Rund 22.000 Menschen sind in Österreich ohne Obdach, 31 Prozent von ihnen sind Frauen. Die Dunkelziffer dürfte noch höher sein, denn Frauen leben oft in verdeckter Wohnungslosigkeit, was in keiner Statistik aufscheint. Das heißt, sie leben von einer Überbrückungslösung zur nächsten, um nicht auf der Straße schlafen zu müssen.
Großes Schamgefühl vor medizinischen Behandlungen
Diese Randgruppe weist im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine höhere Mehrfacherkrankungsrate und eine vermehrte Neigung zu chronifizierten Krankheitsbildern auf. Gleichzeitig ist ihr der Zugang zu regulären ambulanten und stationären Versorgungsangeboten beengt. Gründe dafür sind Stigmatisierung, Schamgefühl, Isolation und Schwellenangst vor bürokratischen Hürden durch gesetzliche Ansprüche. Auch herrscht Unwissenheit über gesetzliche Ansprüche oder die Angst davor, für die Behandlungskosten selbst aufkommen zu müssen. Ein Grund, warum wohnungslose Menschen medizinische Standardangebote ablehnen, ist das fehlende Bewusstsein gegenüber dem eigenen schlechten Gesundheitszustand und das Nichterkennen der Notwendigkeit, eine Ärztin oder einen Arzt aufzusuchen.
Ein oft unbeachtetes gesundheitliches Risiko stellt die Menstruation da. Viele obdachlose Frauen können sich keine Hygieneartikel leisten, greifen stattdessen zu Zeitungen, Socken oder Taschentüchern und werden damit anfälliger für Krankheiten wie Pilzinfektionen oder Geschlechtskrankheiten. „Wenn ein Tampon oder eine Binde den ganzen Tag benutzt wird, bilden sich Keime und Bakterien, die zu Pilzen und Infektionen führen. Es gibt Infektionen, die bis in die Gebärmutter wachsen können – dann kommt es zu Unfruchtbarkeit”, erläutert Tanja Schmidt vom deutschen Verein „Straßenfeger“.
Bei der Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen müssen auch Hemmungen abgebaut werden. Viele Frauen hatten schlechte Erfahrungen in Krankenhäusern. „Wer über Jahre Gewalt erlebt hat, lässt sich von der Gynäkologin oder vom Gynäkologen vielleicht nicht unbedingt Instrumente einführen, will sich gar nicht erst ausziehen und untersuchen lassen”, sagt die Psychologin Lisanne Hamschmidt. „Und wer nicht krankenversichert ist, wird nicht von jeder Fachärztin oder jedem Facharzt behandelt."
Da das Thema generell schambehaftet ist, brauche es genderspezifische Ärztinnen und Ärzte, wie Maja Markanovic-Riedl, Leiterin vom Haus Miriam (Caritas) kürzlich beim Vernetzungstreffen der Plattform Gesundheit und Wohnungslosigkeit schilderte. Vielen Betroffenen falle es etwa schwer, zur Ärztin oder zum Arzt zu gehen und zu erklären, dass man Schmerzen habe. Oft sei es auch ein Glaubwürdigkeitsproblem. Viele obdachlose Frauen hätten Hemmungen, über Regelschmerzen zu sprechen und Schmerzmittel zu brauchen. Betroffene hätten auch häufig ein gynäkologisches Problem. Da sie auf der Straße leben, sind sie zwangsläufig Stresssituationen ausgesetzt, sodass die Regel oft aussetzt.
Auch viele positive Entwicklungen
Gleichzeitig fehle es vielen obdachlosen Frauen am Bewusstsein, wann ihre Menstruation eintreten könnte. Da Wohnungslose tagtäglich mit so vielen Problemlagen befasst sind, sind sie nicht auf ihre Periode vorbereitet. Kommt es dann zur Regel, stellen die damit einhergehenden Schmerzen und der Wunsch nach Rückzug eine Problematik da. In Einrichtungen ist dies wegen vieler Menschen, Lärm und fehlendem Privatbereich schwer möglich. Insbesondere der Zugang zu Schmerzmitteln ist nicht gewährleistet.
Vor dem Hintergrund dieser Problemlagen wird die Ausgrenzung für Betroffene noch sichtbarer, so Markanovic-Riedl. Die Caritas fordert daher mehr kostenlose Toiletten flächendeckend im öffentlichen Raum, die etwa mit einem Chip-System erreicht werden könnten und in denen gratis Hygieneartikel vorhanden sind. Mittlerweile gibt es mehrere Angebote von Institutionen, die Frauenhygieneartikel kostenlos zur Verfügung stellt. Darunter die gratis Box im Tageszentrum am Hauptbahnhof, im FrauenWohnZimmer und im Obdach Ester. Hier fehlt es aber noch an begleitenden Erklärtexten, etwa in Form von Piktogrammen und in Fremdsprachen verfasst, um möglichst viele Betroffene zu erreichen.
Notwendig seien auch frauenspezifische Waschmöglichkeiten. Es brauche Aufklärungsarbeit über der Zugang zu Wechselwäsche oder gratis Hygieneartikel. Hier ist genderspezifisches Streetwork notwendig, bei dem Frauen von anderen Frauen angesprochen werden.
Markanovic-Riedl sieht allerdings auch viele positive Entwicklungen. Das Thema würde langsam etabliert, was an Anfragen von Bildungseinrichtungen sowie einer extrem hohen Spendenbereitschaft sichtbar wurde. Im vergangenen Jahr konnte die Organisation von einem erfolgreichen Spendenaufruf berichten, bei dem Binden und Tampons sowie saubere Unterwäsche für Frauen und Mädchen gesammelt wurden.
Positive Entwicklungen in Bezug auf Menstruationsprodukte gibt es auch in anderen europäischen Ländern: In Schottland gibt es seit diesem Jahr kostenfreie Ausgabestellen für Tampons und Binden in Apotheken, Gemeindezentren und Jugendclubs. In Deutschland, Frankreich und Großbritannien wurde die „Tamponsteuer” gesenkt beziehungsweise komplett abgeschafft.
Obdachlosigkeit: Als obdachlos bezeichnet man Menschen, die ohne Unterkunft auf der Straße oder öffentlichen Plätzen leben, sich etwa in Verschlägen, Parks oder unter Brücken aufhalten. Der Begriff umschließt aber auch Personen, die keinen festen Wohnsitz haben und in Wärmestuben, Notschlafstellen und vergleichbaren Einrichtungen übernachten.
Wohnungslosigkeit: Wohnungslose Menschen sind ohne eigene Wohnung, nicht aber ohne Obdach. Sie leben vorübergehend bei Freund*innen oder Bekannten oder in Einrichtungen bzw. Wohnungen der Wohnungslosenhilfe. Als wohnungslos gelten auch Immigrant*innen und Asylwerber*innen, die in Auffangstellen, Lagern, Heimen oder Herbergen wohnen, bis ihr Aufenthaltsstatus geklärt ist.
In einer Befragung des Fonds Soziales Wien aus dem Jahr 2016 nannten die Betroffenen (weiblich und männlich) als Ursachen unter anderem Jobverlust und dadurch entstehenden Mietrückstand (42%), Trennung oder Scheidung (32%) und Probleme mit der psychischen (23%) oder physischen (21%) Gesundheit.
„Menschen, die keine Krankenversicherung haben, erhalten über die Wiener Sozialhilfe Krankenhilfe, welche, analog zu den Leistungen der Wiener Gebietskrankenkasse, die gesamte ärztliche Versorgung übernimmt. Diese Menschen erhalten Krankenscheine durch die Magistratsabteilung 40. So betrachtet, dürfte, ob wohnungslos oder nicht, niemand, der ohne Krankenversicherung ist, ohne die Möglichkeit einer medizinischen Behandlung sein. Mit den Krankenscheinen der Magistratsabteilung 40 kann jede/r niedergelassene Arzt/Ärztin in Wien aufgesucht werden.“
In Wien gibt es einige Angebote, mit denen speziell Frauen in der Obdach- bzw. Wohnungslosigkeit unterstützt werden:
- Obdach Ester: Das Obdach Ester (Angebot von Obdach Wien) steht Frauen und Kindern 365 Tage im Jahr offen. Die Einrichtung verfügt über Duschen, eine Waschmaschine mit Trockner, eine Küche und einen Ruheraum. Eine Anmeldung ist nicht notwendig. Das Angebot ist kostenlos.
- Obdach Favorita: Rund 50 Frauen bietet das Obdach Favorita (Angebot von Obdach Wien) in den Wintermonaten ein Bett für die Nacht.
- FrauenWohnZentrum: Das FrauenWohnZentrum ist eine Einrichtung der Caritas und bietet 32 Plätze für Frauen über 18 Jahren in akuten Notsituationen an, die keine Unterkunft haben.
- Haus Miriam: Im Haus Miriam der Caritas gibt es 40 Wohnplätze in Einzel- und Zweibettzimmern für Frauen, die sich in einer akuten Notlage befinden.
- JUCA: Im JUCA, eine Einrichtung der Caritas für junge Erwachsene, stehen im Notquartier vier Plätze für Frauen von 18 bis 30 Jahren zur Verfügung.
- Notquartier Plus: Das Notquartier Plus im Rupert Mayer Haus bietet erkrankten obdachlosen Frauen Unterkunft und Schutz. Anders als bei anderen Notquartieren, können die Frauen den ganzen Tag bleiben. Sie bekommen ärztliche Behandlung und Verpflegung, bis sich der Gesundheitszustand bessert. Die Zuweisung ins Notquartier Plus erfolgt durch das P7 – Wiener Service für Wohnungslose.
Frauen-Helpline:
Die Frauenhelpline gegen Gewalt bietet rund um die Uhr gratis und anonym telefonische Erst- und Krisenberatung für Frauen, Kinder und Jugendliche, die von Gewalt betroffen sind: 0800/222 555.