„Das ist maximal erschreckend!“
Multiresistente Erreger im Auge zu behalten, die Überwachung nosokomialer Infektionen oder schlicht Veto einzulegen, wenn Material verwendet wird, das nicht spitalskonform ist: Aufgaben, die zu Susanne Equiluz´-Brucks täglichem Brot als Hygienebeauftragte zählen. medinlive traf die Internistin zum Gespräch über fehlenden Nachwuchs in ihrem Fach, aktuelle Sorgenkinder — Stichwort gramnegative Bakterien — und die Schönheit statistischer Tabellen.
Es ist ein Riesenkomplex, das frühere Wilhelminenspital und die jetzige Klinik Ottakring. Wie in so vielen Krankenhäusern der Stadt Wien wird im zweitgrößten Spital der Hauptstadt derzeit an allen Ecken und Enden umgebaut, renoviert, gehämmert und verputzt.
Saisonal ist man hier natürlich aktuell stark mit RSV und Influenza beschäftigt, auch Corona war in der Klinik Ottakring ein großes Thema: Rund 30 Prozent der stationären Versorgung von Wiens Coviderkrankten wurde hier geleistet.
Susanne Equiluz-Bruck ist seit 15 Jahren Hygienebeauftragte des Spitals. „Viele wissen gar nicht, was wir in unserem Job konkret machen, was unser großer Themenkomplex eigentlich alles umfasst. Immer noch werden wir ausschließlich mit Händewaschen assoziiert. Und ja, das ist wichtig, aber nur ein Bruchteil von dem, was wir täglich tun“, erklärt sie. Tatsächlich sei die Händedesinfektion allerdings die effektivste Einzelmethode zur Vermeidung von nosokomialen Infektionen, wie sie hinzufügt.
Unter Umständen hängt diese allgemeine Informationslücke auch damit zusammen, dass es in Österreich keinen Facharzt für praktische Hygienefragen gibt, sondern Ärzt:innen „nur“ eine Zusatzausbildung machen. 18 Monate dauert diese, bis man das Diplom in Händen hält. Vielfach sind es Internisten, die sich dafür interessieren. Zwar gibt es den Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie, allerdings ist das ein eher theoretisch gelebtes Fach. „Wichtig wäre der klinisch tätige Facharzt für Krankenhaushygiene“, betont Equiluz-Bruck.
Devise: Dranbleiben
Zudem basiert die Arbeit der Hygienebeauftragten ausschließlich auf Empfehlungen, die sie aussprechen können. Weisungsgebunden sind die Kollegen deshalb nicht, obwohl das Thema für die Spitäler im Wiener Kranken- und Kuranstaltengesetz (KAKuG) fix verankert ist. Dieser Umstand kann die tägliche Arbeit dann durchaus auch einmal langwieriger gestalten. „Dranbleiben“ lautet daher auch Susanne Equiluz-Brucks Devise, mit der sie im eigenen Haus gute Erfahrungen gemacht hat.
„Wir sind an einem normalen Arbeitstag viel auf den Stationen unterwegs, etwa auf den Intensivstationen oder diversen Chirurgischen Abteilungen. Unter anderem werfen wir einen Blick auf Wundinfektionen oder bieten Antibiotikaberatung an. Und der persönliche Kontakt mit den Kollegen ist ohnehin immer von Vorteil“, so Equiluz-Bruck.
Die Präsenz auf den Abteilungen hat sich bezahlt gemacht. So schärfte man auf einigen Stationen das Bewusstsein für Dinge wie etwa einen „sparsameren“ Umgang mit Harnkathetern, Stichwort Harnwegsinfektionen. „Es ist spannend zu sehen, wie die Kollegen da auch wirklich bemüht sind, den Einsatz nicht nur kurzfristig, sondern auf lange Sicht zu reduzieren, man merkt das anhaltende Interesse“, so die Internistin. Sie hält grundsätzlich viel von direktem Kontakt mit dem Personal, „denn vieles, was auf dem Papier gut aussieht, sollte einfach vor Ort auf den Stationen noch einmal besprochen und überprüft werden.“
Präventionsgedanke omnipräsent
Sie selbst ist damals relativ ungeplant auf das Thema Hygiene gestoßen. „Ich habe mich immer schon für Infektiologie interessiert, mein Schwerpunkt liegt allerdings im Bereich Endokrinologie und Stoffwechsel. Aber der Präventionsgedanke, der bei den Hygienethemen immer mitschwingt, hat mir sehr gut gefallen. Zudem konnten wir hier am früheren Wilhelminenspital viel Aufbauarbeit leisten.“ Immer noch sei die Hygiene insgesamt gefühlt „oft eine Randnotiz anstatt das Standing in den Häusern zu haben, das sie verdient“, findet Equiluz-Bruck. In „ihrem“ Haus sei man aber mittlerweile auf Augenhöhe mit den meisten Abteilungen angekommen. „Wir werden als wesentliches Rädchen im Getriebe gesehen.“
Trotzdem ist sie realistisch, was den Nachwuchs betrifft: „Auch wir tun uns sehr schwer, Personal zu finden.“ Die Anforderungen an selbiges sind schnell erklärt: „Ich würde mir primär Menschen mit klinischer Erfahrung wünschen, die den Betrieb und dessen Problematiken kennen. Die immer im Hinterkopf haben: Wenn ich diese und jene Handlung nicht setze, kommen Patient:innen zu Schaden, ganz im Geiste des Nihil nocere. Prävention ist da ein ganz wesentlicher Faktor“, erklärt Equiluz-Bruck. Was für sie zudem einen spannenden Aspekt ihrer Arbeit ausmacht, ist ein breites Betätigungsfeld abseits des an der Uni Gelernten: „Sei es das Interesse für Technik oder die Freude daran, Wissen weiterzugeben. All das kann man in diesem Feld zusätzlich machen.“
Wesentlicher Bestandteil ihres Jobs ist zudem die antibiotic stewardship, grob übersetzt also die korrekte Handhabung von Antibiotika. „Momentan bin ich gerade dabei, die ‚Keim- und Resistenzstatistik’ mit Daten aus der Surveillance zu erstellen. So lässt sich unter anderem auch der Einfluss des Antibiotikaeinsatzes darstellen. Etwas, mit dem wir Mediziner:innen normalerweise eher weniger beschäftigt sind. Ich mache das aber gerne. Mit diesem Zahlenmaterial hat das Personal dann einen schönen Überblick und kann gut damit arbeiten.“
„Das musste sich erst einspielen“
Anfangs habe man aber gerade beim gezielten Einsatz von Antiinfektiva im Haus erst einen Weg finden müssen, mit den Abteilungen auf besagter Augenhöhe zusammenzuarbeiten: „Das musste sich erst einspielen, muss man ehrlicherweise zugeben. Denn wenn ein Kollege etwa ein bestimmtes Antibiotikum möchte, hat er ja einen Grund dafür. Wir sind damals verständlicherweise anfangs auf wenig Akzeptanz gestoßen, wenn wir bestimmte Antibiotikagaben hinterfragt haben und den Antibiotikaverbrauch mit Sonderanforderungen verringern wollten. Mittlerweile funktioniert das aber sehr gut“, skizziert die Ärztin den Status quo.
Die Resistenzthematik allgemein nimmt sie als „maximal erschreckend“ wahr, es kämen selbst Frühchen schon mit Resistenzen ins Haus: „Was sich hier stark geändert hat, ist, dass hochresistente Erreger früher eher aus exotischen Ländern kamen, heute sind sie aber quasi hier ansässig.“ Die Ursachen dafür sind weitgehend bekannt: Ein zu breiter Antibiotikaeinsatz in der Humanmedizin neben Umweltfaktoren und der Einsatz von Antibiotika in der Lebensmittelproduktion sowie der Veterinärmedizin. „Wobei man ganz klar sagen muss, dass die Veterinäre es mit der Mengenstromerfassung sehr gut hinbekommen haben, die verwendeten Antibiotikamengen deutlich zu senken“, sagt sie anerkennend. Seit 2014 müssen alle heimischen Tierärzte via Meldesystem des BASG (Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen) genauestens dokumentieren, welche Antibiotikamengen sie verwenden.
Wobei wir uns schon mitten im nächsten Thema befinden, Stichwort Politik. Was würde es brauchen, damit es bei den Humanmedizinern eine ähnlich präzise Erfassung gibt, seien es nun die Antibiotika oder Krankenhauskeime? „Ich glaube, in Österreich braucht es für Veränderung grundsätzlich etwas Druck. Insofern würde ich mir hier wünschen, dass es einen gewissen Rechtsdruck gibt. Die Surveillance darf keine Fleißaufgabe sein, und es kann auch nicht sein, dass man Angst vor negativen Konsequenzen haben muss, wenn man etwa nosokomiale Infektionen meldet“, so Equiluz-Bruck. Hier gäbe es also noch deutlich Luft nach oben. „Diese Themen sollten einfach ein Muss sein“.
Unter der Lupe
Momentan ist die Verbrauchserfassung von Antibiotika in der Humanmedizin eine gewisse Grauzone. Es gibt in Österreich zwar Vorgaben des Bundesministeriums wie etwa das Projekt A-HAI, das die Erfassung von nosokomialen Infektionen eigentlich einfordert und vorgibt. Auch die Erfassung von Antibiotika ist über das Bundesministerium geregelt, wobei in Wien die WIGEV-Häuser mittlerweile relativ flächendeckend teilnehmen. Das Problem in der Praxis stellt die zu zögerliche Umsetzung dar, weil die Daten de facto nicht eingefordert werden.