„Wir sahen zahlreiche Kinder und Mütter mit deutlichen Anzeichen von Unterernährung: Schwangere Frauen haben kaum Nahrung zur Verfügung, müssen aber trotzdem die Last der Kinderversorgung und des Haushaltes tragen“, berichtete Andrea Reisinger, Leiterin der Abteilung für Internationale Katastrophen und Krisen beim Österreichischen Roten Kreuz, nach einem Aufenthalt in Südäthiopien. Männer, Frauen und Kinder würden durch Konflikt und Hunger dazu gezwungen, in andere Regionen des Landes zu flüchten.
Prekäre Situation für Kinder
Kinder könnten nicht in die Schule gehen, weil sie intern vertrieben wurden oder Arbeiten für die Familie verrichten müssten, wie Wasser holen oder das Vieh versorgen. „Durch die permanente Unterernährung können sich die Kinder nicht ihrem Alter entsprechend entwickeln und jedes zusätzliche Risiko stellt eine lebensbedrohliche Gefahr für sie dar“, warnte Reisinger.
In Äthiopien treffen laut dem Roten Kreuz gleich mehrere vom Klimawandel bedingte Naturkatastrophen aufeinander, was für die Menschen verheerende Folgen hat. Starke Regenfälle und das Ablassen der Dämme im Norden haben den Omo-Fluss an der Grenze zu Kenia zum Überlaufen gebracht und seinen Lauf verändert. 33 Gemeinden wurden überflutet, so die Hilfsorganisation. Die Wassermassen hätten in der betroffenen Provinz 98.000 Hektar Weideland zerstört, knapp 63.000 Menschen vertrieben und über 1,2 Millionen Viehbestände gefährdet. Die Anrainer mussten in von Dürre betroffene Gebiete ausweichen, wo fünf Mal hintereinander die Regenzeit ausgeblieben sie. In den staubtrockenen Gebieten verende das Vieh und die Hirten verlören ihre Einkommensquellen. Durch die Hungerkatastrophe sei eine Fläche betroffen, die fünf Mal so groß wie ganz Österreich sei.
Cholera und Auseinandersetzungen
Auch die Cholera sei bereits ausgebrochen, so Reisinger. Es komme zudem zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen, die ihre Gebiete verteidigen. Frauen, Kinder und ältere Menschen gehörten zu den am meisten gefährdeten Gruppen - etwa werde ein Anstieg bei Genitalverstümmelung und Kinderehen verzeichnet, weil Familien ihre Kinder nicht mehr ernähren können, berichtete die Abteilungsleiterin.
Das von der Austrian Developement Agency (ADA) unterstützte Österreichische Rote Kreuz arbeitet mit dem Äthiopischen Roten Kreuz zusammen und setzt vor allem Projekte in den Bereichen Gesundheit, Wasserversorgung und Hygienemaßnahmen sowie unbürokratische Bargeld-Hilfe um. Im Norden Äthiopiens werden in Zusammenhang mit dem Tigray-Konflikt intern vertriebene Menschen versorgt.
Caritas: Hilfsmaßnahmen vorbereitet
Die Caritas forderte am Donnerstag nach dem Waffenstillstandsabkommen zwischen der äthiopischen Regierung und der Volksbefreiungsfront in Tigray (TPLF) schnelle Hilfe für die Menschen in der Konfliktregion. Umfangreiche Hilfsmaßnahmen seien vorbereitet, hieß es in einer Mitteilung. Die Internationale Gemeinschaft müsse nun Druck aufbauen, damit der Waffenstillstand auch halte.
Die beiden Konfliktparteien hatten sich am Mittwoch nach zwei Jahren eines blutigen Kriegs auf einen Waffenstillstand geeinigt. Dieser soll den Grundstein für einen Friedensprozess in Äthiopien bilden. Der Krieg in dem Land am Horn von Afrika gehört nach Angaben der Organisation International Crisis Group (ICG) zu den tödlichsten Konflikten weltweit. Seit Kriegsbeginn sind nach Expertenschätzungen rund eine halbe Million Menschen ums Leben gekommen.
Humanitäre Lage verheerend
Die humanitäre Lage in Tigray ist nach jahrelanger Blockade durch die Regierung in Addis Abeba verheerend. Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge haben rund 89 Prozent der gut sieben Millionen Einwohner in Tigray keinen ausreichenden Zugang zu Nahrungsmitteln. Fast jedes dritte Kind in der Region leide an Unterernährung.
Dennoch bleiben viele Beobachter skeptisch, wie beständig das Abkommen tatsächlich sein wird. Ungeklärt bleibt zunächst etwa, ob das Nachbarland Eritrea seine Truppen aus Tigray zurückziehen wird. In der Einigung zwischen der TPLF und der Regierung ist weder eine Einigung über den Verbleib der eritreischen Streitkräfte noch eine Lösung mit den in West-Tigray kämpfenden Amhara-Milizen vereinbart.
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