Mehr Patienten, weniger mobile Betreuung
Die Coronakrise hat gravierende Auswirkungen auf die Arbeit des Kinderhospiz MOMO, wie Leiterin Martina Kronberger-Vollnhofer am Mittwoch gegenüber „Ö1“ berichtet. Die Zahl der betreuenden Familien hat sich fast verdoppelt, da das Team von MOMO nun viele schwer- und lebensbedrohlich erkrankte Kinder betreut, die wegen Ansteckungsgefahr nicht in Spitälern behandelt werden können, so die Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde.
Zudem wurden persönliche Besuche minimiert. Sie finden nur dort statt, wo ärztliche Hilfe oder Pflege nötig ist. Dies sei für alle eine große Umstellung: „Ich merke auch, wenn wir zu den Familien gehen gekleidet mit Mantel, Maske und Handschuhen schafft das schon eine Barriere“, so Kronberger gegenüber „Ö1“.
Begleiten ohne räumliche Nähe
Seit dem Ausbruch des Coronavirus ist die Zahl der zu betreuenden Familien um 80 gestiegen, da Krankenhäuser nurmehr Behandlungen durchführen, die nicht zuhause gemacht werden können. „Es sind Kooperationen entstanden. Wir können nun alles, das zuhause an klinischen Kontrollen, an Blutabnahmen, an Therapien, gemacht werden kann, in Absprache mit den Spitälern bei diesen Kinder machen und ihnen so die Wege ins Spital abnehmen“, so Kronberger weiter.
Therapien und Gesprächen finden nun vor allem über Video statt. „Wenn ein Kind verstirbt dann wird die Trauerbegleitung und die Unterstützung genauso angeboten wie wir das früher immer auch gemacht haben. Und wenn es eine psychologische Unterstützung gibt, dann findet die momentan am Telefon statt.“
Seit sieben Jahren bietet MOMO Hilfe für die ganze Familie an, wenn ein Kind lebensbedrohlich oder lebensverkürzend erkrankt. Das Angebot ist für die Familien kostenlos. Ein Drittel der Finanzierung hat im Vorjahr erstmals der Fonds Soziales Wien übernommen. „Das rettet die Versorgung“, sagt Kronberger. Denn die Spenden bleiben zur Zeit aus, unter anderem weil keine Benefiz-Veranstaltungen möglich sind, bei denen Sportler oder Künstler sich für MOMO engagieren.
Zu viel Raum und Zeit für Trauer
Die Trauerbegleitung ist in Coronazeiten eingeschränkt. Auch in Krankenhäusern, Alters- und Pflegeheimen herschen sehr restriktive Zugangsregeln „Auch ohne physischen Kontakt ist es möglich, Sterbenden Mitgefühl auszudrücken“, so Leena Pelttari, Geschäftsführerin des Dachverandes Hospiz Österreich. „Sie können etwa übers Telefon, via SMS, E-Mail oder Smartphone-Apps in eine persönliche Beziehung treten, Lieder und Audionachrichten schicken, oder Kleinigkeiten als Zeichen der Verbundenheit vor die Tür legen: Blumen, eine Karte, eine Kinderzeichnung oder ein Stück Kuchen.“
Befindet sich ein Familienmitglied in einer stationären Einrichtung, wie einem Hospiz, einer Palliativstation, einem Krankenhaus oder Pflegeheim, können Betroffene nach Absprache mit dem Personal der Einrichtung persönliche Geschenke zu den Sterbenden bringen lassen. Wenn das nicht möglich ist, tut es auch ein Foto. Für Menschen, die Unterstützung brauchen, stehen in jedem Bundesland Hospiz-Helplines zur Verfügung.
„Gerade jetzt in dieser Ausnahmesituation gibt es zu viel Raum und Zeit für Trauer. Das macht es für die Betroffenen noch herausfordernder“, so Bernd Wachter, Generalsekretär der Caritas Österreich, die mobile Hospizteams unterhält. Die Caritas bietet deshalb Gespräche am Telefon oder via Videotelefonie in noch kleineren Gruppen an.
Positionspapier für Palliativversorgung Schwerstkranker
Vor dem Hintergrund verfasste die Österreichische Palliativgesellschaft Ende März ein Positionpapier. Bei immer begrenzten Kapazitäten muss dafür gesorgt sein, dass alle Patienten eine für die gegebene Situation optimale Versorgung erhalten. Dies gilt auch für Kranke in ihrer letzten Lebensphase, hieß es darin.
„In Anlehnung an einen Artikel, der von einer Palliativmedizinerin und einem Palliativmediziner aus Toronto anlässlich der dortigen H1N1-Epidemie vor zehn Jahren verfasst wurde und viele Parallelen zur aktuellen Covid-19-Situation aufweist, möchte dieses Positionspapier auf Herausforderungen hinweisen, die durch eine Epidemie mit Akutbelastung des Gesundheitssystems auf Spezialisten für Palliativmedizin zukommen können“, schreiben die Experten, unter anderen Christine Marosi und Herbert Watzke von der Klinischen Abteilung für Palliativmedizin am Wiener AKH (MedUni Wien), Rudolf Likar (LKH Klagenfurt) sowie Fachrepräsentanten von Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Niederösterreich und Tirol. Die Palliativmedizin beschäftigt sich mit der optimalen symptomatischen Betreuung von Patienten in der letzten Lebensphase, in der keine Heilung zu erwarten ist.“
Werden akut mehr Intensivbetten gebraucht, als zur Verfügung gestellt werden können, wird es Patienten geben, die so schwer krank sind, dass sie eine Intensivversorgung benötigen würden, diese aber nicht erhalten können“, stellen die Experten fest. Derzeit ist Österreich allerdings sehr weit von einer derartigen Situation entfernt.
Gerade aus diesem Grund müsse eine Palliativversorgung immer gewährleistet bleiben. „Diese Patienten und ihre An- und Zugehörigen benötigen in diesem Fall eine optimale symptomatische Therapie, damit sie sich nicht vom Gesundheitssystem und der Gesellschaft verlassen fühlen“, fordern die Autoren des Positionspapiers. Auch wenn medizinisches und pflegerisches Personal für die Bewältigung der Pandemie eingesetzt würden, dürften sie nicht das Gefühl bekommen, dass ihre „Stammpatienten“ in der Zwischenzeit unterversorgt seien.“
Schutz des Personals darf für Schwerstkranke nicht zum Nachteil werden
Alle Patienten sollen die bestmögliche Symptomkontrolle erhalten. Die Verhältnismäßigkeit medizinischer und psychosozialer Maßnahmen muss gewährleistet bleiben“, schreiben die Experten. Insgesamt sei es die Aufgabe der Palliativteams, beizutragen, die Schäden, die durch die Pandemie verursacht werden, möglichst gering zu halten. Zum Thema der Verhältnismäßigkeit heißt es in dem Positionspapier: „Alle verfügbaren Ressourcen sollen eingesetzt und nicht vorenthalten werden.“ Es gebe eine Pflicht zur Durchführung einer symptomatischen Behandlung Schwerstkranker: „Der Schutz des Personals vor Ansteckung darf nicht dazu führen, dass Personal nicht eingesetzt wird, wobei schützenswerte Gruppen zu berücksichtigen sind.“
Kommt es wirklich zu einer „Triage“, also zum Abwägen, welche Ressourcen welchen Patienten - auch bei Covid-19-Erkrankungen - zukommen sollen, erhalte die Palliativversorgung besondere Bedeutung: „Jene Personen, deren Therapieziele durch das Triagesystem entsprechend klassifiziert werden, sollten im Sinne der Palliative Care versorgt werden.“ Die Palliativmedizin müsse insgesamt allen anderen Fachgebieten bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Gesundheitswesen auch im Pandemiefall in ihrer Wertigkeit gleichgestellt werden.
Die Fachleute abschließend: „Stellt man sicher, dass alle Patienten eine optimale Palliativversorgung erhalten, werden wir die Herausforderungen einer Pandemie bewältigen können.“ Die Autoren haben eine E-Mail-Adresse eingerichtet, an die Fachfragen gerichtet werden können. „Weiters verweisen wir auf die Handlungsempfehlungen für die Sterbephase bei Patienten mit Covid-19 der Tiroler-Hospizgemeinschaft, die in Anlehnung an das Palliativzentrums des Kantonsspitals St. Gallen verfasst wurde und sich auf http://www.palliativ.at finde, schreiben die Fachleute. In dem Positionspapier sind auch die wichtigsten medikamentösen Maßnahmen zur Symptomkontrolle enthalten.
In Österreich zielen derzeit alle Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Epidemie gerade darauf ab, möglichst viele Patienten außerhalb der Spitäler zu versorgen.
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