Der tschechische Europaminister Mikulas Bek sagte, der von der EU-Kommission vor zwei Jahren vorgeschlagene Pakt für Migration und Asyl sei die Lösung. Der Sonderrat am Freitag müsse sich neben kurzfristigen Schritten auch auf langfristige Lösungen konzentrieren. Der EU-Ministerrat wolle mit dem Europaparlament die Verhandlungen zur Eurodac-Verordnung und zur Screening-Verordnung im Rahmen des Pakets starten. Jedes verlorene Menschenleben bei dem Versuch von Migranten, nach Europa zu kommen, sei inakzeptabel. Menschenleben zu retten sei ein humanitäres Gebot unter dem Völkerrecht, sagte Bek.
Der Erste Vizepräsident des Europaparlaments, Othmar Karas (ÖVP), rief dazu auf, die Aufnahme von Kroatien, Rumänien und Bulgarien in den Schengen-Raum nicht zu blockieren. Er sei darüber verwundert, dass Österreich eine Blockade in den Raum gestellt habe, sagte Karas in einem Online-Pressegespräch. Eine Schengen-Blockade trage nichts zur Lösung bei den Asylzahlen bei und habe damit auch nichts direkt zu tun.
Beides zu vermischen, sei „unverantwortlich und unsäglich“, sagte Karas. Ebenso wenig würde auch eine von seinen Parteikollegen angeregte Änderung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu irgendeiner Lösung beitragen. Das Hauptproblem bei den steigenden Asylzahlen sei, dass die Menschen im Moment aus Ungarn kämen, welches die Schengen-Außengrenze bilde, und dass Serbien einigen Ländern, die den Kosovo nicht anerkennen, Visafreiheit gewährt habe, „es ist nicht Bulgarien und Rumänien“, sagte Karas.
Tausende würden alljährlich ihr Leben verlieren
Die EU brauche endlich eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik auf Basis der EMRK und solidarische Flüchtlingsquoten, forderte die grüne Delegationsleiterin, Monika Vana. „Seit Jahren verlieren Tausende von Menschen jedes Jahr ihr Leben bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren und in Europa ein sicheres Leben zu finden. Abgesehen davon, dass Seenotrettung eine Verpflichtung nach internationalem Recht ist, schieben sich die Mitgliedsstaaten der EU in populistischer Art und Weise die Verantwortung zu. Das ist erbärmlich.“
Gegen eine Schengen-Erweiterung sprach sich die FPÖ aus. „Der Ansturm von Migranten, mit dem heuer Österreich wie kein anderes EU-Land konfrontiert ist, zeigt ganz klar, dass wir in solchen Fällen auch strenge Binnengrenzkontrollen brauchen. Die Sekundärmigration - also das Weiterziehen von Migranten in andere Länder nach Überschreiten der Außengrenze - ist außer Kontrolle“, sagte FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky. Mit dem Beitritt von Rumänien und Bulgarien drohe eine neue Migrationsroute von der Türkei Richtung Zentraleuropa. „Und das ist das letzte, was wir im Moment brauchen“, so Vilimsky.
Schinas zufolge verzeichnete die zentrale Mittelmeerroute mit über 90.000 Ankünften heuer ein Plus von mehr als 50 Prozent. Die Migranten würden hauptsächlich aus Libyen und Tunesien kommen, aber auch aus Ägypten und Bangladesch. Auch die Westbalkanroute verzeichne einen „dramatischen Anstieg“, so Schinas. „Wir dürfen nicht mehr nur Antworten ad hoc geben.“ Die EU könne nicht mehr nur Lösungen für einzelne Schiffe suchen. „Wir brauchen jetzt eine Einigung auf den Pakt“, sagte Schinas.
„Schlafwandeln in nächste große Migrationskrise hinein“
Die Seenotrettung sei eine Verpflichtung, so Schinas weiter. Die EU-Kommission habe am Montag einen Aktionsplan für die zentrale Mittelmeerroute vorgelegt. Er sehe vor, dass die EU Tunesien und Ägypten beim Grenzschutz stärker unterstütze, Abschiebungen verstärke und die legalen Einreisemöglichkeiten in die Europäische Union verbessere. Der Sonderrat am Freitag ändere nichts daran, dass die EU langfristige und verbindliche Lösungen brauche, sagte Schinas. „Krisentreffen und -Debatten sind nützlich, aber nicht ausreichend.“ Insgesamt sei die EU heute besser aufgestellt als 2015, da sie mit Frontex über eine starke Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache und über eine vollwertige Asylagentur (EUAA) verfüge.
„Wir schlafwandeln in eine nächste große Migrationskrise hinein“, warnte EVP-Fraktionschef Manfred Weber. Die Zahlen von Ankommenden seien auf Rekordhöhe seit 2015 und 2016. Die Westbalkanroute sei mit 42.000 Grenzübertritten wieder eine Hauptroute. Europa versage in dieser Situation, „Europa schaut sogar weg“, kritisierte Weber.
Zuerst müsse die Europäische Union ihre Grenzen sichern. „Der Staat entscheidet, wer nach Europa kommt, und nicht die Mafia“, so der EVP-Chef. An die EU-Kommission richte er die Bitte, bessere Rückführungsabkommen auszuhandeln. Mehr Klarheit brauche es auch für die EU-Beamten nach Vorwürfen von Pushbacks, sagte Weber. Insbesondere an der Seegrenze sei die Situation nicht so klar. Dass Italien alleine heuer 100.000 Ankünfte verzeichne, sei „ein europäisches Problem“. Die EU-Staaten hätten Versprechen für die Umverteilung von 8.000 Asylsuchenden abgegeben, umgesetzt worden seien bisher aber nur 170. Europa brauche auch eine Afrika- und Nahost-Strategie, um die Ursachen der Migrationsströme anzugehen.
Nachdem Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) die österreichische Veto-Drohung für eine Erweiterung des Schengen-Raums zumindest in Bezug auf Kroatien relativiert hat, wollte sich Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) am Mittwoch trotz mehrmaliger Journalisten-Nachfragen vor dem Ministerrat nicht festlegen. Er deutete aber an, dass Kroatiens Grenzschutz nicht als Problem gesehen wird.