sichtweise, da Patient:innen nicht Zellkulturen in einem Laborschrank sind. Deshalb will ACTpatient nicht Forschung „am“ sondern Forschung „mit“ Menschen durchführen. Die Sichtweise von Patient:innen sollen in alle Aspekte der Planung und Durchführung von klinischer Forschung eingebunden werden.

Bislang haben Forscher:innen sich Studienabläufe und Ziele der Forschung überlegt. Eigentlich ist es absurd, dass bislang nie jene Menschen eingebunden wurden, die es eigentlich betrifft, nämlich die Patient:innen. Als gesunder Mensch ist es oft schwer, sich in die Probleme eines oder einer chronisch Kranken hineinzuversetzen und Ziele einer Behandlung zu definieren. Auch tendieren Forscher:innen dazu die Belastungen, die mit einer klinischen Studie verbunden sind, zu unterschätzen. Zudem halten sie oft auch die Formulierungen für die Aufklärung im Rahmen einer Studie nicht verständlich genug. Deshalb haben wir eine Gruppe von Patient:innen zusammen gebracht, die uns partizipativ in Forschungszielen sowie in der Planung von klinischen Forschungsprojekten unterstützt. In regelmäßigen Treffen lernen wir wechselseitig voneinander und tauschen uns über die Sichtweisen der Foscher:innen bzw. Patient:innen aus.

medinlive: Wie verbreitet ist partizipative Forschung gemeinsam mit Patient:innen denn derzeit und in welchen Bereichen wird es angewendet? Welche Benefits erhoffen Sie sich, auch als Kliniker, davon?

Knoflach: Die partizipative Forschung steckt in Österreich in den Kinderschuhen. Sie ist hauptsächlich im anglo-amerikanischen Sprachraum etabliert und begann mit der Einbindung von Selbsthilfegruppen in die Rekrutierung von Probanden für klinische Studien. Im Rahmen dieses Prozesses stellte sich heraus, dass Beratungen durch Patient:innen in klinischer Forschung sehr wertvoll ist. Durch ACTpatient erhoffen wir uns, dass die Aufklärung, Studien und Studienziele für die Patient:innnen verständlich werden. Zum Beispiel haben wir in einem Projekt zur Behandlung von Lesestörungen nach einem Schlaganfall initial nicht bedacht, dass potentielle Studienteilnehmer:innen Schwierigkeiten haben könnten, eine mehrseitige Einverständniserklärung zu lesen und zu unterschreiben. Durch unterstützende Bilder und vorgelesene Textpassagen konnten wir dieses Problem lösen.

Ferner soll der Ablauf der klinischen Studien möglichst wenig belastend gestaltet werden. Dadurch wird auch die Motivation von Patient:innen an klinischer Forschung teilzunehmen höher und wir können unsere Studien schneller und besser abwickeln. Auch sind Forschungsziele, die von Forscher:innen als relevant erachtet werden nicht immer jene, die auch relevant für Patient:innen sind. Zum Beispiel kann trotz eines guten Behandlungserfolges eines Schlaganfalles durch Rückbildung von Lähmungserscheinungen aufgrund von Schmerzen, Konzentrationsschwäche oder Ermüdbarkeit für die Patient:innen kein Behandlungserfolg gegeben sein. Deshalb verwenden wir gerne auch Lebensqualitätserhebungen als Zielparameter im Rahmen von klinischer Forschung.

medinlive: Der Schlaganfall ist die dritthäufigste Todesursache in Österreich. Was hat sich in den letzten Jahren in der Behandlung und Prävention (Stichwort Primär-/Sekundärprävention) sowie der Rehabilitation verbessert und wo muss noch nachgeschärft werden?

Knoflach: Über die letzten Jahre hat sich viel in der Behandlung und der Prävention des Schlaganfalls verändert und verbessert. Besonders die Möglichkeit der endovaskulären Wiedereröffnung von intrakraniellen Gefäßverschlüssen (Thrombektomie) hat die Behandlung dieser schweren Schlaganfälle revolutioniert und ergänzt nun die intravenöse Lyse-Therapie, die bereits seit 20 Jahren den Grundstein der akuten Schlaganfallbehandlung darstellt.

In der Sekundärprävention haben die direkten oralen Antikoagulantien die Behandlung und damit auch die Compliance bei Patient:innen mit Vorhofflimmern deutlich vereinfacht und verbessert. Auch mit den modernen Lipidsenkern kann sichergestellt werden, dass jeder Schlaganfallpatient und Schlaganfallpatientin den individuellen Cholesterinzielwert erreichen kann. Durch die Entwicklung von strukturierten Patientenpfaden, die Alarmierung der Rettungskette bis hin zum Abschluss der ambulanten Rehabilitation konnte die Qualität der Schlaganfallversorgung in Österreich deutlich verbessert werden. Anhand des Tiroler Schlaganfallpfades konnten wir zeigen, dass diese strukturierten Handlungspfade die Lyserate in Tirol deutlich verbessert haben und auch zu einer besseren funktionellen Erholung der Patient:innen geführt hat.

Auch in der strukturierten Schlaganfall-Nachsorge konnte die Österreichische Stroke-Card-Studie, die in Innsbruck und Wien durchgeführt wurde, zeigen, dass eine strukturierte interdisziplinäre Schlaganfall-Nachsorge zu einer Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen und zu einer besseren Lebensqualität der Schlaganfall-Patient:innen führt. Als Resultat dieser Studie wurde auch mit diesem Jahr eine hochwertige ambulante medizinische Einzelleistung österreichweit genehmigt, sodass dieses Konzept österreichweit umgesetzt werden kann. Einen besonderen Fortschritt gab es im Bereich der Rehabilitation. Besonders erfreulich ist der Trend, dass nun auch vermehrt randomisierte Therapie-Studien durchgeführt werden und, dass das Wissen zur evidenzbasierten Rehabilitation rasch zunimmt. Nachbesserungsbedarf besteht sicherlich noch in der Erreichung der evidenzbasierten Zielwerte, bei der Verbesserung des Lebensstils sowie in der niederschwelligen Verfügbarkeit von psychologischer bzw. neuropsychologischer Behandlung nach einem Schlaganfall.

medinlive: Wo liegen die größten Risikofaktoren für ischämische bzw. blutige Schlaganfälle? Welche Rolle spielen Alter und Gefäßgesundheit? Und wie sieht die Geschlechterverteilung bei der Mortalität bzw. den Folgeschäden aus?

Knoflach: Grundsätzlich ist und bleibt das Altern der stärkste Risikofaktor für ischämische und blutige Schlaganfälle. Auch wenn wir das Altern per se nicht verhindern können, wissen wir noch zu wenig über die Determinanten des gesunden Alterns. Die wichtigsten modifizierbaren Risikofaktoren sind wahrscheinlich weitläufig bekannt und sind Tabakkonsum, unkontrollierte arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie und ein unzureichend behandelter Diabetes mellitus. Schützend wirkt eine regelmäßige sportliche Betätigung sowie eine ausgewogene und gesunde Ernährung.

Es werden häufig geschlechtsspezifische Unterschiede in der Schlaganfallbehandlung und -erholung international berichtet. Wir konnten anhand des Österreichischen Schlaganfalleinheitenregisters, einem Qualitätssicherungsprogramm, an dem alle Stroke Units in Österreich teilnehmen, zeigen, dass die Versorgung von Männern und Frauen nicht unterschiedlich ist. Dennoch zeigen Frauen nach einem Schlaganfall eine schlechtere funktionelle Erholung, jedoch eine niedrigere Sterblichkeit nach 3 Monaten.

medinlive: Wo sehen Sie persönlich die größten Fortschritte in Diagnose, Prävention, Therapie und Rehabilitation?

Knoflach: Wie bereits oben erwähnt, sind neben den neuen therapeutischen Möglichkeiten für schwerste Schlaganfälle in der Akutphase sowie der Möglichkeit der längeren Akuttherapie durch erweiterte Bildgebung und der neuen Möglichkeit in der Sekundärprävention, hauptsächlich die Schaffung von strukturierten Nachsorgeprogrammen und Patientenpfaden, der größte Fortschritt. In Österreich steht flächendeckend ein exzellentes Angebot in der Behandlung und Rehabilitation von Schlaganfällen. Bis vor wenigen Jahren war der Zugang zu diesen Therapien oftmals nicht einfach und nicht zentral geregelt. Patient: innen und deren Angehörigen haben im Rahmen eines akuten Schlaganfalls ohnehin schon mit vielen psychischen und sozialen Problemen zu kämpfen, sodass das Einholen von Informationen und das Besuchen verschiedenster Stellen kaum möglich ist.

Durch die Definition von klaren Abläufen wird es allen Patient:innen ermöglicht, optimal betreut zu werden (z.B. dem Übergang aus dem Akut-Krankenhaus zur stationären Reha bzw. ambulanten Rehabilitation bzw. der Zugang zu strukturierten Nachsorgeuntersuchungen). In all diesen Bereichen gibt es aber auch noch viel Forschungs- und Innovationspotenzial. Dieses zu nutzen und gemeinsam mit Partnern aus Forschung und Industrie umsetzen, ist unser Ziel bei VASCage.

Fact box

VASCage GmbH ist ein medizinisches Forschungszentrum mit den Schwerpunkten Gefäßalterung und Schlaganfall. Das Forschungszentrum entwickelt Produkte, Therapien, Technologien, Services und Lösungen zur Förderung der Gefäßgesundheit und Lebensqualität nach einem Schlaganfall. Der Tätigkeitsbereich von VASCage umfasst auch die Organisation und Durchführung nationaler und internationaler klinischer Präventions-, Diagnose-,Therapie- und Rehabilitationsstudien.

VASCage

 

 

 

 

 

 

 

Michael Knoflach
Michael Knoflach will die Patient:innen stärker in die klinische Forschung einbinden. Eigentlich sei es ja absurd, dass das bisher nicht mehr passiert ist, so der Schlaganfallexperte.
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„Bislang haben Forscher:innen sich Studienabläufe und Ziele der Forschung überlegt. Eigentlich ist es absurd, dass bislang nie jene Menschen eingebunden wurden, die es eigentlich betrifft, nämlich die Patient:innen. Als gesunder Mensch ist es oft schwer, sich in die Probleme eines oder einer chronisch Kranken hineinzuversetzen und Ziele einer Behandlung zu definieren. Auch tendieren Forscher:innen dazu die Belastungen, die mit einer klinischen Studie verbunden sind, zu unterschätzen."
„Bis vor wenigen Jahren war der Zugang zu diesen Therapien oftmals nicht einfach und nicht zentral geregelt. Patient: innen und deren Angehörigen haben im Rahmen eines akuten Schlaganfalls ohnehin schon mit vielen psychischen und sozialen Problemen zu kämpfen, sodass das Einholen von Informationen und das Besuchen verschiedenster Stellen kaum möglich ist."
 
© medinlive | 02.10.2024 | Link: https://www.medinlive.at/index.php/wissenschaft/partizipative-forschung-steckt-noch-den-kinderschuhen