doktorinwien: Herr Dr. Brandstätter, Sie sind der Obmann der bilateralen parlamentarischen Gruppe Ukraine, Moldau, Belarus und in dieser Funktion im Juni mit einer Delegation in die Ukraine gereist. Wozu gibt es diese Gruppen und was war das Ziel Ihrer Reise?
Brandstätter: Es gibt derzeit im österreichischen Parlament 44 solcher Gruppen. Diese Gruppen haben den Zweck, Parlamente weltweit zu vernetzen und auch einen Beitrag zur parlamentarischen Diplomatie und zum internationalen Austausch zu leisten. Das Ziel unserer Reise war es, Medikamente in ukrainische Spitäler zu bringen, Kontakte vor Ort herzustellen, uns ein Bild davon zu machen, was an medizinischer Unterstützung generell dringend gebraucht wird und wie wir langfristig helfen können. Wir haben vorab Kontakt zu den „Apothekern ohne Grenzen“ gesucht, um eine Medikamentenlieferung zu organisieren, und auch zur Ärztekammer, mit dem Anliegen, ob uns jemand begleiten kann, der die Lage aus medizinischer Sicht etwas besser beurteilen kann. So ist es dazu gekommen, dass Herr Dr. Pelanek sich uns angeschlossen hat und ich bin dankbar, dass sich die Ärztekammer gleich bereiterklärt hat, hier zu unterstützen.
doktorinwien: Welche Orte in der Ukraine haben Sie besucht?
Brandstätter: Wir waren in Lemberg, in Kiew und in den von den russischen Angriffstruppen zerstörten Kiew-Vororten Butscha, Irpin und Borodjanka. In Kiew haben wir an der „Hineintragung“ der EU-Fahne in das ukrainische Parlament teilgenommen und Gespräche mit dem Parlamentspräsidenten, Ruslan Stefantschuk, geführt, mit der stellvertretenden Ministerpräsidentin Olga Stefanishyna und einigen Abgeordneten. Neben allem, was an materieller Hilfe gebraucht wird, ist ein wesentlicher Punkt, zu signalisieren, dass uns der Krieg nicht egal ist. Dass die Menschen verstehen, dass wir sie nicht vergessen, dass wir die Kriegshandlungen und Zerstörungen mitverfolgen und versuchen, zu helfen, wo wir können.
doktorinwien: Gab es während Ihrer Reise auch gefährliche Situationen?
Brandstätter: Dadurch, dass wir während unserer Reise vom österreichischen Botschafter wirklich gut betreut wurden, haben wir uns weitgehend sicher gefühlt, und es gab in der Zeit, in der wir dort waren – im Gegensatz zu den Tagen zuvor – keinen Alarm. Wir wurden aber darauf vorbereitet, was bei Alarm zu tun ist: Weg von den Fenstern im Hotel, zumindest ins Badezimmer oder auf den Gang und eventuell sogar hinunter in den Keller.
Und es ist schon bewegend, zu sehen, wie die Menschen den widrigen Umständen trotzen, wie sie trotz dieser Belastung ihr Leben weiterleben. Besonders berührend war für mich eine Situation in Butscha. Während uns der Bürgermeister von den Kriegsverbrechen erzählt hat, die dort stattgefunden haben, hat der Dolmetscher die Fassung verloren und zu weinen begonnen. Das ist wirklich nahegegangen.
doktorinwien: Herr Dr. Pelanek, welche Spitäler haben Sie vor Ort besucht und welchen Eindruck haben Sie gewonnen?
Pelanek: Wir waren in einem Spital in Lemberg und in einem Unfallkrankenhaus in Kiew, wo ich mir direkt im OP ein Bild von der Lage machen konnte.
Man darf nicht vergessen, dass selbst in Friedenszeiten das Gesundheitssystem in der Ukraine nicht unbedingt im Spitzenfeld liegt und teilweise am Rande der Belastungsgrenze steht. Wie in vielen Bereichen in der Ukraine herrscht auch hier ein starkes Ost-West-Gefälle. Aber was sich östlich von Lemberg abspielt, kann man sich als Westeuropäer nicht vorstellen, da wird Kriegsmedizin wie im Ersten Weltkrieg praktiziert. Es wird teilweise mit unsterilen Handschuhen operiert, das OP-Besteck wird ausgekocht, und selbst das ist manchmal nicht möglich. Es gibt zwei Operationssäle für 45 Schwerstverletze. Die Operationen können teileweise nicht komplett durchgeführt werden, weil das benötigte Material ausgegangen ist, weil Schrauben fehlen und so weiter. Ich habe dort ein Röntgengerät aus den 70er-Jahren gesehen, das hatte drei Kabelbrüche, die Kabel sind nicht mehr erhältlich, das heißt, das Gerät ist auch nicht mehr zur reparieren. Da muss dann jemand im OP stehen und das Kabel halten, damit der Bildschirm funktioniert. In den Spitälern fehlt es an allem. An Nahtmaterial, an Verbänden, an sterilen Wundauflagen, an Schmerzmitteln, sogar an Bettzeug. Auch Antibiotikum ist kaum vorhanden, wenn man es als Patientin oder Patient dringend benötigt, hat man einfach Pech gehabt.
doktorinwien: Was war für Sie besonders schockierend?
Pelanek: Die Opfer von Gewaltverbrechen zu sehen. Also nicht von Autounfällen oder anderen Unfällen, wie man es von österreichischen Unfallkrankenhäusern kennt, sondern Verbrennungsopfer, Menschen mit Schussverletzungen oder Verletzungen durch Streubomben. So etwas ist für uns unfassbar.
doktorinwien: Was kann man tun, wenn man helfen will?
Pelanek: Einer der größten humanitären Vereine hier in Österreich, der Spenden sammelt und Transporte in die Ukraine organisiert, ist der Verein YOUkraine. Der Verein ist mittlerweile sehr gut organisiert und mit Spitälern in der Ukraine vernetzt, es gibt Listen und Kataloge mit Medikamenten und Materialien, die am dringendsten benötigt werden. Und der Verein sorgt auch dafür, dass die Dinge in den Spitälern ankommen, wo sie gebraucht werden. Das ist nämlich nicht selbstverständlich, denn aufgrund von Korruption kommen Spendengüter leider nicht immer an ihrem Zielort an.
Die Ärztekammer unterstützt den Verein und stellt ihre Räumlichkeiten im Parkschlössl im dritten Bezirk zur Verfügung, wo Medikamentenspenden und medizinische Sachspenden gesammelt, gelagert und katalogisiert werden, um von dort dann in die Ukraine transportiert zu werden. Den Verein finanziell zu unterstützen, damit Medikamente und benötigte Materialien besorgt werden können, ist auf jeden Fall sinnvoll. Und mein Appell an die Kolleginnen und Kollegen lautet: Wenn Sie Medikamente übrighaben, auch welche, die in Kürze ablaufen oder vor Kurzem abgelaufen sind, bitte nicht wegwerfen, sondern ins Parkschlössl bringen.
doktorinwien: Wie kann die österreichische Regierung die Ukraine noch unterstützen, was muss besser funktionieren?
Brandstätter: Wir wollen dort, wo es Transportmöglichkeiten gibt, verwundete Soldaten und verletzte Menschen nach Österreich transportieren, damit sie hier ordentlich behandelt werden können, das ist gerade in der Planung. Und es gibt auch noch andere Bereiche, wo wir politisch unterstützen können, abgesehen davon, Sanktionen gegen Russland mitzutragen. Der Bürgermeister von Lemberg versucht gerade, ein Rehabilitationszentrum aufzubauen, wo Kriegsversehrte behandelt werden können. Und da gibt es viele solche Beispiele, wo wir uns mit konkreter Hilfe, mit Sachspenden, mit medizinischem Know-how stärker engagieren könnten. Was vielen vielleicht nicht bewusst ist: Die ukrainische Stadt Ushgorod ist näher zu Wien als Wien zu Bregenz. Auch wenn wir mit dem Krieg in der Ukraine nichts zu tun haben, mit den Folgen, mit den Entwicklungen, die sich daraus ergeben, werden wir sehr wohl zu tun haben. Und deshalb müssen wir als Europa zusammenhalten und der Ukraine deutlich zeigen, dass wir für sie da sind.
Medikamenten-Spenden und medizinische Sachspenden – Sammelstelle Parkschlössl
Im Parkschlössl werden für den Verein „YOUkraine – Verein für die Unterstützung und Entwicklung der Ukraine“ vor allem Medikamente gesammelt. Dringend benötigt werden:
- Medikamente ALLER Art, auch unverkäufliche Muster und Medikamente, die bis zu sechs Monate abgelaufen sind
- Verband aller Art, medizinische Salben, medizinische Instrumente (z.B. sterile Einmal-Scheren, -Pinzetten, Skalpelle etc.)
- Gebrauchte medizinische Geräte
Sammelstelle: Parkschlössl in Wien 3., Landstraßer Hauptstraße 138, Montag bis Sonntag, 12 bis 19 Uhr
Spendenkonto „YOUkraine – Verein für die Unterstützung und Entwicklung der Ukraine“
IBAN: AT78 2011 1845 6916 9400
https://youkraine.at/
Dieses Interview ist zuerst in der Ausgabe 09/22 von doktorinwien erschienen.