Wie freiwillige Helfer in der Ukraine ihr Leben riskieren
Der Ausbruch des Ukraine-Krieges ließ die Welt in Ohnmacht fallen. Gleichzeitig strömten Tausende Freiwillige aus aller Welt in das umkämpfte Land. Darunter auch der 27-jährige Krankenwagenfahrer Didrik Gunnestad aus Norwegen. Mit seinem Einsatz rettet er nicht nur Leben, sondern übergeht auch die Bürokratie.
Ein Bub mit blondem Haar klammert sich um den Hals von Gunnestad. Dieser hievt ihn in seinen Krankentransport. Wenig später sitzt der Norweger am Steuer und lenkt den Wagen aus der ostukrainischen Stadt Lviv zur polnischen Grenze. Gunnestad kam mit Ausbruch der russischen Invasion in das Land. Zunächst half er noch bei der Lieferung und Verteilung von Hilfsgütern, wie Nahrungsmitteln. Nun sammelt er kranke Menschen aus gefährlichen Gebieten der Ukraine auf und bringt sie nach Polen. Häufig ist er auch mit Ärzt:innen in Kontakt, bringt medizinische Ausrüstung zu Krankenhäusern mit Engpässen und holt dort Patient:innen aus überlasteten Krankenhäusern ab und bringt sie in weniger ausgelastete Einrichtungen. „Ein Großteil der Hilfe, die geleistet wird, wird von Freiwilligen erledigt, nicht von Regierungsbeamten“, so der Norweger.
Medikamente hin, Patient:innen retour
Gunnestad ist einer von Tausenden, die humanitäre Arbeit in der Ukraine leisten. Freiwillige wie er haben große Wirkung in dem Land. Menschen mit Kampferfahrung schlossen sich der Fremdenlegion der Ukraine an und halten dem russischen Militär stand. Ärzt:innen, Krankenschwestern und andere Helfer mit medizinischer Erfahrung halten das Gesundheitssystem des Landes am Laufen.
„Mein Einsatz hier ist ‘Learning by Doing’“, sagt Gunnestad gegenüber der „New York Post“. Gunnestad hat zuvor für Foodora in Norwegen gearbeitet. Als Russland in die Ukraine einmaschiert ist, wollte er nicht länger vom Fernseher zuhause zusehen, erklärt er. Gemeinsam mit Kollegen fuhr er zur polnisch-ukrainischen Grenze und sprang dort ein, wo Hilfe gebraucht wurde. Schnell hatte er sich auch mit anderen Freiwilligen vernetzt, oft durch Zufall, wie der Norweger berichtet. Ein Umstand, den auch der US-Amerikaner Tom Palmer von der Denkfabrik Atlas Network beobachtet hat.
Palmer sammelte mehr als ein Million Dollar an Hilfsgütern für die Ukraine, flog sie nach Polen und fuhr dann einen Teil davon selbst ein. Um herauszufinden, wo die Hilfe am dringendsten benötigt wurde, schloss sich der Amerikaner mit Freiwilligen zusammen. „Es war erstaunlich wie dieses Netzwerk entstand“, betont Palmer. „Es war nicht zentral gesteuert (...) Die Freiwilligen lösten eine Menge von Mikroproblemen, die große Hierarchien nicht sehen können.“ „Bei großen Wohltätigkeitsorganisationen wie dem Roten Kreuz gibt es eine Menge Verluste“, sagt Gunnestad. „Nicht, dass jemand den Gewinn abschöpft, aber es sind nunmal die Kosten einer großen Organisation.“
Bürokratie und Grenzkontrollen erschweren Hilfe
Bürokratische Hürden machten das Engagement der Helfer schwerer. Als Gunnestad im Sommer ein Depot in Polen aufsucht, in dem er zuvor gespendete Güter abgeholt hatte, hieß es, dass die Regeln geändert wurden, er nun einen Brief an die polnische Regierung schreiben sollte. Da keine Zeit zum Warten blieb, ging er mit leeren Händen.
Auch die ukrainische Regierung macht es den Freiwilligen häufig schwer, Waren zu liefern, etwa durch lange Warteschlangen an den Grenzen. Als Gunnestad in diesem Sommer die Grenze überquert, gab es immer noch kilometerlange Schlangen. Generell dürfen Krankenwagen die Warteschlange überspringen. „Aber manchmal gibt es einen Wachmann, dem das nicht gefällt“, sagt Gunnestad. „Wir hatten schon Patient:innen, die wegen solcher Wachen fast gestorben wären.“
Die Bereitschaft ausländischer Krankenwagenfahrer in der Ukraine zu helfen, ist ungebrochen groß. Viele melden sich freiwillig, um Hilfsgüter ins Land zu bringen, sind aber mit Beschränkung konfrontiert. „Derzeit sind nur 400 ukrainische Lastwagen pro Tag zugelassen“, berichtet Palmer. Zudem seien viele Kontrollpunkte geschlossen, beklagt Gunnestad.
An vergessenen Orten helfen
Gunnestads Team fährt seinen Angaben zufolge meist zu kleinen Krankenhäusern, die oft nur wenig Hilfe von der Regierung oder NGOs erhalten. „Wir haben die Möglichkeit an Orten zu helfen, die vergessen wurden“, sagt er. „An den Orten, in die wir fahren, gibt es niemanden, der hilft. Da gibt es nur uns.“
Generell sei die Arbeit nervenaufreibend, aber erfüllend und häufig auch gefährlich. Viele Krankenwagen wurden zur Zielscheibe von Angriffen. Auch Gunnestads Wagen ist bereits von Kugeln getroffen worden. Verletzt wurde bislang niemand „Ich war schon immer derjenige, der sich in gefährliche Situationen begibt“, sagt er. „Ich denke, diese Arbeit ist so bedeutsam, dass ich bereit bin, dafür zu sterben“.
Die Arbeit von Gunnestad und seinem Team kann auf seiner Spendeseite GoFundMe unterstützt werden. Sein Team „Ukraine - wir sind auf dem Weg“ betreibt drei Krankenwagen, die von einer polnischen Krankenwagenfirma übernommen wurden.
Ukraine-Hilfe
Organisationen, die sich für die Ukraine-Hilfe einsetzen, sind Ärzte ohne Grenzen, Apotheker ohne Grenzen, die Griechisch-orthodoxe Kirche, Nachbar in Not, die Caritas, das Rote Kreuz, die Diakonie, Hilfswerk International, SOS Kinderdorf und Malteser international. Knapp 69.070 Euro hat die Ärztekammer für Wien bereits zur Unterstützung internationaler Organisation in der Ukraine-Krise gespendet.
Ärzt:innen, die in der Ärzteliste eingetragen sind, können auch ehrenamtlich für die Ukrainehilfe bei Hilfsorganisationen arbeiten. Nähere Details gibt es in den wöchentlichen Ärzt:innen-News der Wiener Ärztekammer.
Wer kurzfristig Wohnraum für aus der Ukraine geflüchtete Personen zur Verfügung stellen möchte, kann sich bei der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) unter https://forms.office.com/r/GdWUeGJ2C7 eintragen. Weitere Informationen unter www.bbu.gv.at/ukraine-krise-wir-organisieren-Nachbarschaftsquartiere .
Hintergrund
Online-Karte zu Angriffspunkten in der Ukraine (gesammelt werden Beiträge aus sozialen Medien)