Rund zehn Prozent der mit dem SARS-CoV-2-Erreger infizierten Personen entwickeln Symptome, die unter dem Terminus „Long Covid“-Syndrom (LCS) zusammengefasst werden. Mit dem Erfassen und Behandeln dieses vielfältigen neuen Krankheitsbildes, das die Lebensqualität stark beeinträchtigen kann, tun sich Mediziner:innen noch schwer.
Ein Forschungsteam der „Joint Metabolome Facility“ der Universität Wien und Medizinischen Universität Wien hat nun mit modernen Analyseverfahren Proben von 13 Versuchspersonen mit deutlichen „Long Covid“-Symptomatiken sowie von je 13 Personen mit einer symptomlosen nachgewiesenen Covid-19-Infektion und noch ohne nachgewiesene Erkrankung detailliert untersucht. Die Methoden erlauben es, die zum Zeitpunkt der Blutabnahme ablaufenden Prozess im Körper nachzuvollziehen, so die Wissenschafter.
Durch die starke Aktivierung der Abwehr des Körpers bei viralen Infektionen kommt es zu Entzündungsreaktionen. Das Immunsystem wendet sich gegen die Erreger und nimmt dabei mitunter auch gesunde Strukturen ins Visier. Ist die Erkrankung zurückgedrängt, kommen verstärkt Prozesse in Gang, die die Entzündungsreaktion wieder zurückfahren.
Marker wie Zytokine, sogenannte Akutphase-Proteine oder Eicosanoide, die mit Entzündungen einher gehen, waren bei den untersuchten „Long Covid“-Patienten allerdings praktisch nicht vorhanden. Bei den gesunden Teilnehmern waren diese Werte deutlich höher, und nochmals höher waren sie bei den Genesenen, die keine Symptome hatten.
Überaktive Makrophagen
Im Gegensatz dazu präsentieren sich in der LCS-Gruppe die Konzentrationen anti-entzündlich wirkender Stoffwechselprodukte gegenüber den Kontrollgruppen deutlich erhöht. „Am Anfang habe ich mir das gar nicht erwartet“, sagte einer der Haupt-Studienautoren, der Leiter der „Joint Metabolome Facility“, Christopher Gerner, dazu.
So zeigte sich etwa, dass in den Proben von LCS-Patienten die anti-entzündlichen Verbindungen Taurin und Hypaphorin prominent vertreten waren. Von Hypaphorin ist etwa bekannt, dass es in Tieren spontan Schlaf auslösen kann.
Insgesamt deuten die Blutplasma-Analysen der Patient:innen darauf hin, dass spezielle Immunzellen (polarisierte Makrophagen), die nach Infektionen die Regenerationsprozesse federführend steuern, überaktiv sind. „Im akuten Covid-Stadium treiben die Makrophagen die Entzündung voran. Sie können dann aber switchen: Wird der Gewebeschaden zu groß, sattelt ein und dieselbe Zelle dann auf Regeneration um“, sagte Gerner. Letzteres und nicht etwa die Entzündungsreaktion selbst scheint bei LCS zu entgleiten, so wie das bei einer Autoimmunerkrankung auch der Fall ist, wo sich das eigene Immunsystem gegen Teile des Körpers wendet.
Vielversprechender Therapieansatz
Diese Erkenntnis sei auf den ersten Blick „irritierend“, passe aber erstaunlich gut zu dem beobachteten Krankheitsbild. „Der ganze Körper ist ja schlaff, energielos, man ist müde und erschöpft. Das ist ja keine lokale Erkrankung, es betrifft die Regulation des gesamten Organismus“, so Gerner: Das lasse sich mit der überschießenden antientzündlichen Reaktion „wesentlich besser erklären“.
Auf Basis dieser Erkenntnisse „wollen wir natürlich eine Diagnostik aufbauen, die auf molekularen Parametern beruht“, so Gerner. Dafür brauche es aber Studien mit deutlich mehr Patient:innen. Gerade die LCS-Erscheinungsform, bei der die Ermüdung stark im Vordergrund steht, lasse sich so gut gesichert nachweisen, ist das Team überzeugt.
Schafft man es, in die entgleiste Antientzündungs-Reaktion gezielt einzugreifen, wäre das auch ein vielversprechender Therapie-Ansatz. Hier handle es sich aber um ein sehr komplexes Wechselspiel, für das die Behandlungsoptionen erst abgewogen werden müssen, so Gerner.
Studie