Frauen in der Medizin

„Verächtliche Eindringlinge"

Frauen war jahrhundertelang der Zugang zum Arztberuf verwehrt. Erst seit den Anfängen des letzten Jahrhunderts wurde die Zulassung für Frauen zu den Medizinischen Universitäten Schritt für Schritt erleichtert. Der gesetzliche Antisemitismus der NS-Diktatur tat dann allerdings ein Zusätzliches, um den oftmals jüdischen Studentinnen und Ärztinnen weiterhin Ausbildung und Berufsausübung zu verwehren. Die Medizinhistorikerin Monika Ankele wirft in zwei Beiträgen mit medinlive einen Blick auf die Pionierinnen der Medizin und die Rahmenbedingungen, unter denen diese gearbeitet und geforscht haben.

Eva Kaiserseder
In diesem ersten Semester schrieben sich elf Frauen für das (Medizin)Studium ein – 1910/11 waren es bereits 97 gemeldete Studentinnen.

medinlive: Frauen an den Medizinischen Universitäten: Wann begann die Entwicklung  im deutschen Sprachraum?

Monika Ankele: Im Wintersemester 1900/01 konnten sich Frauen zum ersten Mal an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien als ordentliche Hörerinnen inskribieren und Medizin studieren. Ganze 535 Jahre nach der Gründung der Universität Wien. In diesem ersten Semester schrieben sich elf Frauen für das Studium ein – 1910/11 waren es bereits 97 gemeldete Studentinnen. Wenige Jahre davor – im Wintersemester 1897/98 – hatte die Philosophische Fakultät der Universität Wien Frauen den Zugang zum Studium ermöglicht, für die Zulassung an die Juridische Fakultät mussten Frauen noch bis 1919/20 warten, die Zulassung an die Evangelisch-Theologische Fakultät erhielten Frauen im Jahr 1928 und die Zulassung an die Katholisch-Theologische Fakultät überhaupt erst im Jahr 1946.

Doch die Zulassung der Frauen zum Studium berechtigte sie noch nicht zur Habilitation. Das Habilitationsrecht an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien erhielten Frauen erst nach dem Ersten Weltkrieg, im Jahr 1919. Die erste habilitierte Frau der Medizinischen Fakultät war die Physiologin Helene Wastl. Wastl suchte bereits im Jahr 1928 um die Lehrbefugnis für Physiologie an, die ihr erst im Jahr 1930 erteilt wurde. Die erste Professur, die an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien mit einer Frau besetzt wurde, erfolgte 1966 mit Erna Lesky, die sich im Fach Medizingeschichte habilitiert hatte und der die Leitung des Josephinums übertragen wurde.

Helene Wastl

Als erste habilitierte Frau an einer Medizinischen Universität in Österreich war Helene Wastl nicht nur fachliche Vorreiterin, sondern eroberte sich zudem einen für damalige Verhältnisse ungewöhnlich großen, internationalen Aktionsradius, gerade als Frau. Zu ihren Forschungsstationen zählten unter anderem Cambridge und später die Cornell University in den USA, wo sie seit 1931 lebte und arbeitete. Dort starb die Physiologin auch, vermutlich 1948, nachdem sie vom NS-Regime zwangsausgebürgert wurde und ihr Doktortitel sowie Habilitation abgesprochen wurden.

medinlive: Bildung für Mädchen und Frauen ist ja gerade in Österreich mit viel Widerstand verbunden gewesen.

Ankele: Genau. Der Öffnung der Universitäten ging ein – vor allem in Österreich – besonders langer Kampf der Frauen um Bildung voraus. Erst 1872 erhielten Mädchen die Zulassung zum Ablegen der Matura, doch berechtigte sie diese nicht zum Besuch einer Universität. 1892 wurde auf Initiative des Vereins für erweiterte Frauenbildung das erste private Mädchengymnasium in Wien gegründet. Dieses eine Mädchengymnasium stand den rund 80 Knabengymnasium, die es zu dieser Zeit in Österreich gab, gegenüber. Das Gymnasium für Mädchen war zuerst in den Räumlichkeiten des städtischen Pädagogiums in der Hegelgasse untergebracht und übersiedelte 1910 in die Rahlgasse, wo sich das Gymnasium ja auch heute noch befindet.

Die Matura konnten die Schülerinnen aber nur als Externistinnen an einem Knabengymnasium ablegen. 1903 bekam das Mädchengymnasium in der Hegelgasse das Öffentlichkeitsrecht, ab 1906 konnten die Mädchen die Matura direkt in der Schule ablegen. Die Gynäkologin und Urologin Dora Brücke-Teleky sowie die Gynäkologin Bianca Bienenfeld besuchten diese Schule. Insgesamt blieb der Zugang zu den allgemeinbildenden höheren Schulen, zu Matura und Studium den Mädchen aus dem finanziell und sozial gut situiertem Bildungsbürgertum vorbehalten.

Das spiegelt sich auch in den Biographien der ersten Ärztinnen wider, die zudem überwiegend aus jüdischen Familien aus Wien und Umgebung sowie aus Galizien und der Bukowina kamen. Der Nationalsozialismus führte unter den jüdischen Ärztinnen zu Vertreibung, Emigration, Ermordung. 1938 durften 85 Prozent der Ärztinnen, die 1937 in Wien noch tätig waren, ihren Beruf nicht mehr ausüben. Die Zahl der Ärztinnen sank in Wien von 816 im Jahr 1937 auf 122 im Jahr 1938.

medinlive: Wie war das Standing der Frauen, ihre Rolle, in den Anfängen?

Ankele: In den Anfängen ihrer universitären Zulassung zum Medizinstudium waren Frauen auf allen Ebenen mit Widerständen, Vorurteilen, Beleidigungen und Diskriminierungen konfrontiert. Eduard Albert, Professor für Chirurgie an der Universität Wien, veröffentlichte 1895 ein schmales Büchlein mit dem Titel „Die Frauen und das Studium der Medicin“, das auch in der Dauerausstellung im Josephinum (dort ist das Wiener Medizinhistorische Museum untergebracht, Anm. d. Red.) zu sehen ist. Darin führte er aus, dass alle Errungenschaften der Zivilisation auf Männer zurückzuführen und Frauen weder psychisch noch physisch in der Lage seien, ein Medizinstudium zu absolvieren und als Ärztin tätig zu sein.

Diese Meinung teilten, wenn auch nicht alle, so doch viele seiner Kollegen, die ihre frauenfeindlichen Ideologien – wie unter anderem der Münchener Anatom Theodor Bischoff – wissenschaftlich zu legitimieren suchten. Sie argumentierten gegen das Frauenstudium mit dem angeblich kleineren Gehirn der Frau, ihren schwachen Nerven, ihrer körperlichen Konstitution. In ihren Schriften versuchten sie, die Frau zu pathologisieren und sie als „Naturwesen“ dem „Kulturwesen“ – dem Mann – gegenüberzustellen, wie das Albrecht in seiner Broschüre auch unternahm.

Dora Brücke-Teleky

Die Tochter eines Allgemeinmediziners war eine der ersten Medizinerinnen, die an der Wiener Universität studierten. 1907 schloss sie das Studium ab. Vorher inskribierte sie sich aber an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien (was seit 1897 für Frauen möglich war) und belegte medizinisch-naturwissenschaftliche Fächer. Als im Wintersemester 1900/1901 Frauen offiziell zum Medizinstudium zugelassen wurden, wechselte sie das Studienfach. Gemeinsam mit Bianca Bienenfeld war sie eine der ersten Fachärztinnen hierzulande, in ihrem Fall der Urologie und Gynäkologie. Sie war eine derjenigen Ärztinnen, die die Rolle der Frau in der Medizin aktiv stärken und bürokratische und geschlechtsdiskriminierende Hürden abbauen wollte. So gründete sie etwa 1919 die „Organisation der Ärztinnen Wiens“, der sie zehn Jahre vorstand. Brücke-Telekys jüdische Herkunft war trotz ihrer frühen Konversion zum Christentum Grund für die Flucht vor den Nationalsozialisten in die USA, die gleich nach dem so genannten „Anschluss“ 1938 passierte. Nach ihrer Nostrifizierung in den USA arbeitete sie in Boston als Frauenärztin. Nach ihrer Pensionierung kehrte sie nach Europa zurück und starb 1963 nahe Zürich.

Darüber hinaus attestierten sie den Frauen ein stärker ausgeprägtes Schamgefühl, das ihnen das Studium der Medizin sowie die Ausübung des Arztberufes verunmögliche. Auch stand die Angst im Raum, dass ein Studium die Frauen „vermännlichen“ und sie ihre weiblichen Eigenschaften dadurch einbüßen würden. Das klingt auch in einem Nachruf auf die Gynäkologin Bianca Bienenfeld durch, die 1929 bei einem Zugunglück verstarb. So wurde im Nachruf darauf hingewiesen, dass Bienenfeld trotz ihres Arztberufs Frau geblieben sei.

Bianca Bienenfeld

Die aus einer angesehene Rabbinerfamilie stammende Wienerin promovierte 1904 als zweite Frau im Fach Medizin (nach Gabriele Possanner 1897). Bienenfeld spezialisierte sich fachlich auf die Gynäkologie und wurde vom Unterrichtsministerium zum ersten weiblichen Sekundararzt Österreichs ernannt. Ab 1912 hatte sie als erste Frauenärztin eine Privatpraxis in der Wiener Innenstadt. Die wissenschaftlich sehr aktive Ärztin starb im Alter von 50 Jahren bei einem Eisenbahnunglück.

Albrechts Schrift sorgte jedenfalls für großes Aufsehen. Noch im Jahr ihrer Veröffentlichung unternahm die Zeitschrift „Das Recht der Frau“ eine Rundfrage unter Wissenschaftern, um sie nach ihrer Stellung zum Frauenstudium zu befragen. Auch der Psychiater Richard Krafft-Ebing, Vorstand der Psychiatrischen Klinik im Allgemeinen Krankenhaus Wien, wurde dazu befragt. Er erklärte, dass man sich darüber in Österreich noch gar keine Meinung bilden könne, da Frauen bislang – die Umfrage war von 1895 – keine Möglichkeit gehabt hätten, ihr Können unter Beweis zu stellen. Krafft-Ebing sprach sich für die Zulassung von Frauen zum Medizinstudium aus. Auch die Augenärztin Rosa Kerschbaumer, die in Salzburg praktizierte und damit zu den ersten in Österreich tätigen Ärztinnen zählte, veröffentlichte in Reaktion auf Albrechts Broschüre einen Artikel, in dem sie die Leistungen von Ärztinnen herausstellte.

Rosa Kerschbaumer

Die 1851 in Russland geborene Kerschbaumer (eigentlich Raissa Wassiljewna Schlykowa) hatte in der Schweiz Medizin studiert, wo Frauen schon viel früher als im restlichen Europa zum Studium zugelassen waren. Schon früh spezialisierte sie sich auf die Augenheilkunde, und da Wien hier führend war, zog sie in die Hauptstadt der Donaumonarchie. 1877 heiratete die geschiedene Putaja den Arzt Friedrich Kerschbaumer. Die beiden führten eine Augenklinik nahe Salzburg. Kerschbaumer erhielt allerdings von Kaiser Franz Joseph höchstpersönlich ab 1890 die Erlaubnis, diese Klinik alleine zu führen. Eine absolute Ausnahme zu einer Zeit, da Frauen hierzulande ja noch nicht einmal das Medizinstudium erlaubt war. Nach der Trennung von ihrem Mann ging Kerschbaumer in ihr Geburtsland, kam dann allerdings wieder nach Wien zurück und wanderte schließlich in die USA aus, wo sie 1923 starb.

Prüderie und Vorurteile

Diesen gesellschaftlichen Gegenwind, diese Ablehnung und Feindseligkeit bekamen die ersten Studentinnen auch im universitären Alltag zu spüren, in der Begegnung mit Kommilitonen, Dozenten und Professoren. Die schriftlichen Erinnerungen, die die ersten Ärztinnen hinterließen, legen davon ein eindrückliches Zeugnis ab. So berichtete Hermine Heusler-Edenhuizen, die 1903 in Bonn in Medizin promovierte, dass die männlichen Studenten sie wie „verächtliche Eindringlinge“ behandelten. Und jedes Mal, wenn sie mit ihren Mitstudentinnen den Vorlesungsraum betrat, scharrten die männlichen Studenten mit den Füßen, pfiffen, tuschelten und schrieben taktlose Witze auf ihre Visitenkarten. Heusler-Edenhuizen schildert in ihren Erinnerungen aber auch, wie viel Überwindung es sie anfangs kostete, Begriffe wie „weibliche Organe“ oder „weibliches Becken“ zu hören oder auszusprechen, ohne vor Scham zu erröten. Auch gegen diese Prüderie, von der die Professoren nicht ausgenommen waren, mussten sie ankämpfen.

Mit dem Abschluss des Studiums folgten für die jungen Medizinerinnen aber die nächsten Hürden: So hatten die promovierten Ärztinnen zunächst keinen Zugang zum Spitalsdienst und konnten vorerst nur als Aspirantinnen oder, in einzelnen Fällen, als Vertretung eines Sekundararztes im Krankenhaus tätig sein. Erst 1907 wurde Frauen als Sekundarärztinnen zugelassen. Die ersten Sekundarärztinnen waren Stephanie Weiss-Eder 1906 im Karolinen-Kinderspital in Wien sowie Anna Pölzl und Bianca Bienenfeld im AKH Wien.

Anna Pölzl

Die Wiener Neustädterin wurde 1872 geboren und arbeitete ursprünglich als so genannte Bürgerschullehrerin. Diese Schulform war als eine Ausbildung gedacht, die die Jugendlichen nicht etwa auf eine akademische Karriere oder eine Universitätsausbildung, sondern eher handwerkliche Berufe vorbereiteten. Nach der externen Matura studierte Pölzl Medizin an der Universität Wien. Vorab war sie übrigens intensiv an den Verhandlungen rund um die Zulassung von Frauen zum Medizinstudium beteiligt. 1908 wurde sie die erste weibliche Sekundarärztin Österreich-Ungarns. Ab 1909 führte sie unter anderem ihre Praxis für Allgemeinmedizin und wurde 1910 erste Schulärztin Österreichs. Zudem arbeitete sie als Fabriksärztin der Tabakfabrik in Wien-Ottakring. Sie starb 1947 in Wien.

Den zweiten Teil des Beitrages rund um die Anfänge der Frauen im Arztberuf finden Sie kommende Woche auf medinlive.

Monika Ankele

Die Medizinhistorikerin Monika Ankele ist seit Ende 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin (Post-Doc) am Lehrstuhl für Geschichte der Medizin der OE „Ethik, Sammlungen und Geschichte der Medizin" der Medizinischen Universität Wien. Vorher war sie u.a. Kuratorin am Medizinhistorischen Museum Hamburg und arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem die Geschichte der Psychiatrie und deren Institutionen.

Infos

„Wie man Ärztin wird" - Historische Perspektiven auf Frauen in der Medizin mit Monika Ankele und Daniela Hahn (Kuratorin): Mittwoch, 7. Juni 2023, 16 Uhr

Josephinum

„Die Frauen und das Studium der Medicin“ von Eduard Albert (1895)

 

Dora Brücke-teleky
Dora Brücke-Teleky war Urologin und Gynäkologin. Sie musste 1938 vor den Nationalsozialisten flüchten.
Public domain via Wikimedia Commons
Bianca Bienenfeld
Bianca Bienenfeld promovierte 1904 als zweite Frau in Österreich.
Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung 405890-D
Rosa Kerschbaumer
Die Augenärztin Rosa Kerschbaumer in einer Ausgabe der „Illustrirten Zeitung" vom 26. April 1890
Public domain via Wikipedia
Sie argumentierten gegen das Frauenstudium mit dem angeblich kleineren Gehirn der Frau, ihren schwachen Nerven, ihrer körperlichen Konstitution. In ihren Schriften versuchten sie, die Frau zu pathologisieren und sie als „Naturwesen“ dem „Kulturwesen“ – dem Mann – gegenüberzustellen.
Gabriele Possanner, Östereichische Illustrirte Zeitung/anno/ÖNB
Als erste weibliche Ärztin in Österreich hatte Gabriele Possanner gegen viele Widerstände zu kämpfen. 1894 beendete sie ihr Studium in der Schweiz, musste aber, um in Österreich praktizieren zu dürfen, alle Prüfungen und Rigorosen hier wiederholen.
Östereichische Illustrirte Zeitung_anno/ÖNB
Verzeichnis Kurrentschrift 1897-1923
Das Verzeichnis promovierter Frauen von 1900-1923 an der Universität Wien, Possanners Name steht ganz oben.
Archiv der Universität Wien
Monika Ankele
Die Wissenschaftlerin Monika Ankele beschäftigt sich unter anderem mit Medizingeschichte.
Privat
Diesen gesellschaftlichen Gegenwind, diese Ablehnung und Feindseligkeit bekamen die ersten Studentinnen auch im universitären Alltag zu spüren, in der Begegnung mit Kommilitonen, Dozenten und Professoren. Die schriftlichen Erinnerungen, die die ersten Ärztinnen hinterließen, legen davon ein eindrückliches Zeugnis ab. So berichtete Hermine Heusler-Edenhuizen, die 1903 in Bonn in Medizin promovierte, dass die männlichen Studenten sie wie „verächtliche Eindringlinge“ behandelten.