Medizinhistorische Streifzüge – Folge 14

Von Nachzehrern, Untoten und Vampiren

Der erste „amtlich“ nach Wien gemeldete Übergriff eines Vampirs ereignete sich 1725 im heutigen Serbien, damals im Grenzgebiet zwischen der österreichischen Habsburgermonarchie und dem osmanischen Reich. Weitere Vampirberichte folgten, die schließlich 1755 in eine wahre Epidemie an Vampirismus mündeten. Doch was hat das alles mit dem Leibarzt von Maria Theresia, Gerard van Swieten, zu tun? Regelmäßig begibt sich Hans-Peter Petutschnig bei medinlive auf eine Zeitreise zu den Spuren der alten Wiener Medizin. Dabei gibt es viel zu entdecken, längst Vergangenes, mitunter Skurriles, Schockierendes oder auch Prägendes, oft gut verborgen unter baulichen Veränderungen der letzten Jahrhunderte.

Hans-Peter Petutschnig

Das Maria-Theresien-Denkmal, gelegen zwischen dem Kunsthistorischen und dem Naturhistorischem Museum und in Wurfweite zur Hofburg, ist das wichtigste Herrscherdenkmal der Habsburgermonarchie in Wien. Es erinnert an Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich, Gattin und seit 1765 Kaiserinwitwe von Kaiser Franz I. Stephan von Lothringen.

Maria-Theresien-Platz
Das Maria-Theresien-Denkmal ist das wichtigste Herrscherdenkmal der Habsburgermonarchie in Wien.


© Stefan Seelig

 

Insgesamt acht Männer sind es, die als Statuen beziehungsweise Reiterstandbilder, tief unterhalb der Kaiserin – so wie es sich gehört – ihren Platz eingenommen haben: Wenzel Anton Kaunitz, Friedrich Wilhelm von Haugwitz, Josef Wenzel I. von Lichtenstein, Leopold Joseph von Daun, Ludwig Andreas von Khevenhüller, Gideon Ernst von Laudon, Otto Ferdinand von Abensperg und Traun – und: der Leibarzt von Maria Theresia, Gerard van Swieten.

Van Swieten galt als einer „der gelehrtesten Männer von Wien“ und begründete den hervorragenden Ruf der Wiener Medizinischen Schule. Maria Theresia berief den Holländer 1745 als Leibarzt des Herrscherhauses von Leyden – damals eine der besten Universitäten Europas – nach Wien. Hier reorganisierte van Swieten das Medizinstudium, führte den klinischen Unterricht – „Weg vom Buch, hin zum Bett“ – in die Ausbildung der Ärzte ein, gründete 1755 die neue Universität – heute Akademie der Wissenschaften, Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 2 – und reformierte, in seinem Bereich autoritär wie Maria Theresia, das damals doch recht verwahrloste österreichische Gesundheitswesen.

Gerard van Swieten
Gerard van Swieten, Leibarzt von Maria Theresia. Er galt als einer „der gelehrtesten Männer von Wien“ und begründete den hervorragenden Ruf der Wiener Medizinischen Schule.


© Rijksmuseum, Portret van Gerard van Swieten, RP-P-1905-4585, CC0 1.0

 

Van Swieten starb am 18. Juni 1772 in Schönbrunn. Medaillen und Münzen mit seinem Antlitz wurden und werden geprägt, Straßen, Kongresse, medizinische Gesellschaften und eine Gattung des Mahagonibaums nach ihm benannt und ihm zu Ehren auch zahlreiche Denkmäler errichtet.

Das ist allgemein bekannt. Weniger bekannt hingegen dürfte sein, dass ihm der Ire Abraham „Bram“ Stoker 1897 ein literarisches Denkmal setzte. Der Autor nahm sich van Swieten nämlich als Vorbild für Abraham van Helsing, den Vampirjäger und Erzfeind des blutsaugenden Grafen Dracula in seinem gleichnamigen Roman. Mag vieles in diesem weltberühmten Lehrbuch für Vampirjäger der reichen Phantasie des Autors entsprungen sein, van Swieten als Vorbild für den naturwissenschaftlich denkenden Jäger des Blutsaugers zu nehmen, ist aber ganz und gar nicht so abwegig, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.

Vampire hatten für die Menschen des 17. und 18. Jahrhunderts mit dem faszinierenden, bleichen Grafen mit den meist guten Manieren, den spitzen Zähnen und dem schwarzen Cape nichts zu tun. Auch nächtliche Blutorgien mit – zumindest bis zum Biss – unschuldigen Jungfrauen und kaum versteckter Erotik und Sexualität waren nicht wirklich ein Problem. Für die damalige Bevölkerung waren Wiedergänger, schmatzende Tote, Nachzehrer, Untote oder eben Vampire die Verursacher unerklärlicher Todesfälle und gefährliche Verbreiter von Seuchen und Krankheiten.

Knoblauch zur Abwehr schien den mit der „Magia posthuma“, der „Zauberey der Abgestorbenen“ behafteten Leichen damals recht gleichgültig gewesen zu sein. Da mussten schon handfestere Maßnahmen gesetzt werden, um den Blutsaugern den Garaus zu machen. Nur ein Pfahl durch das Herz bohren, den Kopf abschlagen oder den Leichnam verbrennen konnte die gestrafte Dorfgemeinschaft von solch einem „Vampyr“ erlösen, am besten alles zusammen.

Der erste „amtlich“ nach Wien gemeldete Übergriff eines Vampirs ereignete sich 1725 im heutigen Serbien, damals im Grenzgebiet zwischen der österreichischen Habsburgermonarchie und dem osmanischen Reich, also im Bereich der sogenannten Militärgrenze. Kurz nach dem Tod des Peter Plogojowitz in Kislova starben neun Menschen nach kurzer Krankheit aus unerklärlichen Gründen. Nach Angaben der Dorfbewohner hatte Plogojowitz alle Opfer kurz zuvor in der Nacht überfallen und gewürgt. Für die Bewohner des Dorfes war die Sache klar: Plogojowitz war ein Untoter und folglich als Blutsauger unterwegs.

Der zweite aktenkundige Fall ereignete sich im Winter 1731/32 in der Ortschaft Medwegya, ebenfalls nahe der türkischen Grenze. Hier starben 13 Menschen in sechs Wochen, nachts und im Schlaf. Der österreichische Amtsarzt, der zur Klärung des Falls in das Dorf geschickt wurde, konnte aber keine Anzeichen einer Seuche entdecken. Für die Bewohner des Dorfes war auch hier die Ursache klar: Vampire, was sonst.

Abhandlung des Daseyns der Gespenster
Im Anhang von Andreas Ulrich Mayers „Abhandlung des Daseyns der Gespenster“ von 1768 erscheint van Swietens Bericht „Vampyrismus“, in dem er mit den blutsaugenden Untoten abrechnet.


© Wikimedia Commons

 

Als dann 1755 Berichte einer wahren Epidemie von Vampirismus aus dem Bistum Olmütz – unter 30 verdächtigen Leichen wurden 19 Erwachsene und ein Kind als „Vampyr“ identifiziert – den Wiener Hof erreichten, reagierte Maria Theresia. Sie schickte einen Leibarzt der Armee und einen Anatomen nach Olmütz, um die in der Zwischenzeit durchgeführten Vampirhinrichtungen genauestens zu untersuchen. Van Swieten beauftragte sie, die Berichte zu kommentieren und entsprechende Maßnahmen zu empfehlen. Der Leibarzt der Kaiserin kam zum Schluss, dass die unerwartet langsame Verwesung der Leichen auf natürliche Ursachen wie Temperatur, Bodenbeschaffenheit und Krankheit der Verstorbenen sowie das „vermeintliche Drucken“ in der Brust der Dorfbewohner eher auf eine Brustkrankheit als auf Vampire zurückzuführen sei. Er verurteilte auch heftigste den Aberglauben der lokalen Behörden, der Kirche und die Unwissenheit der Ärzte vor Ort.

Maria Theresia folgte den Empfehlungen van Swietens und verbot im sogenannten „Vampir-Erlass“ vom 1. März 1755 die Leichenschändung unter dem Deckmantel der Vampiraustreiberei. Ab diesem Zeitpunkt gibt es in Österreich – zumindest offiziell – keine Vampire mehr. In seiner Abhandlung über „Vampyrismus“ kommentiert van Swieten aber nirgends die in allen Berichten gemachte Feststellung, dass nach einer – zugegeben recht grauslichen – „lege artis“-Tötung des Vampirs die unerklärlichen Todesfälle und der Spuk sofort beendet waren. Lügen alle diese Berichte? Oder hat van Swieten hier etwas übersehen?

 

 

 

Hans-Peter Petutschnig ist seit vielen Jahren für die Pressearbeit und den Verlag der Wiener Ärztekammer verantwortlich. Er ist zudem stellvertretender Kammeramtsdirektor der Ärztekammer für Wien und organisiert zahlreiche kulturelle Veranstaltungen für Ärztinnen und Ärzte. Zusammen mit der staatlich geprüften Wiener Fremdenführerin sowie Kunst- und Kulturvermittlerin Bibiane Krapfenbauer-Horsky hat er das Buch „Auf den Spuren der alten Heilkunst in Wien – Medizinische Spaziergänge durch die Stadt“ verfasst.

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Hans-Peter Petutschnig
Hans-Peter Petutschnig, seit vielen Jahren für die Pressearbeit und den Verlag der Wiener Ärztekammer verantwortlich, begibt sich nun regelmäßig bei medinlive auf eine Zeitreise zu den Spuren der alten Wiener Medizin.
Stefan Seelig
Vampire
R. de Moraine, Moraine le vampire, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Für die damalige Bevölkerung waren Wiedergänger, schmatzende Tote, Nachzehrer, Untote oder eben Vampire die Verursacher unerklärlicher Todesfälle und gefährliche Verbreiter von Seuchen und Krankheiten.