Pflegeheim-Prozess in NÖ mit weiteren Zeugenbefragungen fortgesetzt
Im Prozess um Vorfälle in einem Pflegeheim in Sitzenberg-Reidling (Bezirk Tulln) hat die frühere Vorgesetzte der vier Angeklagten von „sehr müden“ Bewohnern im Anklagezeitraum 2020 bis 2021 berichtet. Eine Ursache sei nicht gefunden worden, so die 48-Jährige am Donnerstag in St. Pölten. Bei einer Behördenkontrolle wurde ein Medikamentenvorrat entdeckt. Laut Anklage sollen Bewohnern zusätzliche Mittel verabreicht worden sein, um sie ruhigzustellen. Die Vorwürfe werden bestritten. Die Schöffenverhandlung wird am 30. März fortgesetzt.
Die damalige Pflegedienst- und Wohnbereichsleiterin hatte nie einen Medikamentenmissbrauch vermutet. Im Gegensatz zu den Angeklagten betonte sie, dass zusätzlich verordnete Mittel wie Schmerztabletten nur nach Rücksprache mit diplomierten Mitarbeitern verabreicht worden seien. Aufgefallen sei, dass Bewohner sehr müde waren und sich deren Zustand verschlechterte, meinte die Frau übereinstimmend mit anderen Zeuginnen: „Das war für uns nicht wirklich erklärbar.“ Bei Bekanntwerden der Vorwürfe vor zwei Jahren sei sie „schockiert“ gewesen. Nachdem die Angeklagten nicht mehr im Heim tätig waren, habe sich der Zustand der Demenzkranken verbessert: „Die Leute waren wacher und haben mehr am Leben teilgenommen.“
Psychopharmaka, Schlaf- und Abführmittel
Eine Mitarbeiterin der Fachaufsichtsbehörde berichtete am Donnerstag von einer unangekündigten Überprüfung am 7. April 2021 in dem Senecura-Heim. Dabei wurden im oberen Bereich eines Medikamentenkastens mehrere Körbe mit Mitteln entdeckt, die keinem Bewohner zugeordnet waren. In den Schütten lagen Psychopharmaka, Schlaf- und Abführmittel durcheinander, schilderte die 35-jährige Zeugin am fünften Verhandlungstag. Die Polizei stellte die Mittel sicher. Laut Aussagen von Mitarbeiter:innen wurden übrig gebliebene Medikamente verstorbener Bewohner für Notfälle aufbewahrt.
Demenzkranke sollen laut Staatsanwaltschaft gequält, misshandelt, geschlagen, beschimpft und bespuckt worden sein. Von Missständen oder Übergriffen war der 48-Jährigen laut ihrer Aussage bis März 2021 nichts zu Ohren gekommen. An die von einer Mitarbeiterin geschilderte Meldung von einem Übergriff im Sommer 2020 konnte sie sich nicht erinnern. Die Angeklagten hatten aus Sicht der Vorgesetzten „immer gut gearbeitet“. Ein Ermittlungsverfahren gegen die 48-Jährige wurde eingestellt.
Einige Bewohner:innen waren „sehr müde“
Laut einer Allgemeinmedizinerin hatten verordnete Medikamente in dem Heim nicht den erwünschten Effekt gezeigt, was ihr merkwürdig vorkam. Einige Bewohner:innen seien sehr müde gewesen, obwohl sedierende Medikamente abgesetzt wurden. Andere seien wiederum extrem unruhig gewesen.
Angehörige von inzwischen verstorbenen Bewohnern berichteten, dass ihre Familienmitglieder in dem Heim 2020 bzw. 2021 durchwegs müde gewesen seien. Zwei Frauen erzählten, dass ihre Mutter bei einem Besuch „in völliger Panik“ gewesen sei und einen „angsterfüllten Blick“ gehabt habe. Auf Basis einer weiteren Zeugenaussage wurde die Anklage in Bezug auf Medikamentenverabreichung um ein weiteres auf insgesamt 16 Opfer ausgedehnt.
Die Anklagepunkte des seit Jänner laufenden Prozesses betreffen Quälen und Vernachlässigen wehrloser Personen, fortgesetzte Gewaltausübung und sexuellen Missbrauch von wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Personen von März 2020 bis März 2021. Die Angeklagten tauschten sich in einer WhatsApp-Gruppe aus. Geschrieben wurde etwa, dass Bewohner:innen „gleich niedergespritzt werden“. Die Dienstverhältnisse mit den Beschuldigten - drei Frauen und ein Mann - wurden nach Bekanntwerden der Vorwürfe beendet. Im Fall einer Verurteilung drohen bis zu zehn Jahre Haft.
Am 30. März werden weitere Zeugen befragt. Ob es an diesem Tag ein Urteil geben wird, ist noch offen.