Derzeit gibt es in Österreich 39 Primärversorgungszentren in sieben Bundesländern. Das ursprüngliche Ziel, bis 2021 75 Primärversorgungseinrichtungen zu errichten, wurde also verfehlt. Nun setzt man sich nichtsdestotrotz gleich ein neues Ziel: Bis 2025 soll das Angebot auf 121 Zentren verdreifacht werden. Patient:innen profitieren bei diesen Ärzteteams, die auch mit anderen Gesundheitsberufen wie Hebammen zusammenarbeiten, etwa von längeren Öffnungszeiten. Der Politik geht es aber auch um eine Entlastung des ambulanten Bereichs und „zeitgemäße“ Arbeitsbedingungen für Ärzt:innen.
Dass es von diesen PVE derzeit zu wenige gibt, liege am Widerstand der Ärztekammer, hatte Gesundheitsminister Rauch Ende Jänner beklagt. „Dass die Ärztekammer bei der Einrichtung einer Primärversorgungseinheit ein Vetorecht hat, halte ich für einen Anachronismus“, kündigte er eine Änderung der gesetzlichen Voraussetzungen an. Nun macht die Regierung ernst: Sind in einer Versorgungsregion zwei Stellen von Allgemeinmedizinern oder Kinderärzten unbesetzt, haben Ärztekammer und Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) künftig sechs Monate Zeit, neue Ärzt:innen zu finden, sehen die Pläne vor. Danach sollen Landesregierung und ÖGK gemeinsam eine Primärversorgungseinrichtung ausschreiben können - die Zustimmung der Ärztekammer wäre also nicht mehr notwendig.
Mangelberufe bevorzugt
Auch sonst sollen die Rahmenbedingungen erleichtert werden. Neben Allgemeinmedizinern können sich den Plänen zufolge künftig auch Kinderärzte für Primärversorgungseinrichtungen bewerben. Mangelberufe wie Gynäkologen werden bei der Gründung bevorzugt. Auch Ärzte, die noch keinen Kassenvertrag haben, sollen sich nach der Gesetzesänderung an der Gründung beteiligen können. Damit sollen Wahlärzte verstärkt in die Kassenversorgung integriert werden. Statt bisher drei Kassenärzten und einer Pflegekraft sollen in Zukunft also beispielsweise auch ein Kassenarzt, ein Wahlarzt und ein Krankenpfleger eine PVE gründen können.
Für den Ausbau der Primärversorgung stehen 100 Millionen Euro an Förderungen aus dem Aufbaufonds der EU zur Verfügung.
Raus aus der Zweiklassen-Medizin
Die Novelle zum Primärversorgungsgesetz, die nun in Begutachtung geht, sei „ein ganz, ganz wichtiger Baustein, um die medizinische Versorgung in Österreich strukturell zu verbessern“, betonte Rauch. Man könne es auch „Projekt Bergdoktor“ oder „Projekt Landarzt“ nennen, meinte Rauch. Denn vor allem im ländlichen Bereich gebe es einen Mangel an Kassenärzten. Davon seien wiederum insbesondere Menschen mit geringem Einkommen betroffen, die nicht die Möglichkeit haben, auf eine Wahlarztpraxis auszuweichen. „Man darf nicht darauf angewiesen sein, seine Kreditkarte mitnehmen zu müssen“, sieht Rauch auch einen „Schritt heraus aus der Zweiklassen-Medizin“.
Zustimmung für den geplanten Ausbau der PVEs kam von der Opposition „Angesichts der zahlreichen Baustellen im Gesundheitssystem war es höchst an der Zeit, dass die Regierung munter wird“, wird SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher in einer Aussendung zitiert. Auch Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) begrüßt den Vorschlag: „Wir wissen, dass es viele Ärztinnen und Ärzte gibt, die nicht mehr in Einzelordinationen alleine arbeiten möchten, sehr wohl aber in vernetzten Strukturen wie PVEs“.
Einig sind sich Kucher und NEOS-Gesundheitssprecherin Fiona Fiedler insofern, als dass sie die geplanten Einschränkungen der Kompetenzen der Ärztekammer gutheißen. „Die Macht der Ärztekammer, die jeden ernst zu nehmenden Ausbau der Primärversorgung verhindert, muss beschnitten werden. Das Ziel muss lauten, die ÖGK beim Ausbau der Primärversorgung zu stärken und weniger abhängig von der Ärztekammer zu machen“, sagte Fiedler. Beide sprachen sich aber dafür aus, dass solche Zentren nicht nur Ärzte, sondern auch andere Gesundheitsberufe, wie etwa Physiotherapeuten betreiben dürfen sollen.