Spätestens seit der Flüchtlingskrise 2015/2016 ist klar, dass die geltenden EU-Asylregeln überarbeitet werden müssen. Damals waren Länder wie Griechenland mit einem Massenzustrom an Menschen aus Ländern wie Syrien überfordert und Hunderttausende konnten unregistriert in andere EU-Staaten weiterziehen. Dies hätte eigentlich nicht passieren dürfen, denn nach der sogenannten Dublin-Verordnung sollen Asylbewerber da registriert werden, wo sie die Europäische Union zuerst betreten haben. Dieses Land ist in der Regel auch für den Asylantrag zuständig.
Was soll nun passieren?
Kern der Reformvorschläge sind Maßnahmen, die zu einem deutlichen Rückgang des Zustroms von Menschen ohne Anrecht auf Schutz führen sollen. Wer aus einem Staat einreist, der als relativ sicher gilt, könnte künftig nach dem Grenzübertritt in eine streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtung kommen. Dort würde dann innerhalb weniger Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat - wenn nicht, würde er umgehend zurückgeschickt werden. Zudem soll die Überwachung und Abschiebung abgelehnter Asylsuchender erleichtert werden - zum Beispiel, in dem mehr Daten über sie gesammelt und zentral gespeichert werden.
Um wie viele Menschen geht es?
Die Zahl der Asylanträge in der EU stieg nach einem Rückgang während der Corona-Pandemie zuletzt wieder deutlich an. Im vergangenen Jahr wurden in den 27 Mitgliedstaaten 881.200 Erstanträge gestellt. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutete dies ein Plus von 64 Prozent. Stattgegeben wird im EU-Schnitt nicht einmal jedem zweiten Antrag.
Österreich gehörte im vergangenen Jahr in Bezug auf die Zahl der Asylanträge zu den am meisten belasteten Ländern in der EU. Es wurden demnach mehr als 112.000 Asylanträge gestellt, eine Verdreifachung gegenüber 2021.
Wo kommen derzeit die meisten Migranten an?
Besonders betroffen ist Italien. Nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR wurden dort in diesem Jahr bereits mehr als 50.000 Migranten registriert. Die meisten von ihnen kamen aus Tunesien, Ägypten und Bangladesch und hatten damit so gut wie keine Aussichten auf eine legale Bleibeperspektive.
Was soll künftig mit Schutzsuchenden passieren, denen beim Grenzübertritt Chancen auf Asyl eingeräumt wird?
Sie würden nach den derzeitigen Plänen wie bisher ein normales Verfahren durchlaufen, also in der Regel in den Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen. Wenn Länder mit einem sehr großen Zustrom an Menschen konfrontiert sind, sollen sie allerdings über einen Solidaritätsmechanismus Unterstützung von anderen Mitgliedstaaten beantragen können. Eine bestimmte Anzahl an Schutzsuchenden würde dann über einen Verteilungsschlüssel in andere Länder kommen. Staaten, die sich daran nicht beteiligen wollen, müssten für jeden nicht aufgenommenen Menschen eine Kompensationszahlungen leisten. Im Gespräch waren zuletzt Summen um die 20.000 Euro pro Person.
Warum gestalten sich die Verhandlungen so schwierig?
Grund sind unterschiedliche Interessen und Einstellungen zur Migration in den EU-Staaten. Derzeit besonders stark von Migration betroffene Länder wie Italien wollen nur dann mehr Verantwortung bei den Verfahren im eigenen Land übernehmen, wenn sie im Gegenzug mehr Solidarität anderer Länder garantiert bekommen. Ihr Druckmittel ist die derzeitige Situation, in der viele Migranten nach ihrer Ankunft aus Ländern wie Tunesien einfach in andere Länder wie Österreich, Deutschland oder Frankreich weiterreisen können. Länder wie Ungarn wollen hingegen die EU-Außengrenzen am liebsten ganz dicht machen und sich nicht an der Umverteilung von Flüchtlingen beteiligen.
Wie sind die Erfolgsaussichten auf eine Einigung?
Die Verhandlungen gestalten sich wegen der unterschiedlichen Interessen extrem schwierig. Bis zuletzt war unklar, ob die Innenministerinnen und Innenminister am Donnerstag wirklich einen Beschluss treffen können. Voraussetzung dafür wäre, dass 15 von 27 Mitgliedstaaten mit Ja stimmen, wobei diese zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen müssen. Wenn sich keine ausreichend große Mehrheit abzeichnet, müssten die Verhandlungen noch einmal fortgesetzt werden.
Gibt es eine Frist für die Verhandlungen?
Wenn der EU-Ministerrat bis zur Sommerpause keinen Beschluss fasst, dürfte es kaum noch eine Chance geben, das Reformprojekt in absehbarer Zeit über die Ziellinie zu bringen. Grund ist, dass es auch noch Verhandlungen mit dem Europaparlament darüber geben muss und dieses im Juni 2024 neu gewählt wird. Gib es keine Einigung, könnte es sein, dass an weiteren EU-Binnengrenzen Grenzkontrollen angeordnet werden, so wie aktuell schon an der österreichisch-slowenischen Landgrenze.