| Aktualisiert:
Zentrum für Präzisionsmedizin

Wo Medizin auf Technologie trifft

Die Präzisionsmedizin wird als wichtigster medizinischer Trend des 21. Jahrhunderts gehandelt. In Österreich soll bald ein Zentrum entstehen, das Forschung und Praxis im Zeichen von personalisierter Medizin zusammenführt. Eine Besonderheit dabei ist auch die Finanzierung des Baus.

Claudia Tschabuschnig
 Michaela Fritz (rechts im Bild), Vizerektorin für Forschung und Innovation der MedUni Wien und Christoph Binder, Atheroskleroseforscher an der MedUni Wien, über den geplanten Bau des Zentrum für Präzisionsmedizin.
Michaela Fritz (rechts im Bild), Vizerektorin für Forschung und Innovation der MedUni Wien und Christoph Binder, Atheroskleroseforscher an der MedUni Wien, über den geplanten Bau des Zentrum für Präzisionsmedizin.
Claudia Tschabuschnig

Spenden für die Forschung. Ein Konzept, das in den USA gang und gäbe ist. In Österreich zählt der geplante Bau des Zentrums für Präzisionsmedizin am MedUniCampus AKH zu den ersten Forschungsprojekten, die durch Spenden finanziert werden sollen. Eine Finanzierungsform, die die am Projekt Beteiligten vor „eine große Herausforderung” stellt, wie Michaela Fritz, Vizerektorin für Forschung und Innovation der MedUni Wien gegenüber „medinlive.at“ anmerkt. Dementsprechend laut wird die Werbetrommel für potenzielle Sponsoren gerührt. Ziel der Präzisionsmedizin ist es, individuelle Behandlungsstrategien und Therapien zu entwickeln. Welchen Beitrag das Zentrum für Österreich leisten soll, erläutert Fritz gemeinsam mit Christoph Binder, Atheroskleroseforscher an der MedUni Wien.

medinlive: Welche Entdeckungen haben die Präzisionsmedizin zuletzt weiterentwickelt?

Binder: Die Präzisionsmedizin ist in einigen Bereichen der Medizin schon in der Routine angelangt. Dabei verwendet man eine Stratifizierung (Einteilung in unterschiedliche Behandlungsgruppen, zum Beispiel durch Risikoklassifikation, Anm.) der Patientinnen und Patienten anhand genetischer Muster, über die man feststellen kann, welche Therapie oder Präventionsmaßnahme geeignet ist. In der Onkologie ist dies schon tägliche Praxis. In den Richtlinien der Ärzte ist es mittlerweile zunehmend integriert, dass man nur bei dem Auftreten gewisser Mutationen in Tumoren bestimmte Therapien und Behandlungen durchführen kann. Auch in anderen medizinischen Bereichen wird die Präzisionsmedizin zunehmend eingesetzt, wie etwa bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen. Hier weiß man, dass die Prädispositionen sehr stark auch über genetische Faktoren determiniert werden. Zum Beispiel zeigen neueste Erkenntnisse, dass eine entzündungshemmende Therapie, zur Vorbeugung eines weiteren Herzinfarktes, nur bei einer gewissen Patientengruppe, die eben auch ein spezifisches genetisches Muster aufweist, wirksam ist.

Fritz: Viele Ärztinnen und Ärzte mögen das Wort „Präzisionsmedizin“ nicht. Denn sie sagen, dass es schon immer den Anspruch gab, so präzise zu arbeiten, wie es Technologie und Diagnostik erlaubt. Dieses Wort ist meiner Ansicht nach trotzdem gerechtfertigt, weil es in den letzten fünf bis zehn Jahren einen „Boost“ an neuen Technologien und Möglichkeiten gab, wie etwa die Genomik, die leistbar geworden ist. Nun kann man eine Totalsequenzierung für 1.000 Euro durchführen. Das hat das Spektrum, Anwendungsgebiet und die Möglichkeiten stark erweitert. Gleichzeitig sind neben Omics-Technologien (ein relativ neues Forschungsgebiet, das sich mit Genomik, Proteomik und der Metabolomik befasst, Anm.) auch bioinformatische Datentechnologien avanciert. Sie machen es möglich, dass man überhaupt mit derart großen Datenmengen umgehen kann.

medinlive: Die Präzisionsmedizin ist in der Onkologie weit fortgeschritten. In welchem Bereich wird das meiste Potenzial gesehen?

Binder: Großes Potenzial gibt es bei seltenen Erkrankungen. Früher wurden gewisse Syndrome beschrieben und man konnte nicht erklären, was die oftmals genetische Ursache einer bestimmten Erkrankung ist. Nun können wir dies mithilfe der neuen Technologien besser verstehen und analysieren, und dementsprechend wirksame Therapien finden.

Fritz: Zudem sind seltene Erkrankungen nicht so selten, wie angenommen wird. In Summe gibt es etwa 8.000 solcher Erkrankungen. Das heißt es betrifft sehr viele Patientinnen und Patienten. Das Potenzial der Präzisionsmedizin liegt allerdings in allen Fachgebieten.

medinlive: Auf welche Krankheitsbilder und medizinische Fachbereiche wird man sich im Zentrum für Präzisionsmedizin konzentrieren?

Fritz: Das Zentrum für Präzisionsmedizin soll offen sein für alle Fachrichtungen. Vorrangig geht es um die Begegnung von Technologien mit den Ärztinnen und Ärzten. Es geht darum die IT-Seite, der Datenwissenschaft und die Omics-Technologien in der Nähe von einem der größten Krankenhäuser Europas zusammenzubringen. Von dort geht der Transfer zurück zu den Patientinnen und Patienten. Das wäre der Charme dieses Hauses. Für uns sehr positiv ist, dass wir dafür den Platz auf dem MedUni Campus AKH zur Verfügung haben.

medinlive: Wie soll das Zentrum organisiert und strukturiert sein?

Fritz: Es sollen drei neue Gebäude entstehen. Das Zentrum für Translationale Medizin und Therapien (Center for Translational Medicine and Therapeutics) ein Technologietransferzentrum und ein Zentrum für Präzisionsmedizin, das wir über Spendengelder, über private Mittel, finanzieren wollen. Das ist eine große Herausforderung in Österreich. Wären wir auf einem US-amerikanischen Universitätscampus könnten wir da durchspazieren. In Österreich ist die Kultur für Forschung zu spenden, leider noch nicht ausgeprägt. Wir halten es aber für ein langfristiges und nachhaltiges Investment, nämlich auch in die nächsten Generationen.

Binder: Eines unserer Ziele ist es, dass die geplanten Zentren sehr nah aneinander angeschlossen sind, sodass sich Entwicklungen oder Erkenntnisse in der Präzisionsmedizinforschung sehr schnell umsetzen lassen. Auf dem Campus soll die Bioinformatik groß ausgebaut werden, auch wird es eine Biobank (Sammlung von Stoffen, wie Gewebeproben, mit assoziierten, in Datenbanken verwalteten Daten, Anm.) geben. Die modernen Omnics-Technologien sollen dort beheimatet werden und daneben Forschungslaboratorien, in denen jene Arbeitsgruppen, die sich einer präzisionsmedizinischen Fragestellung widmen wollen unmittelbar am Ort des Geschehens sind.

medinlive: Wie ist Österreich in Sachen Präzisionsmedizin im internationalen Vergleich aufgestellt?

Fritz: Aus einer gesamtösterreichischen Perspektive ist es uns gelungen, dass wir uns gut vernetzten. Das hat auch Vorteile gerade in einem kleinen Land, wo sich die entscheidenden Player kennen. Irgendwann wird man ja auch drüber reden müssen, wer dies alles bezahlt. Wir haben starke Forschungsgruppen und sind auch in einigen klinischen Studien ganz vorne. Was man zeigen muss, ist, dass die Präzisionsmedizin besser ist, als das, was wir bisher machen. Dazu haben wir innovative klinische Studien am Laufen.

medinlive: Was wäre nötig, um die Entwicklung in der Präzisionsmedizin voranzutreiben?

Binder: Eine Finanzspritze (lacht). Ich denke, dass die Bereitschaft und die Akzeptanz bereits vorhanden ist. Wir bemühen uns auch darum, die Bevölkerung über diese moderne Medizin zu informieren, aber die Limitationen sind sicher die Finanzmittel, die man braucht, um schneller zu sein. Abgesehen davon sind wir sehr gut aufgestellt, nämlich was das Forschungsinteresse, die Köpfe und die Ideen, die wir haben, betrifft.

Fritz: Zudem sind wir offen für Kooperationen. Wir arbeiten etwa auch mit Unternehmen zusammen, sowie mit vielen anderen akademischen Institutionen und Universitäten. Den organisatorischen Rahmen hätten wir schon geschaffen. Der eine große Sponsor, dessen Plakette wir an das Haus hängen könnten, der fehlt uns noch.

medinlive: Die Präzisionsmedizin macht dem Menschen zur Datenbank. Welche Rolle spielt hier die Angst vor Datenmissbrauch?

Fritz: Für die Forschung, Patientenversorgung, Diagnostik und Prävention sind diese Daten natürlich ein wertvolles Gut, mit dem man behutsam umgehen muss. Das Ziel ist immer eine gute präzise, wirkungsvolle Behandlung für die Patientinnen und Patienten. Und das große Potenzial liegt ja vor allem in der Prävention. Aber unsere Erfahrung ist, dass die Angst um eigene Daten nicht so groß ist. Eher wird gesehen, wie man davon profitieren kann. Die Bereitschaft ist hoch, auch in der Forschung mitzuwirken.

Binder: Ich glaube, dass dieses Thema früher mystifiziert wurde und jetzt sind wir einfach in der Realität angekommen und sehen, dass es zwar eine hohe Angstschwelle gab, diese aber mittlerweile überwunden wurde. Die allgemeine Skepsis und die Angst vor Datenmissbrauch sieht man seltener, als man annehmen würde.

medinlive: In der personalisierte Medizin wird ein Genprofil der Patientinnen und Patienten angelegt. Werden hier auch neue Biomarker eruiert?

Binder: Das ist eine der Essenzen der Präzisionsmedizin. Natürlich können auch genetische Veränderungen als Biomarker für eine bestimmte Erkrankung dienen. Es sollen aber auch leichter messbare Biomarker parallel mit den genetischen Veränderungen identifiziert werden. Sie ermöglichen es dann, schneller zu diagnostizieren, den Therapieerfolg zu bestimmen oder Patientengruppen zu definieren.

medinlive: Stichwort Vorsorge. Was ist ihr Forschungsschwerpunkt, Herr Binder?

Binder: Wir arbeiten an einem Register für die Erkrankung Familiäre Hypercholesterinämie, eine genetisch bedingte Krankheit die früher noch als sehr selten eingestuft wurde. Mittlerweile wissen wir, dass rund 40.000 Menschen in Österreich davon betroffen sind. Sie haben angeborene erhöhte Cholesterinwerte, die durch Mutationen in für den Fettstoffwechsel verantwortlichen Genen bedingt sind. Wenn man diese Patienten rechtzeitig behandelt und das Cholesterin senkt, können diese ein normales Leben führen. Passiert das nicht, gibt es Patienten, die bereits mit 30 oder 40 einen Herzinfarkt erleiden. Deswegen wollen wir über ein Register und ein sogenanntes Kaskaden-Screening möglichst viele Patienten identifizieren, damit sie früh genug die optimale Therapie erhalten.Durch die genaue Identifikation und Charakterisierungen der Krankheits-verursachenden Mutationen wird es möglich sein bestimmten Patienten, die eine gewisse Mutation Erkrankung tragen eine maßgeschneiderte Therapie anbieten zu können. Das ist ein klassisches Präventionsprojekt.

medinlive: Die MedUni Wien will bis 2022 60 Mio. Euro an Spenden für das Zentrum für Präzisionsmedizin sammeln. Wie ist der derzeitige Stand?

Binder: Wir liegen jetzt im einstelligen Millionenbereich.

Fritz: Wichtig ist uns, dass jeder Spender weiß, dass es dieses Zentrum in jedem Fall geben wird. Es wird vielleicht ein bisschen kleiner werden oder aber es gibt die volle Ausbaustufe. Das heißt jeder Euro, der gespendet wird, landet in der Präzisionsmedizin. Es ist für uns ein Experiment, denn in dieser Dimension gab es noch nichts Vergleichbares in Österreich. Gleichzeitig können wir viel über Präzisionsmedizin kommunizieren und dabei viele Menschen erreichen. Natürlich sind wir über jede Idee, jeden Euro und jeden Beitrag sehr dankbar.

medinlive: Personalisierte Medizin ist mit einem hohen Aufwand verbunden. Werden wir diese Medizin auch bezahlen können?

Fritz: Die großen makrogesundheitsökonomischen Berechnungen, die zeigen, wie viel Geld durch Präzisionsmedizin langfristig eingespart werden kann, fehlen noch. Dafür muss aber auch eine gute Datenbasis geschaffen werden, eben durch klinische Studien, die nachweisen, dass mithilfe von präzisionsmedizinischen Diagnostiken die richtige Therapie gefunden und unwirksame Therapien erspart wurden. Unser aller Bauchgefühl sagt, dass es sich auf jeden Fall im Gesundheitssystem ausgehen wird, aber jede Umstellung eines Systems, ist zunächst teuer. Es wird einen Diskurs brauchen, ob sich Österreich das leisten will.

Binder: Jeder medizinische Fortschritt ist zunächst mit Mehrkosten verbunden, aber letztendlich pendelt sich das wieder ein. Medikamente werden wieder günstiger und auch die präzisionsmedizinischen Methoden und Analysen werden im Laufe der Zeit günstiger werden. Die Finanzierung wird aus meiner Sicht als großes Problem hochgespielt, aber sieht man sich die Entwicklung der Medizin in den letzten 50 Jahren an, gab es bei Neuentwicklungen oft den Gedanken, dass wir uns das nicht leisten können und dann hat es sich doch eingependelt.

medinlive: Haben Sie einen Appell an die Ärzteschaft?

Fritz: Was wir für das Zentrum brauchen, sind viele Erfolgsgeschichten. Es gibt schon heute viele Patientinnen und Patienten, die von der Präzisionsmedizin profitieren. Das muss noch viel stärker in die breite Öffentlichkeit gebracht werden. Nämlich, was jetzt schon in diesem Bereich passiert, welchen Effekt es hat und wer davon profitiert.

Binder: Aus Ärztesicht ist es wichtig, dass man sich nicht dem Fortschritt verschließen soll oder kann, weil letztendlich ist das eine Entwicklung, die nicht aufzuhalten ist und mit der man sich als Arzt oder Ärztin auseinandersetzen muss, weil ich sonst das Problem haben werde, dass ich einem Patienten oder einer Patientin nicht mehr ausreichend erklären kann, worum es eigentlich geht. Hier kann man sich nicht hinter irgendeiner „Eminenz-basierten Medizin“ verbergen.

Die Genomik ist ein interdisziplinäres Wissenschaftsgebiet, das sich auf die Struktur, Funktion, Entwicklung, Abbildung und Bearbeitung von Genomen konzentriert

OMICS: Genomic, Metabolomic und Proteonoms. Auf genetischer Ebene, auf Eiweißkörper-Ebene und auf der Ebene von Stoffwechselprodukten können mithilfe von modernen Methoden wie der Genomsequenzierung oder der Massenspektrometrie mehr unterschiedliche Entitäten an Eiweißkörper Metaboliten und genetischen Veränderungen festgestellt werden.

Externe Links:

Spenden