„Selbst von der elektronischen Fieberkurve sind manche meilenweit entfernt!“
Künstliche Intelligenz, Doktor Google, elektronische Fieberkurve, ELGA... das Thema Digitalisierung ist ein breites Feld. Und es betrifft sämtliche Bereiche im Gesundheitswesen, egal ob Spital oder Niederlassung. Was sich Ärzt:innen hier wünschen, erwarten und mit welchen Dingen sie hadern, hat medinlive im Gespräch mit Stefan Konrad, 3. Vizepräsident der Wiener Ärztekammer, und Julia Müller-Rabl, Stabsstelle Gesundheitsökonomie und e-Health der Wiener Ärztekammer, erfragt.
Eva Kaiserseder
Digitalisierung. Einer dieser großen, omnipräsenten Begriffe. Und einer, mit dem wir alle völlig unterschiedliche Dinge verbinden. „Ich würde das Thema erst einmal herunterbrechen auf das Gegenteil von analog, was in der Praxis bedeutet: weg vom Papier. Gerade in den Spitälern ist ganz klar: Die klassische Krankenakte hat ausgedient. Das würde den Workflow auch wesentlich effizienter machen“, so Stefan Konrad, der sich in der Wiener Ärztekammer als 3. Vizepräsident gemeinsam mit Julia Müller-Rabl verantwortlich für das Thema Digitalisierung zeichnet. „Ich glaube, die Ärzteschaft wünscht sich vor allem eine Vereinfachung der Prozesse und unter dem Strich mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten“, so Julia Müller-Rabl.
Konrad ist Radioonkologe. Jemand, der physikalische Prozesse, Strahlung, als therapeutische Waffe einsetzt. Sein Fach ist definitiv in der Nische beheimatet. Und wie auch die quasi verwandte Bildgebende Diagnostik bei Themen wie KI und Digitalisierung relativ weit vorne.
Wobei sich grundsätzlich die Frage stellt, wo Österreich im Digitalisierungsprozess denn überhaupt steht? Unser Ruf ist im internationalen Vergleich schließlich kein besonders guter, gerade mit Blick auf die skandinavischen Länder, die Vorreiter sind. Österreich gilt als Land, das Daten eher verwaltet, denn zielführend mit ihnen arbeitet. Konrad überlegt. Er sieht den Digitalisierungsstatus der Spitäler als „völlig unterschiedlich“. „Es gibt Häuser, die diesen Transformationsprozess schon hinter sich haben und wirklich gut gemanaged haben, und es gibt Spitäler, wo man noch in den Kinderschuhen steckt und selbst von einer elektronischen Fieberkurve noch meilenweit entfernt ist.“
Wahlärzteschaft als Innovationstreiber
In der Niederlassung ist das Thema Telemedizin naturgemäß groß, Stichwort Pandemie: Nicht nur die Health Literacy, also die Fähigkeit der Patient:innen, Gesundheitsinfos zu verstehen, ist gewachsen. Auch digitale Sprechstunden sind aus dem ganz simplen Grund der Kontaktbeschränkungen zunehmend beliebter geworden. „Wobei man sagen muss, dass Telemedizin vor allem von Wahlärztinnen und Wahlärzten angeboten werden kann und wurde. Denn problematischerweise wird Zuwendungsmedizin, also das Gespräch mit den Patientinnen und Patienten, bekanntlich nicht vernünftig von den Kassen honoriert“, sehen beide hier die Krux.
Auch ELGA, die Elektronische Gesundheitsakte, wäre grundsätzlich eine gute Idee, hat aber in der Ärzteschaft nicht den besten Ruf. Gerade in Sachen Nutzerfreundlichkeit sei noch deutlich Luft nach oben, so das vielfache Feedback. „Definitiv gibt es hier noch viel Luft nach oben“, bestätigen auch Müller-Rabl und Konrad diesen Eindruck.
Konrad betont, „dass in dieser ganzen Debatte um die Wichtigkeit der Wahlärztinnen und Wahlärzte unbedingt auch gesehen werden muss, dass sie, abseits von allen anderen Dingen, Innovationstreiber sind. Sie suchen sich Nischen, wo sie kreativ werden können und investieren etwa in spezielle Software und Tools. Weitergedacht sind das dann Entwicklungen, die später im gesamten Gesundheitswesen zum Tragen kommen könnten und nützlich für alle sind.“
Bei all diesen Veränderungen ist ein Punkt wesentlich: Das Darüberstülpen von neuen Ideen oder ein Top-Down-Agieren, wie es im Fachsprech heißt, „wird niemanden glücklich machen“, sind sich Müller-Rabl und Konrad einig. Dinge, die in der Theorie wunderbar klingen, können in der Praxis selbstredend völlig versagen. „Manchmal hat man das Gefühl, es wird zum Beispiel im Spital den Menschen, die da auf den Abteilungen arbeiten und in Konsequenz ja täglich mit den digitalen Neuerungen konfrontiert sind, überhaupt nicht zugehört. Dabei wäre das ausschlaggebend für einen effizienten Arbeitsablauf“, so Konrad, der auch stellvertretender Vorsitzender des Betriebsrates im Wiener AKH ist.
Doktor Google: Freund oder Feind?
Bei all dem ist die schon erwähnte Health Literacy ein zweischneidiges Schwert. Der niederschwellige Zugang zu Informationen, die früher den Ärzt:innen vorbehalten blieben, ist „eine Herausforderung“, wie Stefan Konrad sagt. „Es hat unsere Arbeit in manchem sogar schwieriger gemacht, weil falsche Informationen das Vertrauen in die Ärztin oder den Arzt natürlich untergraben können. Allerdings gibt es auch diejenigen, die sich bei seriösen, guten Quellen informiert haben, was die Arbeit wiederum erleichtert, wenn jemand mit entsprechend fundiertem Vorwissen kommt. Es gilt einfach, mit Fingerspitzengefühl und Empathie herauszufinden, wo die Patientinnen und Patienten stehen und wo man ihn als Ärztin oder Arzt abholen kann. Auf jeden Fall sind und bleiben Ärztinnen und Ärzte aber die Experten bei jeglichen Fragen zur Gesundheit.“
Nutzen könne man das gesteigerte Interesse an gesundheitlichem Themen etwa mit adäquat aufbereitetem Info-TV im Wartebereich, „dann weiß ich, meine Patientinnen und Patienten haben die Key Points zumindest schon einmal gesehen und gehört“, so Konrad. An seinem Arbeitsplatz würde das gut funktionieren.
Last but not least will er als neu gewählter 3. Vizepräsident der Wiener Ärztekammer mit Schwerpunkt Digitalisierung gemeinsam mit Julia Müller-Rabl vor allem die Kammer selbst modernisieren, die beiden arbeiten eng zusammen. Was heißt das im Klartext? „Innerhalb der Kammer soll die Arbeit durch verbesserte Hard- und Softwarelösungen erleichtert werden, viele Prozesse vereinfacht werden, Wege kürzer werden. Wir arbeiten da gerade an vielen Fronten und es tut sich erfreulicherweise auch viel“, so Konrad. Und weiter:„Mein Ziel ist eine Vereinfachung, Modernisierung und Digitalisierung der Behördenwege sowie die Steigerung der Usability der Services der Wiener Ärztekammer für alle ihre Mitglieder.“
„Telemedizin kann vor allem von Wahlärztinnen und Wahlärzten angeboten werden. Denn problematischerweise wird Zuwendungsmedizin, also das Gespräch mit den Patientinnen und Patienten, bekanntlich nicht vernünftig von den Kassen honoriert." – Julia Müller-Rabl und Stefan Konrad
„Manchmal hat man das Gefühl, es wird zum Beispiel im Spital den Menschen, die da auf den Abteilungen arbeiten und in Konsequenz ja täglich mit den digitalen Neuerungen konfrontiert sind, überhaupt nicht zugehört." – Stefan Konrad