Die Konsequenzen der durch die Regierung veranlassten Covid-Maßnahmen seien jedenfalls dramatisch, die Bevölkerung verzweifelt, so Wu. Jeden Tag müssten sich die Menschen stundenlang für einen Covid-Test anstellen. Die Quarantänemaßnahmen seien so streng, dass bei einem Covid-Fall ganze Stadtteile abgeriegelt würden.
Als die Proteste in vielen Städten begannen, hatten viele Leute ihre Jobs aufgrund der Covid-Maßnahmen verloren, viele Unternehmen hätten schließen müssen. Der Auslöser der Proteste sei dann der Brand in Ürümqi, der Hauptstadt der westchinesischen Region Xinjiang, gewesen, als die Feuerwehr aufgrund der Covid-Beschränkungen nicht zum Brandort konnte. Dies sei in den sozialen Medien vielfach geteilt worden.
Dennoch gesteht die chinesische Journalistin, die mittlerweile in New York lebt: „Ich war überrascht, als ich hörte, dass die Menschen Slogans gegen die Regierung riefen“. Das habe es seit 1989 nicht mehr gegeben. Ankündigungen der Proteste habe es nicht gegeben, die seien „spontan“ gewesen. Jedenfalls sei es „zu früh“, um voraussagen zu können, ob die Proteste andauern oder nicht. Seit der Ankündigung der Regierung am Dienstag, dass alle Proteste unterdrückt werden würden, sehe man jedenfalls eine massive Verstärkung der Sicherheitskräfte in den betroffenen Städten.
Gewaltsame Auschreitungen in Guangzhou
In Hongkong habe es monatelange Proteste gegeben, fast die Hälfte der Bevölkerung habe demonstriert, dennoch sei es dem Regime gelungen, die Proteste einzudämmen, bleibt Wu vorsichtig. „Wenn die Regierung diese Covid-Politik fortsetzt, werden die Leute immer frustrierter werden“, glaubt sie. Die südchinesische Großstadt Guangzhou habe nun verkündet, dass die radikale Abschottung zu Ende sei. Zuvor war es ihn der Millionenstadt zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen.
Chinesische Medien würden jedenfalls nicht über die Proteste berichten, ausländische Journalisten, die das getan hätten, mussten China fluchtartig verlassen. Berichte über die spontanen Demonstrationen gebe es daher nur durch Postings von chinesischen Bürgern in den sozialen Medien. Möglich sei es daher durchaus, dass die Behörden den Internetzugang blockieren könnten, so Wu.
Jeder wisse, dass die Corona-Maßnahmen keine gesundheitlichen Grundlagen hätten, sondern nur auf der Entscheidung von Staatschef Xi Jinping beruhen, sagte Wu. Auch wenn Xi der mächtigste Politiker seit Mao Zedong sei, müsse er seine politische Legitimität ständig beweisen. Zudem seien die lokalen Autoritäten geschwächt, weil Xi die ganze Macht an sich gerissen habe.
Dennoch glaube sie nicht, „dass die Ablöse von Xi eine Agenda für die Mehrheit die Chinesen ist“, so Wu. Ganz anders verhalte es sich aber bei der Ablehnung der so strikten Corona-Maßnahmen. „Junge Leute werden mutiger, ihre Meinung zu äußern“, auch wenn sie dann verhaftet werden. Xi sei also in einem Dilemma, weil er es sich nicht leisten könne, die Corona-Politik zu verändern, da ein Eingeständnis des Scheiterns der bisherigen Covid-Politik ihm als Schwäche ausgelegt werden könnte. Der mächtige Staats- und Parteichef werde daher genau kalkulieren, welche Schritte er sich erlauben könne.
„Neues Stadium der Pandemie“
Nach Protesten gegen die strikten Corona-Maßnahmen hat Chinas Vize-Premierministerin indessen von einem „neuen Stadium der Pandemie“ gesprochen und damit erneut Spekulationen über mögliche Lockerungen ausgelöst. „Da die Omikron-Variante weniger pathogen geworden ist, mehr Menschen geimpft werden und wir mehr Erfahrungen in der Covid-Prävention gesammelt haben, befindet sich unser Kampf gegen die Pandemie in einem neuen Stadium und bringt neue Aufgaben mit sich“, sagte Sun Chunlan.
Die rigorosen Maßnahmen der Behörden als Reaktion auf die neue Corona-Welle führten am Wochenende zu Protesten in mehreren Millionenmetropolen. Es war die größte öffentliche Demonstration von Unmut in China seit Jahrzehnten. Als Reaktion auf die Versammlungen wurde eine massive Polizeipräsenz auf den Straßen von Peking, Shanghai und anderen Städten mobilisiert, um ein Wiederaufflammen der Demonstrationen zu verhindern.
Schon vor dem Ausbruch der Proteste hatten die Behörden eine Anpassung der Corona-Maßnahmen beschlossen. Da die Infektionszahlen jedoch zuletzt stark anstiegen, verhängten viele Städte zusätzlich Maßnahmen. Die Gesundheitskommission forderte die lokalen Behörden auf, sich strikt an die Vorgaben zu halten. Am Dienstag kündigte die Kommission zudem an, die Impfkampagne stärker vorantreiben zu wollen - besonders in der älteren Bevölkerung. Aus Angst vor Nebenwirkungen wurden Ältere in dem 1,4-Milliarden-Einwohner-Land bisher weniger geimpft. Nur 40 Prozent der Menschen über 80 Jahren haben eine Booster-Spritze bekommen.
Die Zahl der gemeldeten Corona-Neuinfektionen ging unterdessen den dritten Tag in Folge leicht zurück. Wie die Gesundheitskommission am Donnerstag berichtete, wurden am Vortag rund 35.800 neue Fälle gemeldet. Am Dienstag waren es rund 37.600 Ansteckungen gewesen. Erst kürzlich hatten die Zahlen mit mehr als 40.000 Neuinfektionen pro Tag einen Höchststand seit Beginn der Pandemie vor knapp drei Jahren erreicht.