Interview

Studieren und Corona: Pendeln zwischen Ausnahmesituation und neuer Routine

Über Schülerinnen und Schüler und die vertrackte Situation im Bildungsbereich wurde rund um die unterschiedlich langen Lockdowns viel gesprochen. Die Studierenden, die seit Monaten zu sehr großen Teilen ebenfalls keinen Präsenzunterricht haben, waren dagegen eher eine Marginalie. medinlive sprach mit einer Studentin, die momentan im letzten Studienjahr ist, über ihre Eindrücke.

 

Eva Kaiserseder

medinlive: Danke fürs Zeitnehmen, du hast mir vorab ja erzählt, bei dir ist gerade ein Stationswechsel im Rahmen des KPJ (Klinisch-Praktisches Jahr im 6. und letzten Jahr des Medizinstudiums, Anm. d. Red.) passiert. Wo bist du denn gelandet und wie geht es dir?

Anna W*.: Ich habe von der Chirurgie auf die Interne gewechselt. Die ersten zwei Wochen habe ich jetzt hinter mir und ich bin immer wieder überwältigt von all den neuen Eindrücken und Gesichtern. Es ist natürlich so: Egal, wo du hinkommst und wieviel Erfahrung du mitbringst, anfangs bist du erst einmal der Rookie und musst dich noch beweisen.

medinlive: Kannst du das KPJ bzw. die Rotationen im Rahmen des Klinisch-Praktischen Jahres vielleicht ein wenig skizzieren?

Anna W.: Man kann sich in diesem Zeitraum relativ viel selbst aussuchen, was ich sehr angenehm finde. Analog zur späteren Basisausbildung muss man ein chirurgisches und ein internes Fach wählen. Dann gibt es Wahlfächer, die man frei gestalten kann. Grundsätzlich ist das KPJ also in drei Tertiale gegliedert. Innerhalb dieses Tertials darf dann einmal rotiert werden, heißt, man kann auf der Internen innerhalb seines Tertials zB. von der Kardiologie auf die Gastroenterologie wechseln. Ich selber habe die vier Monate im Ganzen bevorzugt, weil ich gerne länger an einer Station bleibe, mich hätte das tendenziell eher gestresst, zu oft zu wechseln.

Je weiter man im Studium ist, desto mehr Praxis kommt natürlich dazu. Im 5. Jahr ist man die Hälfte im Krankenhaus und die andere Hälfte hat man Seminare, was so funktioniert, dass man zB vormittags im Krankenhaus ist und nachmittags ein Seminar hat. Im 6. und letzten Jahr, eben dem KPJ, ist man von der Lehre mehr oder weniger losgelöst und lebt den klassischen Krankenhausalltag.

medinlive: Ich gehe davon aus, das ist des Pudels Kern, dieser Zwiespalt: Einerseits ist man ja noch Studierende, andererseits aber schon draußen im Arbeitsleben, oder? Wie ging es euch Studierenden mit der Coronapandemie und vor allem mit der Frage nach einer gewissen Impfpriorität zumindest für KPJ-Studierende?

Anna W.: Genau, dieser Schwebezustand zwischen den beiden Bereichen kommt durchaus öfters vor. Was das Impfen betrifft: Ich kann natürlich nur für die Wiener Universität sprechen und ganz ehrlich gesagt, wurden wir hier, was das Thema Impfen betrifft, meiner Meinung nach eher ungeschickt behandelt. Der Ablauf war so, dass wir knapp vor Weihnachten eine Mail bekommen haben. Darin stand, dass wir uns verbindlich, also mit genau diesem Wortlaut, für eine Impfung anmelden dürfen. Was uns alle total gefreut hat, weil wir so früh noch gar nicht damit gerechnet hatten. Die Erwartungshaltung war diesbezüglich eher niedrig. Als wir dann länger nichts gehört haben von der MUW, wurden wir etwas stutzig. Einige Kollegen haben dann bei der Uni direkt nachgefragt, weil sie selbst schon von „ihren“ Krankenhäusern bezüglich Impfdosenbestellungen gefragt worden sind und keiner doppelt buchen wollte. Und dann gab es seitens der MUW plötzlich eine Mail, in der erklärt wurde, alles war ein großes Missverständnis, es war keine verbindliche Anmeldung, sondern nur eine Bedarfserhebung. Wir studieren alle Medizin und sind zukünftige Ärztinnen und Ärzte. Wenn man uns gesagt hätte, liebe Leute, der Impfstoff ist knapper als wir dachten, wäre das kein Problem gewesen, uns ist das bewusst.

Und ja, einerseits werden wir behandelt wir Arbeitnehmer, andererseits aber wie Studierende ohne die entsprechenden Arbeitnehmerrechte. Letztes Jahr, als Covid ins Rollen kam, als es im März große Aufregung wegen mangelnder Schutzausrüstung gab, hieß es zum Beispiel, die Studierenden im KPJ sollen weiter ihr praktisches Jahr machen. Aber in den Krankenhäusern wurde bei vielen Studierenden im KPJ zuerst gespart, wenn es etwa keine Schutzausrüstung mehr gab. Wir haben auch kein Anrecht auf Pflegeurlaub oder Urlaub, das gibt es für uns nicht, gerade für Studierende mit Kindern oder mit denjenigen, die neben ihrem Studium arbeiten gehen müssen, ist das sehr schwierig. Schließlich bekommen wir in den meisten Häusern im KPJ für eine 35h-Woche 550 Euro Aufenthaltsentschädigung netto, das Thema Geld ist für uns Studierende sehr präsent. Wir haben so genannte Fehltage und da ist es egal, warum wir fehlen, ob wir auf Urlaub sind oder krank sind.

medinlive: Wie viele Fehltage gibt es da?

Anna W.: Es gilt hier: Maximal 10 Tage pro Tertial. Gesonderte Regelungen gibt es seitens der Uni für längere Fehlzeiten wie zB länger dauernde Krankheiten oder Schwangerschaft. Wobei man da mit dem Krankenhaus, in dem man das KPJ absolviert, oft Glück und hier einiges an Spielraum hat. Man kann sich zum Beispiel längere Dienste an einem Tag ausmachen, um dann an einem anderen Tag vielleicht weniger Stunden zu absolvieren, ganz so, wie man gerade gebraucht wird, je nach Bedarf. Es verlangt natürlich auch einiges an Eigenverantwortung bei den Studierenden. Ich persönlich genieße jedenfalls sehr, dass ich in „meinem“ Krankenhaus in sehr viele unterschiedliche Abläufe eingebunden bin, mir vieles anschauen kann und mit den Stationen unterschiedliche Aufgaben ausmachen kann.

Und man muss dazusagen, nicht jeder Arzt ist gerne Lehrender bzw. kann das gut oder hat genügend Zeit dafür, deswegen gilt: Wir Studierenden sind gefordert, selbst nachzuhaken, dranzubleiben, sich hineinzuarbeiten in etwas. Ich glaube, es gibt auch ein großes Stadt-Land-Gefälle im KPJ, was ein Vor- und Nachteil sein kann. In Wien sind die Krankenhäuser Studierende gewohnt, dort werden sie fix einberechnet und bekommen eher bestimmte Aufgaben zugeteilt. In kleineren Häusern ist es manchmal einfach etwas Besonderes, wenn ein KPJ-Student dort arbeitet. Dort gibt es dann oft auch besonders tolle teachings, weil die Ärztinnen und Ärzte sich schlichtweg freuen, dem Nachwuchs etwas zeigen zu dürfen. Oft bekommt man auch von Anfang an viel Verantwortung, das ist dann besonders schön.

medinlive: Was ist euer aktueller Status Quo, was das Impfen betrifft?

Anna W.: Es ist meines Wissens schön langsam doch etwas ins Rollen gekommen, es soll Impfstraßen für Studierende bzw. KPJ-Studierende, die zuvor von den zugeteilten Krankenhäusern nicht geimpft wurden. Wobei es auch hier natürlich Unterschiede gibt, es gibt Kollegen, die in der Anatomie sind und nie Patientinnen und Patienten zu Gesicht bekommen. Und es gibt KPJler, die in der Notaufnahme arbeiten und täglich Abstriche machen müssen von Menschen, wo sie nicht wissen, ob diese eventuell mit dem Coronavirus infiziert sind oder nicht. Als es also hieß, dass Studierende, die in Krankenhäusern am Patienten arbeiten, nicht geimpft wurden, gingen die Wogen sehr hoch, weil es viele unfair fanden, dass zum Beispiel Büroangestellte mit keinem Patientenkontakt geimpft werden nur aufgrund ihres Angestelltenstatus. Ich selber hatte übrigens Glück, ich bin in „meinem“ Krankenhaus in Niederösterreich mitgeimpft worden und hatte und habe viel Patientenkontakt.

medinlive: Spannen wir den chronologischen Bogen doch einmal zurück, wie ging es dir persönlich mit der Coronakrise?

Anna W.: Mein KPJ fing im Herbst 2020 an. Ganz grundsätzlich kann man glaube ich sagen gab es keine gravierenden Nachteile in der Lehre wegen Corona. Und der Krankenhausbetrieb lief ja ganz normal weiter. Grundsätzlich waren damals aber alle sehr in Aufregung, wie der gewohnte Unibetrieb nun weitergehen soll und wie man die Praxis handhaben soll. Die Situation im ersten Lockdown war zum Beispiel so, dass manche Häuser sehr nervös waren und etwa zugesagte KPJ-Plätze abgesagt haben.  Auch Rotationen in dieser Zeit, sei es auf Abteilungen oder häuserübergreifend, waren schwierig. Klarerweise wollten viele in dieser Zeit, als Corona noch dermaßen unbekannt war, ungern neues Personal aufnehmen. Ich glaube aber, man kann sagen, die Uni hat sich da einige gescheite Dinge überlegt, um Alternativen anzubieten. Momentan weiß ich aber gar nicht, wie es den jüngeren Jahrgängen geht, WAS ich allerdings weiß, ist, dass peu a peu versucht wird, wieder so viel Präsenzunterricht wie möglich anzubieten.

Im Sommersemester, als auch ich noch Seminare hatte, sind erst einmal alle Veranstaltungen abgesagt worden. Ich erinnere mich noch gut, es war der Dienstag vor dem ersten Lockdown. Ich war am Weg zu Uni, als die E-Mail von der Wiener MedUni kam, dass zugesperrt wird bis auf weiteres. Schon die Woche davor hat das die Innsbrucker Uni gemacht und irgendwie schien mir das total surreal und unvorstellbar für Wien. Als es dann passiert ist, waren wie gesagt von jetzt auf gleich alle Vorlesungen, Veranstaltungen und so weiter gecancelt. Auch die klinischen Praktika wurden abgesagt für diejenigen im 5. Jahr. Die Uni wollte dann aber die Studierenden trotzdem miteinbeziehen. Alle Studierenden, die ihr klinisches Praktikum abbrechen mussten, sollten sich daher ein neues Praktikum im Ausmaß von 100 Stunden suchen, wo sie etwa unterstützend bei einem möglichen medizinischen Personalmangel in den Krankenhäusern mitarbeiten sollten.

In der Theorie klang das gut, allerdings ging es uns in der Praxis so, dass viele nicht wussten, woher man in dieser ohnehin so extremen Zeit, wo keiner genau wusste wie alles weitergeht, plötzlich einen neuen Arbeitsplatz herzaubern soll. Viele sind dann zu 1450 gegangen, aber es gab auch diejenigen die zum Beispiel selbst zur Risikogruppe gehört haben und zuhause bleiben wollten oder Kinder haben und plötzlich ohne Betreuung dastanden. Als Alternative dazu wurden dann 100 Stunden distance learning angeboten und das hat recht gut funktioniert. Es gab sehr ambitionierte Lehrende und der Lehrstoff wurde gut vermittelt.

medinlive: War das für dich eine gute Alternative zum regulären Studium?

Anna W.: Natürlich nicht (lacht). Ich studiere nicht Medizin, um in Webinaren zu sitzen, ich will meine Patientinnen und Patienten sehen, ihnen zuhören, ihre Problematik begreifen. Aber es war den Umständen entsprechend völlig in Ordnung und mit sehr viel Herzblut gemacht. Und sehr gut war, dass plötzlich Themen, die im Studium normalerweise untergehen wie zum Beispiel die Allgemeinmedizin, plötzlich viel mehr Raum hatten. Es gab sogar eine eigene allgemeinmedizinische Sprechstunde. Oder Radiologie, auch ein Fach, das im regulären Studium eher untergeht: Hier gab es extrem engagierte Vortragende, die sich einen guten Zugang für die Webinare überlegt haben und alles sehr interessant gestaltet haben.

medinlive: Und wie ist deine höchst subjektive Einschätzung rund um das Krankenhauspersonal, wie ging es ihnen mit der Krise?

Anna W.: Ich glaube, das Thema ist für jeden präsent, ist aber mittlerweile auch part of the game geworden. Es ist mehr Routine hineingekommen, es herrscht nicht mehr diese ganz große Ratlosigkeit wie am Anfang, wohin die Reise jetzt führt. Covid gehört zu unserem Spektrum dazu, es geht nicht anders. Gott sei Dank habe ich persönlich in „meinem“ Krankenhaus durch die gesetzten Maßnahmen aber nicht das Gefühl, dass wir am Anschlag stehen. Die Ressourcen sind Gott sei Dank da, eben und auch wegen der schon erwähnten gesetzten Maßnahmen.

medinlive: Hast du das Gefühl, die jüngeren Studierenden fühlen sich um diese Zeit des Studiums betrogen?

Anna W.: Ich denke, Anfang 20jährige trifft das sicher hart, die fallen um diese besondere Zeit des Neuanfangs, der Erstsemestererfahrungen um. Dieses klassische Studentenleben, Umzug, neue Stadt, neue Menschen..das kommt da sicher alles zu kurz. Bei uns Studierenden im KPJ ist es wie gesagt nicht so gewesen, dass wir etwas verpasst haben. Wir sind ja dort, wo wir immer hinwollten, am Anfang unseres Arbeitslebens. Unser Alltag hat sich vielleicht dahingehend verändert, weil viele von uns die Stadt verlassen haben, um in neue Krankenhäuser zu wechseln. Aber um das klassische Studentenleben ist niemand von uns umgefallen. Und die Zeit des distance learnings im Sommersemester war in Ordnung. Wenn ich da mit meinem Nachbarn, der seit März durchgehend im Homeoffice ist, rede, bin ich auch sehr dankbar dafür. Ich spüre, dass die Krise und die dazugehörigen Begleitumstände natürlich seelisch sehr viel macht mit den Menschen. Wenn man jemand ist, der ohnehin nicht besonders strukturiert lebt, dann kann man durch die Pandemie und alles was damit zusammenhängt, psychisch wirklich in ein Loch fallen, denke ich.

medinlive: Apropos Kollateralschäden, was denkst du sind hier die größten Gefahren?

Anna W.: Ich glaube, gesundheitlich werden für viele Personen große Nachteile entstehen, die wir wahrscheinlich erst im Abstand von ein paar Jahren so richtig beurteilen können. Da gibt es ja zum Beispiel diese Zahlen, die belegen, dass im ersten Lockdown mehr tödliche Herzinfarkte, aber weniger Spitalsaufnahmen zu verzeichnen waren. Es könnte jetzt deswegen so sein, weil die Menschen mehr zuhause waren, sich weniger angestrengt haben und so weiter. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass sie ganz einfach viel weniger oft den Arzt oder das Krankenhaus aufgesucht haben bei Beschwerden, aus Angst, sich mit Covid anzustecken. Oder: Schwangere und Corona. Ich weiß von einer Freundin, die Ernährungsberaterin in einem Krankenhaus ist, dass ganz viele schwangere Frauen sich schlicht nicht oder viel weniger oft zur Vorsorge und Information getraut haben. Auch Long Covid, also die Langzeitfolgen einer durchgemachten Erkrankung, werden ganz sicher noch stärker Thema werden. 

Demokratiepolitisch ist das Ganze auch sehr bedenklich, Demonstrationen oder „Spaziergänge“ wie Anfang Februar sind einfach nur traurig und ärgerlich. Die Teilnehmer sollten vielleicht einfach einmal den Krankenhausalltag miterleben, dann würden sie ihre Meinung zu Corona wahrscheinlich recht schnell ändern. Die Solidarität, die im März so spürbar war, dass wir das gemeinsam schaffen, ist verflogen und das ist schade. All das Spalten bringt ja nichts. Wir sind alle pandemiemüde. Jeder einzelne von uns.

*Name der Redaktion bekannt