Psychoanalyse, Individualpsychologie und Logotherapie: Drei Denkschulen, in Wien gegründet, und drei Namen, die untrennbar damit verbunden sind.
Der wohl bekannteste darunter, Sigmund Freud, der heute quasi als Pate der Psychoanalyse gilt, hatte zu Lebzeiten übrigens einen schwierigen Stand in Wiens Wissenschaftskreisen. „So wirklich akzeptiert in der akademischen Welt wurde Freud damals nicht, wie übrigens auch sein Zeitgenosse, der etwas jüngere Alfred Adler“, resümiert Hannes Leidinger. Der renommierte Historiker und Sachbuchautor kam über Umwege zu seinem Buchthema, nämlich über seine damalige Habilitation zum Thema Suizid rund um die Jahrhundertwende. Aber „das, was hier passiert ist, ist weit mehr als nur Medizingeschichte, es war ein Denken an die Grenzen des Möglichen, an die letzten Dinge. Was macht den Menschen aus? Was kann er und woran scheitert er letztendlich? Das ist eine ganz große Anthropologie, die da aus Wien kommt.“
Freud, 1856 im damaligen Freiberg/Mähren geboren, und der 14 Jahre jüngere, in Wien geborene, Arzt Alfred Adler lebten jahrelang eine konstruktive Zusammenarbeit. Adler gehörte außerdem zu den Gründungsmitgliedern der so genannten psychologischen „Mittwochsgesellschaft“, dem ersten psychoanalytischen Arbeitskreis überhaupt. Schnell mündeten ihre ideologischen Unterschiede aber in heftige Zusammenstöße und in ein schlussendliches Zerwürfnis, das bis zu Adlers Tod 1937 icht mehr gekittet werden konnte.
Sexualität als treibende Kraft und Knackpunkt
Was waren nun diese großen Unterschiede? „Freud war ein Kind der Jahrhundertwende, in der das Individuum, das Rationale, zunehmend unter Verdacht gerät, das Schlagwort hier ist Identitätsdissoziation. Der Mensch zerfällt in Einheiten“, so Leidinger. Das Fin de Siècle war nicht nur in Wien geprägt von wachsender Mobilität, veränderten demokratischen Prozessen und wachsenden Bürgerrechten, aber auch -pflichten. Alles wurde schneller, unübersichtlicher, „nervöser“, um ein damaliges Modewort zu verwenden.
Die Menschen wurden unruhiger, reizüberfluteter, das Leben verlief weniger linear und vorherbestimmt. Höchstpersönliche Möglichkeiten wurden enorm vervielfacht, aber vielleicht auch komplizierter, was eben auch seine Schattenseiten hatte, unter anderem die Entwicklung psychischer Krankheiten. Selbstredend gab es diese auch schon vorher, aber ihre Behandlung wurde etwa beginnend mit Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts heftig debattiert und psychiatrische Anstalten zumindest einer kritischen Überprüfung unterzogen, Stichwort Institutionenkritik.
Freud wurde nun in einem Jahrhundert geboren, in dem repressive Maßnahmen bei der „Behandlung“ psychisch Erkankten bis hin zu deren Kriminalisierung die Norm waren. Der Wandlungsprozess hin zu einem humaneren psychiatrischen Vollzug weg von autoritären, beinah foltergleichen, Methoden sollte allerdings noch lange dauern.
In dieser Atmosphäre des Umbruchs und Übergangs machte er sich also auf die Suche nach den Gründen für diese zunehmende Auflösung und (Selbst)Entfremdung des Individuums. Und dabei war sein zentraler Ankerpunkt die Sexualität. Was wiederum den entscheidenden Knackpunkt in der Beziehung zu Adler darstellt. Denn der suchte nicht die Gründe für die Auflösung des Ichs, sondern wollte das Individuum wieder zusammensetzen. Und nicht nur das, Adler wollte dieses wiederhergestellte Individuum zudem in einen gesellschaftlichen Zusammenhang bringen, während Freud weiter mit den psychischen Instanzen arbeitete. Während Freud, sehr vereinfacht gesagt, eher die Frage nach dem Grund von Handlungen stellte, ging Adler dem Zweck selbiger nach. Und solange Freud all das ganz zentral mit der Sexualität verknüpfte, konnte und wollte Adler hier gedanklich nicht mit. Was für Freud ideologischem und sicherlich auch teilweise persönlichem Hochverrat gleichkam.
„Wo sie aber beide mit Blick auf den ersten Weltkrieg ein gemeinsames Ziel haben, ist, den Menschen wieder fit zu machen für eine patriarchalische, ja kriegerische Gesellschaft und das ist vielleicht auch ein dunkler Fleck in der Biografie dieser beiden Männer“, so Leidinger, der an der Universität Wien lehrt und außerdem am Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung arbeitet. Ein Friedens-Ich, das pathologisiert wird, Männern, denen Infantilität unterstellt wird, wenn sie nicht an die Front oder grundsätzlich im Krieg kämpfen wollen – die damalige Militärpsychiatrie und all ihre Ausläufer hat hier mehr als fragwürdige Thesen und Ansichten vertreten.
„Ich blicke mit diesem Menschen gemeinsam nach vorne“
Hier kommt Viktor Frankl nun als ein eindeutiger ideologischer Widerpart ins Spiel. Der 1905 in der Wiener Leopoldstadt geborene Arzt konnte dieser Grundauffassung, indem der Zweck des menschlichen Daseins vorrangig mit dessen Nutzen verbunden wird, schon sehr früh nichts abgewinnen. „Frankl will in die Zukunft aufbrechen und weniger in der Vergangenheit nach Lösungen für Fehlentwicklungen suchen. Er sagt von vorneherein: Ich blicke mit diesem Menschen, den ich gar nicht auflösen oder völlig erklären kann, gemeinsam in seiner Sinnsuche nach vorne“, so Leidinger.
Vorerst war die Logotherapie aber noch nicht mehr als eine vage Utopie in weiter Ferne, vielmehr korrespondierte Frankl schon als Schüler mit dem damals schon sehr bekannten Freud und darf hier noch als überzeugter Freudianer bezeichnet werden. Sehr schnell wurde der junge Mann aber deutlich stärker von Alfred Adlers Individualpsychologie angezogen. Es dauerte aber nicht lange, bis sich auch Frankls und Adlers Wege trennten, denn Adler galt, wie auch Freud, als kompromissloser Verteidiger der eigenen Lehre. Frankl kritisierte unter anderem Adlers Haltung, die Symptome einer Neurose seien nur Mittel zum Zweck. Er sah sie als durchaus authentischen Ausdruck des innersten Selbst.
Frankls eigene Denkschule, die sich seit dem Ende der Zwanzigerjahre nun peu à peu entwickelt, leitet sich aus drei Grundgedanken ab: Der Freiheit des Willens, dem Willen zum Sinn und dem Sinn des Lebens. Die Logotherapie, wie sie dann genannt wurde, soll, sehr verkürzt gesagt, den Willen zum Sinn aktivieren. Frankls eigene Biografie, die dann einige Jahre später grundlegend von den Verbrechen des Nationalsozialismus erschüttert wird, ist mit der Ermordung seiner Frau, seiner Eltern, seines Bruders und der eigenen KZ-Gefangenschaft sicherlich ein Symbol dafür, was sein Denken ausmacht: Versöhnung auch unter widrigsten Umständen, um selbst darin einen wie auch immer gearteten Sinn zu finden. Die Logotherapie fußt auf genau dieser Haltung. „Es gibt nichts auf der Welt, das einen Menschen so sehr befähigte, äußere Schwierigkeiten oder innere Beschwerden zu überwinden, als das Bewußtsein, eine Aufgabe zu haben“, schrieb Frankl in seinem 1946 erschienenen Buch „Ein Psychologe erlebt das KZ“. Seine Philosophie könnte man wohl nicht besser zusammenfassen.
Das Buch
Leidinger, Hannes; Rapp, Christian; Mosser-Schuöcker, Birgit: Freud-Adler-Frankl. Die Wiener Welt der Seelenforschung.
Mit einem Beitrag von Verena Moritz. Mit zahlreichen Abbildungen. Hardcover, 288 Seiten.
Das Leben und Wirken von Freud, Adler und Frankl, der Begründer weltbekannter
psychotherapeutischer Schulen, im Spiegel der Zeit. Sigmund Freud, Alfred Adler, Viktor Frankl – herausragende Größen des Wiener Geisteslebens, die innerhalb kurzer Zeit die
Wissenschaft der Seelenforschung revolutioniert haben. Sie wurden zu den Gründungsvätern bis heute maßgeblicher Theorien und Behandlungsmethoden: der Psychoanalyse, der Individualpsychologie und der Logotherapie.
Aus welchen sozialen Milieus stammten sie, welches familiäre Umfeld hat sie geprägt und wie sahen ihre beruflichen Netzwerke aus? Die drei Autoren erzählen auf spannende Weise eine hundertfünfzigjährige Kultur- und Wissenschaftsgeschichte und beleuchten dabei auch die komplizierten Beziehungen zwischen diesen drei Persönlichkeiten.