Wer war im Mittelalter für die Wundversorgung zuständig, warum galten bis ins 18. Jahrhundert Chirurgen als bloße Handwerker und was hat das alles mit Joseph II. zu tun? Regelmäßig begibt sich Hans-Peter Petutschnig bei medinlive auf eine Zeitreise zu den Spuren der alten Wiener Medizin. Dabei gibt es viel zu entdecken, längst Vergangenes, mitunter Skurriles, Schockierendes oder auch Prägendes, oft gut verborgen unter baulichen Veränderungen der letzten Jahrhunderte. In dieser Folge: Wie aus Badern, Barbieren und Feldchirurgen vollwertige Ärzte wurden.
Hans-Peter Petutschnig
Heutzutage werden Chirurgen gerne als die Stars der medizinischen Zunft gesehen. Diese Vorrangstellung mussten sie sich aber erst mühsam erarbeiten, denn bis tief ins 18. Jahrhundert hinein galten Chirurgen als bloße Handwerker und den akademisch ausgebildeten Ärzten als keineswegs ebenbürtig.
Gleich mehrere Berufsbezeichnungen können sich für den Anfang der Chirurgie in Position bringen. Da gab es einmal die Bader, die in ihren mittelalterlichen Badestuben, abseits der Körperhygiene, auch medizinische Leistungen anboten, wie beispielsweise die Entfernung kleinerer Geschwülste, Schröpfen, Aderlässe und Zahnextraktionen. Damit überschnitten sich ihre Tätigkeiten mit jenen von Wundärzten – die zudem auch noch Knochenbrüche versorgten sowie Starstiche, Blasensteinoperationen und Amputationen durchführten. Beiden, nämlich Badern und Wundärzten gemeinsam, waren Kenntnisse der (Wund-)Arzneikunst. Zu den Aufgaben eines Baders wiederum gehörten auch Rasuren und Haarschnitte, vor allem dann, wenn kein Barbier zur Hand war. Die exakte Abgrenzung zwischen den im Mittelalter tätigen Wundärzten, Badern und Barbieren wird zudem noch durch den Umstand erschwert, dass es bei den Bezeichnungen auch unterschiedliche regionale Ausprägungen gab. Die französische Bezeichnung eines Baders lautete beispielsweise „barbier-chirurgien“. Gemeinhin gelten Bader jedenfalls als die Vorläufer der Wundärzte.
Eine erste Annäherung an die universitäre Ausbildung und damit Gleichstellung mit den Ärzten fand in Wien 1517 statt, als sich Wundärzte an der Medizinischen Fakultät einer Prüfung unterziehen mussten. Diese fand vor einer Kommission statt, die aus an einer Medizinischen Fakultät ausgebildeten Buchärzten und Wundärzten zusammengesetzt war. Im selben Jahr wurden zudem die Berufe des Baders und des Barbiers erstmals als getrennte Berufsgruppen geführt.
Weitere (zaghafte) Reformen der Überprüfungen gab es unter Ferdinand I. (1503-1564), der eine neue Studienverordnung durchsetzte. Demnach oblag nun auch die Prüfung der Bader einer Medizinischen Fakultät – und nicht mehr den Zünften. Trotzdem: Sowohl Wundärzten als auch Badern wurde der Status als „Heilkundige“ nach wie vor verwehrt, sie übten weiterhin ein Handwerk aus.
Im 16. Jahrhundert begann sich dennoch der Begriff der Chirurgie allmählich durchzusetzen. Der erste namentlich erwähnte Chirurg an der Wiener Medizinischen Fakultät war ein gewisser Franz Emerich. Zu dieser Zeit dauerte die chirurgische Ausbildung immerhin bereits zwischen drei und vier Jahren. Doch erst im 18. Jahrhundert wurden die Begriffe Chirurg und Wundarzt weitgehend gleichgesetzt.
Es war Joseph II., dem es vorbehalten bleiben sollte, die entscheidenden Impulse zu setzen, indem er eine einheitliche chirurgische Ausbildung für Wundärzte für das gesamte Reich andachte. Die Chirurgie sollte ein eigenes Studium werden, mit einem Abschluss in der Heilkunst. Dafür gründete er 1785 die „Medizinisch-Chirurgische Josephs-Akademie“, kurz Josephinum, zur Ausbildung von Ärzten und Wundärzten für die Armee.
Josephs diesbezügliche Reformen waren eng mit seinem Leibchirurgen Giovanni Alessandro Brambilla verbunden. Brambilla begleitete den späteren Kaiser und Sohn Maria Theresias auf dessen Reisen. Dabei konnte sich Brambilla fachlich mit den führenden Chirurgen Frankreichs austauschen. Er erkannte den schlechten Zustand des österreichischen Feldsanitätswesens und zögerte auch nicht, Joseph II. entsprechend zu informieren. Somit hatte der Kaiser bei seinem Amtsantritt ziemlich klare Vorstellungen davon, wie das Sanitätswesen beziehungsweise die medizinische Versorgung in Zukunft ausschauen sollte.
Für die neuen Ausbildungsorte der künftigen Chirurgen wurde ein Grundstück in der Alser Vorstadt aufgekauft. Der Hofarchitekt Isidor Canevale wurde beauftragt, einen Zweckbau in klassizistischer Bauweise zu errichten. Er orientierte sich dabei an den „Josephinischen Vorstellungen“ des goldenen Schnitts. Joseph II. liebte die „Revolutionsarchitektur“ und war begeistert von einer klaren Formensprache ohne jeden Zierrat.
Im Josephinum sollte nach einem neuen Lehrplan unterrichtet werden – zunächst Anatomie, Physiologie und Pathologie. Somit war es ein kluger Gedanke von Joseph II., gleich hinter dem Josephinum das Garnisonsspital erbauen zu lassen. Die angehenden kaiserlichen Feldchirurgen hatten solcherart genügend Gelegenheit, auch praktische Erfahrungen zu sammeln. Bis zur Gründung des Josephinums konnten die Feldärzte nur Wunden versorgen. Joseph II. aber wollte, dass sie, zusätzlich zur Feldchirurgie, künftig eine umfassende medizinische Ausbildung erhalten. Damit sollten sie auch die Angehörigen der Soldaten medizinisch versorgen können – insbesondere internistisch.
Das Josephinum wurde mit einer Festrede Brambillas 1785 eröffnet: „ … Will also jemand ein Arzt oder Chirurgus werden, so muß er sich in beyden Fällen die Heilkunde in ihrem ganzen Umfange bekannt machen; denn so verdient auch im Gegentheil kein Wundarzt diesen Namen, wenn er nicht die Medizin aus dem Grunde studirt hat.“ Anwesend waren alle Mitglieder der Medizinischen Fakultät, was hohe Bedeutung hatte, erhofften sich doch sowohl Brambilla als auch Joseph II. eine Zusammenführung der beiden Lehranstalten.
Von Erfolg gekrönt war das Vorhaben (vorerst) leider nicht, denn auch danach verhielten sich beide Schulen gegenüber reserviert – um nicht sogar zu sagen: feindlich. Ironie des Schicksals: Brambilla war daran nicht ganz unschuldig. Zu sehr stellte er nämlich bei seiner Rede die Erfolge der Chirurgen den Misserfolgen der Ärzte für Innere Medizin gegenüber. Das Missfallen der damals anwesenden Ärzte war damit gleichsam vorprogrammiert.
Hans-Peter Petutschnig ist seit vielen Jahren für die Pressearbeit und den Verlag der Wiener Ärztekammer verantwortlich. Er ist zudem stellvertretender Kammeramtsdirektor der Ärztekammer für Wien und organisiert zahlreiche kulturelle Veranstaltungen für Ärztinnen und Ärzte. Zusammen mit der staatlich geprüften Wiener Fremdenführerin sowie Kunst- und Kulturvermittlerin Bibiane Krapfenbauer-Horsky hat er das Buch „Auf den Spuren der alten Heilkunst in Wien – Medizinische Spaziergänge durch die Stadt“ verfasst.