Dass viele Studierende, die das Medizinstudium absolviert haben, nach ebendiesem Österreich verlassen und ins Ausland gehen, sei „verständlich“, so Kastner. „Es gibt oft monatelange Wartezeiten auf Ausbildungsplätze. Im Ausland finden sie oft rascher einen Job und werden oft wertschätzender behandelt.“
So werde den angehenden Jungmedizinern dort oft ein „Mentorensystem“ zur Seite gestellt und sie würden auch abseits des Arbeitsplatzes, etwa bei der Wohnungssuche, am Anfang unterstützt. „Soft skills“ seien gefragt. „Es ist für sie attraktiver. Sie finden schneller einen Job, unter besseren Bedingungen. Und dabei geht es oft gar nicht in erster Linie um finanzielle Aspekte“, mahnte Kastner ein Umdenken hierzulande ein.
Eine gesetzlich normierte Jobgarantie könne dem entgegenwirken und helfen, die jungen Menschen nach dem Studium „schneller abzuholen“. „Das passiert derzeit nicht“, kritisierte der oberste Standesvertreter der Ärzte in Tirol. Es liege hier eine „Bringschuld“ der Politik vor. Man habe jedenfalls derzeit „mehr Interessenten als Stellen für die Ausbildung, weil Planstellen fehlen“. Die Forderung Kastners an die Krankenanstalten daher: Mehr Ausbildungsplatze schaffen.
Potential von „1450“ nutzen
Voraussetzung für die „Jobgarantie“ sei aber auch die Durchführung einer konkreten und fundierten Bedarfserhebung in jedem Bundesland, erneuerte Kastner eine frühere Forderung. Dies müsse sowohl die jeweilige Region als auch die jeweiligen medizinischen Fächer betreffen. Nur so könne man feststellen, wo und in welchem Bereich man künftig Mediziner:innen brauche.
Wegen all dieser Argumente würde auch die Forderung von Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) zu kurz greifen, der eine gesetzliche Verpflichtung schaffen will, um Medizinstudenten nach ihrem Studium in Österreich zu halten. Man müsse diese Forderung umkehren: Die Politik sei in der Pflicht, für die entsprechenden Jobmöglichkeiten zu sorgen, drehte Kastner den Spieß um.
Ein weiteres gesundheitspolitisches Feld, das bearbeitet gehört, ist für Kastner jenes der übermäßigen Patientenströme in die Krankenhäuser außerhalb der Regelzeiten der Arztpraxen und sonstigen Primärversorgungseinheiten. Und hier sah er ein taugliches Mittel, um dem entgegenzuwirken: Die Gesundheitshotline „1450“, in Pandemie-Zeiten als Corona-Hotline „berühmt“ geworden. Wenn die Pandemie auch nur etwas Gutes gebracht habe, dann die Tatsache, dass mittlerweile fast jeder diese Nummer, die ja ursprünglich dafür gedacht war, Fragen zu beantworten, kenne, so der Ärztekammerchef.
Dieses enorme Potenzial gelte es nun zu nützen, um eine rasche telefonische Abklärung, Hilfe und damit eine „Steuerung im positiven Sinne“ zu erreichen. Das hieße vereinfacht gesagt: Die Menschen könnten dort anrufen und dann kompetent Auskunft bekommen, ob ihre Beschwerden wirklich Grund genug sind, gleich ein Krankenhaus aufzusuchen. „Es geht darum, strukturiert für Aufklärung zu sorgen. Wir könnten dadurch die Ströme in die Spitäler besser in den Griff bekommen. Hier gibt es viel Puffer. Denn ich orte bei vielen Patienten Orientierungslosigkeit im System“, sagte der Chirurg Kastner, der eine eigene Praxis in Innsbruck betreibt und verwies auf einen ähnlichen Hotline-Beratungs-Fokus in den USA oder der Schweiz. Deshalb sollte eine „1450-Offensive“ inklusive der Zurverfügungstellung der notwendigen Ressourcen und der entsprechenden Bewerbung gestartet werden.
„Nicht einseitig Bedingungen verändern“
Den beträchtlichen Zustrom in die Krankenhäuser außerhalb der Regelzeiten führte Kastner auf die große Unsicherheit der Menschen zurück. „Sie haben Beschwerden und googeln dann etwas. Und 'Dr. Google' teilt ihnen mit, dass - überspitzt formuliert - das Lebensende potenziell nahe ist. Das ist ein reales Problem“, gab der Tiroler Ärztekammerchef seine Erfahrungen aus der Praxis weiter. Hier brauche es eine Steuerung - und zwar am besten, bevor die Menschen in die Spitäler kommen.
Der scharfen Kritik von Doskozil in den vergangenen Tagen an der Ärztekammer und dem Vorwurf, diese sei ein Bremser bei Reformen, konnte Kastner nichts abgewinnen. Und erwartungsgemäß auch nichts mit der Forderung, der Kammer gehöre „Macht“ genommen: „Ich habe nicht das Gefühl, in einem Machtzentrum zu arbeiten. Wir sind primär eine Standesvertretung, sehen uns aber nicht nur quasi als Gewerkschaftschaft für Freiberufler. Wir haben die Innensicht, wie ein Krankenhaus oder eine Arztpraxis funktioniert.“ Die Ärztekammer sei „bereit für Reformen, aber die kann man nur gemeinsam machen“. „Man kann nicht einseitig Bedingungen verändern“, richtete Kastner Doskozil aus und sprach von einem „Angriff auf die legitime Interessensvertretung“.