Das Wiener Museumsquartier, ein strahlend sonniger Novembermittwoch und ZIB-Moderator Tobias Pötzelsberger als Master of Ceremonies: Die Voraussetzungen für den ersten med:hub der Wiener Ärztekammer stimmten. Woran es an der Ausbildung der Jungmediziner krankt, was gut läuft oder wo Änderungsbedarf gesehen wird – diese Fragen standen einen Nachmittag lang im Mittelpunkt. Und das Thema brennt, ist doch mit Jänner 2023 eine massive Änderung der Ausbildungsordnung in Sicht: Die Kompetenzen und die Verantwortung für die Bewilligung sowie die Qualität der Ärzteausbildungsstellen gehen laut Ärztegesetz-Novelle ab dann von der Kammer an die Bundesländer über.
Von Piloten und Skifahrern
Begonnen wurde der Nachmittag mit der Keynote einer Jungärztin aus Österreich, die einen Teil ihre Ausbildung in der Schweiz absolvierte. Flache Hierarchien und gutes Teamwork seien ihr bei der Ausbildung unter anderem wichtig gewesen, eine Fehlerkultur, die diesen Namen auch verdient und last, but not least wirklich grandiose Skigebiete vor der Haustür. Damit sprach Ines Schwihla, Assiszentärztin an der Züricher Universitätsklinik Balgrist, als erste Vortragende gleich einige wesentliche Punkte an. Unter anderem die viel zitierte Work-Life-Balance: „In Österreich hatte ich manchmal das Gefühl, es ist verpönt zu sagen, dass man am Wochenende am Berg war. In der Schweiz freut man sich, dass die Kollegen auch noch ein Leben neben der Arbeit haben.“ Die Hemmschwelle, Dinge nachzufragen, gerade als Anfängerin, seien in der Schweiz durch ein familiäres Umfeld und das gängige Du-Wort, auch seitens der Vorgesetzten, um einiges niedriger, so Schwihla, der Lerneffekt dadurch unschätzbar. Zudem böte das Land eine recht strukturierte, anspruchsvolle Ausbildung. Angehende Fachärzte hätten den Vorteil, in Spitälern mit ganz unterschiedlicher Größe arbeiten zu müssen, „jeder muss also irgendwann an einer Universitätsklinik oder einem anderen großen Haus gewesen sein“, erklärte Schwihla die Vielseitigkeit der Ausbildung.
Fabian Duponts darauffolgende Keynote war geprägt von Kernobst und Steinfrüchten – und der Luftfahrt. Der Allgemeinmediziner, Leiter für Forschung und Lehre am Zentrum Allgemeinmedizin an der Universität Saarland, konnte mit seiner bildhaften Sprache ein komplexes Thema auf den Punkt bringen: Was Können und Kompetenz nämlich tatsächlich ausmachen und welche Überprüfungsmöglichkeiten es dafür gibt. Spoiler: Möglichst viele Punkte beim Multiple-Choice-Test sind es nicht unbedingt. „From Cherry picking and finding bad apples“ hieß dann auch sein Vortrag.
„Überlegen Sie einmal: Möchten Sie in ein Flugzeug einsteigen, das von einem Piloten geflogen wird, der 60 Prozent Abstürze hat? Wohl eher nicht. Man möchte in einen Flieger steigen, bei dem man weiß, der Pilot handelt in allen möglichen Szenarien richtig.“ Ähnlich sei es auch bei Ärzt:innen: Es ginge darum, derart kompetente Mediziner auszubilden, die grundsätzlich wüssten, was zu tun ist, um Patient:innen sicher und gut zu behandeln. Eine Auflistung von Lernzielen und das Abprüfen dazugehöriger Lernzielkatalogen mittels Prüfungen, wie wir sie alle kennen: Da sei noch Luft nach oben. „Wir müssen uns überlegen, was wir wollen: Ein System, das die Besten auswählt, also das ‚Cherry Picking’, oder ein System, das die Schlechtesten herausfiltert, also das, was unter ‚Finding bad apples’ fungiert“, so Dupont. Europaweit sei beides zu finden, mit allen Vor- und Nachteilen.
Als dritter Vortragender am Podium war der schwedische Chirurg Peter Elbe geladen, der zudem Vorsitzender des Ausbildungskomitees der „Swedish surgical society“ ist. In Schweden wurde die medizinische Aubildung 2021 reformiert, was bedeutet, dass vor allem die Ausbildungsdauer an den Universitäten und die Dauer der Residencies verlängert wurden. Zudem wurde ein einjähriges Basistraining etabliert statt der üblichen bis zu zwei Jahre dauernden Praktika. Es sei wichtig gewesen, diese Änderung durchzuführen, erklärte Elbe, denn Schweden fehlte im Vergleich zu anderen europäischen Ländern bei der Ärzteausbildung die notwendige Attraktivität. Mit der Reform konnte diese Lücke geschlossen und dem Nachwuchs verbesserte Bedingungen geboten werden – Stichwort Braindrain.
Ein interessanter Ansatz ist zudem das schwedische Bewertungssystem der Spitäler. Damit werden neben den fachlichen Kompetenzen auch Themen wie Ausstattung und Räumlichkeiten (zum Beispiel adäquate Ruhezonen für Mitarbeiter), Dienstpläne der Turnusärzte oder Führungskompetenzen der Verantwortlichen auf Herz und Nieren geprüft. Die Kategorisierung reicht von A (sehr gut) bis D (nicht ausreichend). Diejenigen Spitäler, die ein D erhalten, können dann unter anderem eher unerwünschte mediale Aufmerksamkeit bekommen, so Elbe.
Ehrliche und ungefilterte Antworten
Nach den drei intensiven Vorträgen plus obligatorischer Pause ging es mit einem Workshop á la „World Cafe“ weiter, zentraler Punkt dabei waren die Gruppendiskussionen. An mehreren Tischen wurden Themen wie die Work-Life-Balance während der Ausbildung, der in den letzten Jahren viel debattierte Facharzt für Allgemeinmedizin oder die Ressourcen und Bedürfnisse der Ausbildenden unter die Lupe genommen, debattiert und kritisiert.
Finaler Schlusspunkt war die bewusst nicht Podiumsdiskussion, sondern -konfrontation genannte Gesprächsrunde mit Experten, bestehend aus Katharina Reich (Generaldirektorin für die Öffentliche Gesundheit und Leiterin der Sektion Öffentliche Gesundheit und Gesundheitssystem im österreichischen Sozialministerium), Anita Rieder (u.a. Vizerektorin für Lehre der Medizinischen Universität Wien), Gudrun Khünl-Brady-Ertl (Allgemeinmedizinerin und Aus- und Fortbildungsbeauftragte Wiener Gesundheitsverbund) sowie Severin Ehrengruber (Assistenzarzt für Interne Medizin an der Klinik Ottakring und Vorsitzender Ausbildungsausschuss der Ärztekammer für Wien). Dabei übernahm das Publikum die Rolle als Fragesteller.
All das, was vorab an den Tischen diskutiert wurde, wurde nun direkt ans Podium weitergereicht. Warum ist Österreich in Sachen Mentoring noch nicht dort, wo andere Länder sind? Wieso fehlt es gefühlt an qualitativer statt quantitativer Evaluierung von Leistungen? Wie kann man die Lehrpraxis attraktiver, flexibler und nicht zuletzt finanziell ertragreicher gestalten? Macht die Basisausbildung überhaupt Sinn und warum ist eine funktionierende Work-Life-Balance für manche eher ein Schreckgespenst denn erstrebenswert?
Moderator Tobias Pötzelsberger gab den roten Faden vor und sorgte zwischendurch für Erheiterung, denn „wären wir jetzt bei einer Fernsehsendung, würde mir mein Ohr explodieren: Auf die Zeit achten, auf die Zeit achten!“, so der versierte ZIB-Mann. Die erörterten Themen brannten sichtlich allen Anwesenden unter den Nägeln, das Podium wurde bis ins Detail befragt und es gab ehrliche, ungefilterte und durchaus auch unbequeme Antworten.
Katharina Reich, die vor ihrem Job im Gesundheitsministerium Ärztliche Direktorin bei den Barmherzigen Brüdern in Wien war, erläuterte etwa, dass Themen wie verbesserte Feedbacksysteme „uns massiv beschäftigen“, und dass die Situation einfach eine sehr andere sei als noch vor etwa zwanzig Jahren: „Damals wurde jungen Ärzt:innen oft vermittelt, sie müssten froh sein, einen Fuß in die heiligen Krankenhaushallen setzen zu dürfen.“ Heute sei dieser Andrang an Mediziner nicht mehr so stark, gedanklich und kulturell habe man aber noch nicht auf diesen gefühlten Mangel umgeschwenkt, „die Realität war schneller.“
Bei der Lehrpraxis und überhaupt dem Thema Ausbildung in der Niederlassung wurden Stimmen nach mehr Flexiblität und einer Lehrpraxis, die zeitlich freier gestaltbar innerhalb des Studiums ist, laut.
Das enorm vielschichtige Thema Work-Life-Balance wurde ebenfalls intensiv debattiert. Unter anderem wurde über die Rahmenbedingungen, die sich die letzten zwanzig Jahre so stark verändert haben, gesprochen. Stichwort Arbeitszeitgesetz und Maximalarbeitszeit; die veränderte Erwartungshaltung der Ärzt:innen und die Arbeitsverdichtung in den Spitälern. Und das Fazit aller Fragen: Wie gelingt der Spagat aus Flexibilisierung und Maximalarbeitszeit mit der gleichzeitigen Kontinuität in der Patientenversorgung? Severin Ehrengruber hinterfragte etwa den hartnäckigen Mythos, dass man mit einer 40-Stunden-Woche im Spital ohnehin kein guter Chirurg respektive Arzt werden könne und meinte, „es würde durchaus reichen, nur sind die Ressourcen momentan nicht richtig eingesetzt.“ Viel zu viel Zeit ginge für ausbildungsfremde Tätigkeiten verloren, die Träger seien hier gefragt, eine optimierte Organisation zu ermöglichen.
Katharina Reich betonte, dass gerade im ärztlichen Beruf Work und Life extrem miteinander verwoben seien, „und auch im Wissen, dass ich hier eine eher altmodische Meinung vertrete: Den Begriff Life würde ich fast auf beide Bereiche ausdehnen.“ Der Wunsch nach mehr Flexibilisierung und unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen wurde unisono begrüßt und verstanden, dessen Umsetzbarkeit, Stichwort Gleitzeit, allerdings teils mit Fragezeichen versehen.
„Bleibt unbequem“
Das Thema Basisausbildung sorgte für gemischte Gefühle. Zwischen „besser abschaffen“ und „Alternativlosigkeit“ changierten die Meinungen im Publikum. Gudrun Khünl-Brady-Ertl stellte die Frage in den Raum, was als bessere Übergangsphase nach dem Studium denn geeignet wäre, wenn nicht ein solches Basisjahr. Für Kritik aus dem Publikum sorgte vor allem die schwammige Trennung zwischen KPJ (Klinisch-Praktisches-Jahr) und Basisjahr, die zwar rechtlich natürlich da sei, von vielen aber gefühlt nicht so erlebt werde. Anita Rieder betonte, dass das Basisjahr eine wichtige Chance in seiner Funktion als Übergangsphase vom Studium in die postgraduelle Ausbildung sei, „wichtig ist, dass wir hier auch interinstitutionell gut und eng zusammenarbeiten.“ Aus dem Publikum kam eine Anmerkung zur Abschaffung der Gegenfächer (Pflichtnebenfächer, Anm.d.Red.) in der Facharztausbildung: Hier habe das Basisjahr nunmehr eine extrem wichtige Aufgabe, tatschlich auch eine umfassende Basis zu schaffen.
Eng damit verknüpft war die Thematik der Ausbildenden. „Zuerst bin ich noch im KPJ und wenige Wochen nachher im Basisjahr, wo ich Famulanten etwas erkläre“ war ein Satz, der in diesem Zusammenhang aus den Workshops zitiert wurde. Der Wunsch nach mehr Zeit, mehr Personal und einer besseren Medizindidaktik war hier das Fazit. Und die Frage, wie man „Teach the Teacher“-Konzepte besser umsetzen kann und WANN man damit beginnen sollte. Sinnvollerweise schon während des Studiums? Oder an einem späteren Punkt der Ausbildung? Katharina Reich vertrat die Meinung des „je früher, desto besser“ beim Vermitteln von Inhalten und Anita Rieder wies darauf hin, dass die Universität schon sehr früh in der Ausbildung die Didaktik im Blick habe, Stichwort Tutorenprogramme.
Last, but not least wurde der geplante Facharzt zur Allgemeinmedizin unter die Lupe genommen. Dass er kommt, ist ja bereits seit Längerem fix. Debattiert wurden unter anderem der große Frust unter den Jungmedizinern, die in die Allgemeinmedizin wollen und vielfach das Gefühl haben, als billige Arbeitskraft ausgenutzt zu werden anstatt Relevantes zu lernen. Und grundsätzlich war der Wunsch nach einer generelle Verbesserung und Aufwertung der Allgemeinmedizin groß. Stefan Ferenci, Kurienobmann der angestellten Ärzte der Wiener Ärztekammer, appellierte bei seinen Abschlussworten ebenfalls, diesen Bereich aufzuwerten. Er warnte hier vor einer weiteren Verschwendung von wertvollen Ressourcen. Katharina Reich versprach, der Ausbildung „nicht einfach ein neues Mascherl umzuhängen, sondern die Inhalte auch wirklich zu ändern, Verbindlichkeiten zu schaffen sowie extra- und intramuralen Bereich enger zu verknüpfen“.
Zudem legte Ferenci den jungen Kollegen nahe: „Holt euch eure Ausbildung und bleibt unbequem.“ Die ärztliche Ausbildung befände sich im Umbruch, trotz dem Spannungsfeld zwischen immer größerer Arbeitsbelastung im klinischen Alltag, zunehmender Spezialisierung in der modernen Medizin und der Forderung der jüngeren Generationen nach einer besseren Work-Life-Balance müsse die postgraduelle ärztliche Ausbildung in hoher Qualität stattfinden. Das alles „unter einen Hut zu bringen“, sei für ihn eine „große Herausforderung unserer Generation“, so der Vizepräsident.