„Die Lebergesundheit ist ein Spiegelbild der generellen, gesundheitlichen Herausforderungen Europas im 21. Jahrhundert“, mahnt Berg. „Denn: Generelle Risikofaktoren für Lebererkrankungen spiegeln Verhaltensweisen und Bedingungen wider in Konsequenz eines ungesunden Lebensstils und sozialer Ungleichheit, die die eine Vielzahl von Begleiterkrankungen umfassen, wie Diabetes und Krebs“
„Therapeutischer Nihilismus bei Leberkrankheiten sollte Vergangenheit sein“
Beinahe 300.000 Menschen sterben jedes Jahr frühzeitig an Leberproblemen. Viele von ihnen hätten ein längeres und gesünderes Leben führen können, zumal heute in den meisten europäischen Ländern ein guter Zugang zur Sekundärversorgung besteht. Um rasante Fortschritte in den Erkennungstechnologien auf dem Gebiet der Hepatologie zu nutzen, müssten auch Vorbeugungsmaßnahmen gegen Lebererkrankungen beschleunigt werden, sind sich Experten einig.
Hier nimmt Berg auch die Ärzteschaft in die Pflicht: „Therapeutischer Nihilismus bei Leberkrankheiten sollte der Vergangenheit angehören“, betont der EASL-Generalsekretär und Leiter der Abteilung für Hepatologie am Universitätsklinikum Leipzig, Deutschland. Die Ärzteschaft müsse Berg zufolge ihren Umgang mit Lebererkrankungen ändern: Statt sich auf die Behandlung von Komplikationen im Endstadium zu konzentrieren, sollten Ärzt:innen den Fokus auf Prävention, proaktive Früherkennung einer fortschreitenden Leberfibrose, eine frühzeitige Diagnose und Behandlung legen.
Hoher Alkoholkonsum
Europa hat den höchsten Alkoholkonsum pro Person, die höchste Prävalenz von starkem episodischen Alkoholkonsum und die niedrigste Alkoholabstinenzrate der Welt. Alkohol wirkt synergetisch mit Fettleibigkeit und anderen Risikofaktoren für Lebererkrankungen zusammen und führt zu den derzeit hohen Raten von Lebererkrankungen im Endstadium und Leberkrebs. Alkohol verursacht etwa 40 Prozent der 287.000 vorzeitigen leberbedingten Todesfälle in Europa pro Jahr, obwohl die Zahl höher sein dürfte.
„Aufgrund unserer überkalorischen Ernährung und des hohen Alkoholkonsums ist in Österreich ein Anstieg der Fettlebererkrankung zu beobachten, der auch deswegen problematisch ist, weil er ein treibender Faktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs sein kann“, mahnt Thomas Reiberger, Professor für Gastroenterologie und Hepatologie am Allgemeinen Krankenhaus Wien der Medizinischen Universität Wien.
Angesichts der beträchtlichen Belastung durch Lebererkrankungen in Österreich sei es dringend notwendig, dass Ärzteschaft und politische Entscheidungsträger hierzulande zusammenarbeiten, um das öffentliche Bewusstsein und vor allem ihre Prävention zu fördern. Großes Thema ist dabei auch Screening. Geräte, die den Schweregrad einer Lebererkrankung messen, sind zwar in Notaufnahmen der Krankenhäuser vorhanden, fehlen aber oft in Arztpraxen, wo sie für die Früherkennung sinnvoll wären.
Anstieg von Fettlebererkrankung
Generell ist die Fettlebererkrankung (NAFLD), die hauptsächlich durch Fettleibigkeit und Diabetes verursacht wird, heute die am schnellsten wachsende Lebererkrankung in Europa, an der inzwischen jeder dritte Mensch leidet. Sie ist auf dem besten Weg, die häufigste Ursache für Leberkrebs auf dem Kontinent zu werden.
Ein Land, das insbesondere seit Kriegsbeginn, vermehrt unter Infektionskrankheiten leidet, ist die Ukraine. Dort kämpft ein großer Teil der Bevölkerung mit Tuberkulose und HIV. „Die russische Invasion hat das ukrainische Gesundheitssystem vor enorme Herausforderungen gestellt, da Kriege die schwächsten Bevölkerungsgruppen einem weitaus größeren Risiko aussetzt“, sagte Tetiana Deshko, Programmdirektorin bei der Alliance for Public Health Ukraine, vor Journalisten. „Der Ukraine ist es gelungen, die wichtigsten Gesundheitsdienste aufrechtzuerhalten, zum großen Teil dank des selbstlosen Engagements der Zivilgesellschaft“, beschreibt Deshko.
Öffentlichkeitswirksame Kampagnen
Rund 90 Prozent der Fälle von Lebererkrankungen wären vermeidbar, daher spielt Prävention und in dem Zusammenhang insbesondere auch die Ernährung, eine wichtige Rolle. Im Rahmen von Projekten unter dem Motto „Love your Liver“, will die European Association for the Study of the Liver Bewusstsein für Lebergesundheit schärfen, Früherkennung und Vorsorge fördern. Das in Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen im Umfeld des Kongresses. Im Rahmen der Kampagne wurde am Montag ein Wiener Gymnasium besucht. Dabei haben die österreichischen Hepatologen Prof. Wolf Huber und Prof. Thomas Reiberger Schülerinnen im Alter von 10 bis 11 Jahren Wissen zur Leber vermittelt. Die Schülerin gestalteten anschließend Plakate.
Tags darauf fand eine öffentliche Veranstaltung im Billrothhaus in Wien statt, um weiter zum Thema Lebergesundheit zu sensibilisieren. Vortragende aus den Bereichen Medizin, Krankenpflege, Gesundheitswesen und Bildung kamen dabei zusammen, um Prävention und Versorgungsmaßnahmen zu diskutieren.
Beginnend mit 20. Juni wird es für die gesamte Kongressdauer (bis 24. Juni) Gelegenheit für Vorsorgeuntersuchungen und Lebergesundheits-Checks geben – an einem Stand sowie im Screening-Truck bei der Messe Wien, wo Besucher:innen kostenlos zu Leberberatungen und Screenings sowie nicht-invasiven Hepatitis-C-Tests eingeladen werden.
Jährlich wartet der Internationale Leberkongress (ILC), der von der Europäischen Vereinigung für das Studium der Leber (EASL) ausgerichtet wird, mit wissenschaftlichen Durchbrüchen auf. Dieses Jahr findet er von 21. bis 24. Juni in der Messe Wien statt und verspricht Highlights zu Studien zur Behandlung der schweren alkoholischen Leberzirrhose. Auch werden Ergebnisse aus zwei Phase-III-Studien mit neuen Medikamenten zur Behandlung von Fettlebererkrankungen erwartet, ebenso wie einige bahnbrechende Studien zu Fäkaltransplantationen sowie Naltrexon zur Unterstützung der Alkoholabstinenz bei Patient:innen mit Leberzirrhose.
Der ILC zieht wissenschaftliche und medizinische Experten aus der ganzen Welt an, die sich über die neuesten Erkenntnisse der Leberforschung informieren und klinische Erfahrungen austauschen. Rund 8.000 Forscher, Ärzt:innen sowie Vertreter aus Industrie, Politik und Fachmedien, außerdem Betroffene aus etwa 120 Ländern in der Stadt nehmen an dem Kongress teil. Die teilnehmenden Fachleute präsentieren, diskutieren und ziehen Schlussfolgerungen aus den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Forschungsergebnissen in der Hepatologie und arbeiten daran, die Behandlung und das Management von Lebererkrankungen in der klinischen Praxis zu verbessern.
Seit ihrer Gründung im Jahr 1966 ist die gemeinnützige Organisation EASL auf über 4.500 Mitglieder aus aller Welt angewachsen, darunter viele der führenden Hepatologen in Europa und darüber hinaus. EASL ist die führende Lebervereinigung in Europa, die sich zu einem bedeutenden europäischen Verband mit internationalem Einfluss entwickelt hat und eine beeindruckende Erfolgsbilanz bei der Förderung der Forschung auf dem Gebiet der Lebererkrankungen, der Unterstützung einer breiteren Ausbildung und der Förderung von Veränderungen in der europäischen Leberpolitik vorweisen kann.
Hintergrund: