Das 19. Jahrhundert war bekanntlich ein brutales und kriegsträchtiges, man denke nur an die Napoleonischen Kriege. Verwundete Soldaten, die es zuhauf gab, wurden damals von so genannten Wundärzten oder Feldschern behandelt. Sie agierten mehr oder weniger als medizinische „Handwerker“. Die Gnade der Anästhesie gab es noch nicht. Und vielfach starben die Soldaten schon, so sie nicht späteren Infektionen erlagen, auch während der oft brachialen Behandlungen; ganz abgesehen von all dem psychischen Leid, das mit den unausgereiften medizinischen Methoden einherging.
Auch Karl XIII, Schwedens König, hatte im zweijährigen Finnischen Krieg gegen die Russen immense militärische Verluste zu beklagen. Jeder dritte schwedische Soldat starb an seinen Verwundungen. Der König beschloss also, hier Abhilfe zu schaffen. 1810 gründete er aus diesem Grund das „Karolinska Institutet“. Ganz ähnlich dem Wiener Josephinum, das 1785 eröffnet wurde, wollte er die Fähigkeiten der Feldscher konsequent verbessern. Mit Erfolg: Schon ein Jahr später durfte das Karolinska auch Ärzte und nicht „nur“ Chirurgen ausbilden. Das Wissen qurde quasi interdisziplinär. Diese beiden Berufe existierten damals ja noch getrennt voneinander. Über 40 Jahre später, 1861 nämlich, bekam das Karolinska Institut schließlich den gleichen Status wie eine Universität, erst 1997 wurde man übrigens auch offiziell Universität.
Der Name, gern salopp auf „Karolinska“ oder überhaupt KI verkürzt, hängt übrigens eng mit den Studentenrevolten von 1968 zusammen. Vorher hieß die Universität „Kongliga Carolinska Medico Chirurgiska institutet", also „Königliches Karolinisches Chirurgisches Institut“. Der erste Direktor des Karolinska war Anders Johan Hagströmer, der bereits als sehr junger Mann, mit 18, seine erste Publikation verfasste. Das recht schmale, 16seitige Pamphlet wurde damals noch anonym herausgegeben und Hagströmer kritisierte darin in harschen Worten die seiner Meinung nach barbarischen Methoden der damaligen Chirurgie. Die Erwiderung des damaligen Präsidenten der Chirurgischen Gesellschaft in Schweden fiel aber nicht minder kritisch aus. Zumindest Hagströmer war dann später nicht ganz glücklich über seine allzu heftige Wortwahl. Der Chirurg und Anatomieprofessor schrieb später dazu: „Dies wurde in einer Zeit geschrieben, als ich Student war, was man in einer gewissen Ignoranz des Geschriebenen wohl deutlich sieht.“
Über den Fluß
1816 übersiedelte das Karolinska. Von Riddarholmen, einer zentral gelegenen Insel nahe Stockholms Festland, wechselte man stadteinwärts über den Fluß neben das heutige Rathaus. In dieser Zeit konnte man bereits auf vier Professuren zurückblicken: Anatomie, Naturgeschichte und Pharmazie sowie theoretische Medizin (sozusagen „die Interne“) und Chirurgie, die als „praktische“ Medizin fungierte.
1866 begann man schließlich, weiter zu expandieren und errichtete nach dem Abriß des alten an derselben Stelle ein neues, viel größeres Gebäude. An diesem wurde noch bis in das darauffolgende Jahrhundert hinein gebaut wurde. Das Karolinska gewann immer mehr an Ansehen und 1874 bekam die Universität schließlich die Erlaubnis, medizinische Titel zu verleihen: Ein Vorrecht, das in Schweden bisher fast ausschließlich die Universität in Uppsala genoß. Der erste Absolvent namens Alfred Levertin schloß 1875 sein Studium ab. Erst 1900 folgte die erste Frau, Anna Stecksen, die ein „doctoral degree“ am Karolinska erlangte. In Wien hatte schon drei Jahre vorher Gabriele Possaner als erste Frau in der österreichisch-ungarischen Monarchie promoviert.
Schon davor kam ein gewisser Alfred Nobel ins Spiel: Der Chemiker und Erfinder (unter anderem wurde Nobel mit Dynamit reich) beschloss in seinem Testament die Stiftung des heute wohl bekanntesten Wissenschaftspreises weltweit: Dem Nobelpreis. In seinem Testament legte Nobel auch akkurat fest, wer die Preisträger bestimmen sollte. Im Fall der Auszeichnung für Physiologie und Medizin eben das Karolinska Institut. 1901, fünf Jahre nach Nobels Tod, wurde wie geplant der erste Preis verliehen: Er ging an den Deutschen Emil von Behring für seine Arbeiten zur Serumtherapie und dessen Anwendung im Kampf gegen Diphterie.
Fünf Nobelpreisträger mit Wurzeln am Karolinska
Das Karolinska wuchs weiter, 1930 wurde ein „teaching hospital“, also ein Lehrspital, beschlossen, dass 1940 in Betrieb genommen wurde. Einen weiteren Meilenstein aus emanzipatorischer Sicht gab es 1937: Nanna Svartz trat als erste Frau eine staatliche Professur Schwedens an. Svartz hatte selbst am Karolinska studiert und die Kontroverse um ihre Berufung war groß, schlicht, weil sie weiblich war. Spezialisiert hatte sich die damals 47jährige auf Erkrankungen des Verdauungstraktes und Gelenkspathologien.
Seitdem die Nobelpreise vergeben werden, gab es insgesamt fünf Forscher, die am Karolinska arbeiteten und forschten und die begehrte Auszeichnung erhielten. Der erste Preisträger war Hugo Theorell, dessen Werdegang eng mit der Stockholmer Medizinuniversität verknüpft ist. Er studierte hier und wurde später Professor, den Nobelpreis bekam er 1955 „für die Entdeckungen über Natur und Wirkungsweise der Oxidationsenzyme“.
Die bisher letzten sozusagen hausgemachten „Karolinska-Preisträger“ waren 1982 Sune Bergström und Bengt Samuelsson, sie erhielten den Preis zu geteilter Hand für die Entdeckung der Bedeutung von Prostaglandinen und verwandten biologische Substanzen.
Seither hat das Karolinska die unterschiedlichsten wissenschaftlichen Lehrgänge im Portfolio, deren Anzahl stetig steigt, und zählt zu den wichtigsten medizinischen Forschungseinrichtungen weltweit.
Fakten
Gegründet 1810, verbindet die Universität Forschung und Lehre an zwei Campus und zahlreichen Spitälern. Derzeit gibt es an die 6500 Studierende. Angeboten werden unterschiedliche Ausbildungswege, darunter abseits der „klassischen“ Ausbildung zur Ärztin und zum Arzt auch einjährige und zweijährige Masterprogramme. Die meisten der Programme werden auf englisch gehalten.
2020 wurden 2488 Titel an 2128 Studierende verliehen.
Der Anspruch ist hoch: Ein Doktortitel des Karolinska soll als nationales und internationales Gütesiegel gelten.
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