Wie lebte es sich in Wien im Mittelalter, woran glaub(t)en die Menschen und was hat das alles mit der Medizin zu tun? Hans-Peter Petutschnig begibt sich ab sofort regelmäßig bei medinlive auf eine Zeitreise zu den Spuren der alten Wiener Medizin. Dabei gibt es viel zu entdecken, längst Vergangenes, mitunter Skurriles, Schockierendes oder auch Prägendes, oft gut verborgen unter baulichen Veränderungen der letzten Jahrhunderte. Den Beginn machen die 14 Notheiligen.
Hans-Peter Petutschnig
Die Menschen im Mittelalter lebten jenseitsbezogen. Die schwere Arbeit, Schmerzen und der tägliche Umgang mit dem Tod waren allgegenwärtig. Somit setzte man sich auch täglich mit dem Tod auseinander.
Man „arrangierte“ sich meist mit dem hiesigen Schicksal auf Erden, da das endgültige Streben beziehungsweise der Trost ausschließlich im Tod lagen – ein schöneres, entbehrungsfreies Leben beziehungsweise Dasein für die Seele gab es eben erst nach dem Ableben. Somit spielte auch der religiöse Alltag eine wesentliche Rolle. Seelenheil und Trost erhielten die Menschen im Glauben und in der Kirche. An die Bedeutung von Eigenverantwortung, auch hinsichtlich der eigenen Gesundheit, dachte kaum jemand. Heilung versprach man sich vom Kirchgang und Gebeten, Ärzte im heutigen Sinn gab es kaum und waren nur für die Wohlhabenden leistbar – genauso wie die Arzneien aus den Apotheken.
Heilige hatten dabei eine wichtige Funktion: In Zeiten der Not, und damit auch bei Krankheiten, konnte man sie „anrufen“, um Heilung beziehungsweise Linderung des Krankheitsverlaufs zu erbitten. Gott stand dafür nämlich nicht zur Verfügung, denn dafür war jeder Einzelne zu klein.
Jeder Heilige hatte sein „Talent“
Nun war es aber nicht so, dass die Menschen wahllos oder nach Lust und Laune ihre „Lieblingsheiligen“ angerufen haben: Unterschiedliche Heilige hatten unterschiedliche „Talente”, sie konnten also gewisse Krankheiten besser behandeln als andere. Aus diesem Glauben heraus entstand im Spätmittelalter der Kult der 14 Nothelfer, der von Regensburg aus seinen Anfang nahm und bald auch Wien erreichte.
Als die 14 Nothelfer galten:
Achtius (Helfer bei Todesängsten)
Ägydius (Helfer für stillende Mütter)
Barbara (Patronin der Sterbenden)
Blasius (Helfer bei Halsleiden, Geschwüren und der Pest)
Christophorus (Helfer bei plötzlichem und dadurch unvorbereitetem Tod, Retter aus jeglicher Gefahr, insbesondere Epilepsien)
Cyriacus (Helfer in der Todesstunde)
Dionysius (Helfer bei Kopfschmerzen, Tollwut und Seelenleiden)
Erasmus (Helfer bei Leibschmerzen, Krämpfen, Koliken, Unterleibsbeschwerden und Magenkrankheiten)
Eustachius (Helfer in schwierigen Lebenslagen und bei Trauerfällen)
Georg (Helfer bei Fieber und ebenfalls der Pest)
Katharina (Helferin bei Zungenleiden und Sprachproblemen)
Margareta (Helferin der Gebärenden und bei allen Wunden)
Pantaleon (Patron der Ärzte und Hebammen)
Vitus (Helfer bei Geisteskrankheiten)
Die Zuordnungen waren dabei nicht zufällig und hingen meist mit dem Martyrium oder sonstigen Lebensumständen zusammen. Dionysius beispielsweise wurde enthauptet, da lag es sehr nahe, ihn bei Kopfschmerzen anzurufen. Der heilige Blasius wiederum galt als Halsexperte, weil er einen Mann rettete, der an einer Fischgräte zu ersticken drohte. Seit dem 16. Jahrhundert ist der Blasiussegen belegt, der stets am 3. Februar, also mitten in der Verkühlungssaison, gespendet wird. Dabei werden zwei brennende Kerzen vom Priester in Halshöhe des zu Segnenden mit den Worten gehalten: „Auf die Fürsprache des Heiligen Blasius bewahre dich der Herr vor Halskrankheit und allem Bösen.”
Wie stark die Macht der Kirche in den Köpfen der Menschen im Mittelalter präsent gewesen sein musste, lässt sich auch an den baulichen Gegebenheiten festmachen: Oft waren die Kirchen die einzigen Gebäude aus Stein, die die Menschen während ihres ganzen Lebens betraten. Auch die Fenster aus buntem Glas mussten entsprechenden Eindruck gemacht haben, denn die meisten Menschen der damaligen Zeit hatten lediglich kleine Spitzbogenfenster in ihren Hütten, die sie mit Stroh ausstopften.
Hans-Peter Petutschnig ist seit vielen Jahren für die Pressearbeit und den Verlag der Wiener Ärztekammer verantwortlich. Er ist zudem stellvertretender Kammeramtsdirektor der Ärztekammer für Wien und organisiert zahlreiche kulturelle Veranstaltungen für Ärztinnen und Ärzte. Zusammen mit der staatlich geprüften Wiener Fremdenführerin sowie Kunst- und Kulturvermittlerin Bibiane Krapfenbauer-Horsky hat er das Buch „Auf den Spuren der alten Heilkunst in Wien – Medizinische Spaziergänge durch die Stadt“ verfasst.
„An die Bedeutung von Eigenverantwortung, auch hinsichtlich der eigenen Gesundheit, dachte kaum jemand. Heilung versprach man sich vom Kirchgang und Gebeten.“