Erhöhter Puls, Druck in der Herzgegend, Schwindel... als digital versierter Mensch überprüft man via Google in diesem Fall auf die Schnelle die Symptome. Soweit so vorhersehbar. Das allerdings eine medizinische US-App in einer Case Study bei den gleichen Symptomen zwei völlig unterschiedliche Ergebnisse liefert, ist dann doch erstaunlich. Oder einfach die vielzitierte Gender Bias: Der Frau wurden nämlich Panikattacken als mögliches Symptom zugeordnet, der Mann wurde als Notfall mit möglichem Herzinfarkt eingestuft. Was ein Gender Bias ist, wissen die meisten von uns vermutlich in groben Grundzügen: Selbiger „beruht auf einer bewussten oder unbewussten geschlechtsspezifischen Voreingenommenheit, meist ausgehend von einer binären Geschlechterdifferenzierung“, so eine gängige Definition. Und sie macht, siehe obiges Beispiel, auch vor Technik und Künstlicher Intelligenz (KI) nicht halt. Denn all das kommt nicht aus dem luftleeren Raum, sondern wird logischerweise von Menschen in ihren Grundzügen gestaltet.
In der Medizin ist das Gender-Bias-Problem ein altbekanntes, denn „die Forschung in der Medizin erfolgte traditionell am männlichen Standardmodell, sogar im Bereich der Tierversuche. Die Folgen sind weitreichend und dauerhaft. So werden bei Medikamenten nach wie vor meist einheitliche Dosierungsangaben für Frauen und Männer angegeben, obgleich das erhebliche Nebenwirkungen bei Frauen verursachen kann. Diese Nebenwirkungen werden wiederum häufig verkannt oder fehlinterpretiert, da sie in den Zulassungsstudien bei Männern nicht oder nur selten registriert wurden“, erklärt Brigitte Strahwald vom Institut für medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie an der Pettenkofer School of Public Health der LMU München. Grundlegende Probleme sind also nicht nur Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die angenommen werden. Auch Gleichheiten, die so nicht existieren, gestalten die medizinische Behandlung ganz entscheidend mit. Damit zusammen hängt die Gender Data Gap, grob übersetzt die „Datenlücke nach Geschlecht“, etwa bei längeren Medikamentengaben: „Die Verteilung eines Stoffs im Körper, wenn er über den Magen-Darm-Trakt aufgenommen wird, ist bei Männern und Frauen unterschiedlich. Sie hängt unter anderem von der Fett- und Muskelmasse oder auch vom Hormonhaushalt ab“, so der Heidelberger Pharmakologe Thomas Wieland dazu. Sprich: Dosierungen müssten angepasst werden, es fehlen aber die genauen Daten dafür.
Alexa, Siri und Co.
Auch KI, die eigentlich als selbstständig agierende Software ohne menschliche Kontrolle konzipiert ist, ist nicht genderneutral. Überhaupt können Maschinen, die von Menschen erdacht und gebaut worden sind, das kaum leisten. Schließlich spiegeln sie die gängigen Stereotype von Männern und Frauen wider. Man denke nur an Alexa, Siri und Co. „Gehorsame und gefällige Maschinen, die sich als Frauen ausgeben, betreten unsere Häuser, Autos und Büros. Ihre festverdrahtete Unterwürfigkeit beeinflusst, wie Menschen mit weiblichen Stimmen sprechen und wie Frauen auf Anfragen reagieren und sich ausdrücken. Um den Kurs zu ändern, müssen wir viel mehr darauf achten, wie, wann und ob KI-Technologien geschlechtsspezifisch sind und wer sie geschlechtsspezifisch darstellt“, wie Unesco Direktorin für Gleichstellung Saniye Gülser Corat das im Unesco-Report 2019 pointiert formuliert hat.
Der Sammelband rund um Frauen(gesundheit) und Digitalisierung beschäftigt sich zudem mit Themen wie digitaler Kompetenz in der Medizin und was sie ausmacht, dem vielfach weiblichen Pflegealltag in Zeiten wachsender Digitalisierung oder dem Frauenbild in sozialen Medien.
Gerade in der Pflege tut sich bezüglich technischer Entwicklung und Digitalisierung sehr viel, wobei das wohl vielen von uns als Unvereinbarkeit erscheint, eine automatisierte Pflege. Sieht man sich das weite Feld aber etwa genauer an, scheinen die Details durchaus sinnvoll und entlastend für das Personal: „Es gibt die unterschiedlichsten Arten von Pflegerobotern: automatisierte Betten, die beim Aufstehen helfen sollen, automatisierte Löffel, die bei der Nahrungsaufnahme unterstützen sollen, intelligente Rollstühle, ja sogar an intelligenten Toiletten und Duschen wird geforscht“, erzählt die Wissenschaftlerinnen Astrid Weiss und Manuela Plößnig in ihrer Keynote.
Was digitale Kompetenz in medizinischen Belangen betrifft, sei es die Nutzung von Websites mit medizinischen Inhalten, Medizin-Apps oder auch telemedizinische Behandlungen, ist ein klares Muster zu erkennen: Die Zugänge werden vielfältiger und damit auch unübersichtlicher. Die health literacy, also die Fähigkeit, Gesundheitsinformationen zu filtern und zu verstehen, wird dabei naheliegenderweise immer wichtiger. „Tatsächlich gibt es einen belegten Zusammenhang zwischen einer geringen Gesundheitskompetenz, dem Gesundheitsverhalten, der Nutzung gesundheitsbezogener Dienstleistungen und daraus folgend dem eigenen Gesundheitszustand“, so Veronika Strotbaum vom Bochumer Zentrum für Telematik und Telemedizin. Spoiler: Das biologische Geschlecht hat damit wenig zu tun, vielmehr sind das Alter und die ökonomische Situation Faktoren, ob jemand eine gute health literacy ausgebildet hat oder nicht.
Ein wichtiger Teil des Sammelbandes ist außerdem die Darstellung von Frauen und Mädchen im Social-Media-Universum. „Die Darstellungen von Genderrollen in den erfolgreichsten Social-Media-Kanälen basieren zudem auf veraltet anmutenden Stereotypen: Frauen zeigen sich überwiegend im privaten Raum und behandeln vorwiegend Themen wie Beauty, Ernährung und Hobbys. Im Vergleich dazu zeigen Männer deutlich mehr unterschiedliche Themen wie Unterhaltung, Musik, Games und Politik. (...) Auch auf Instagram sind insbesondere die Frauen erfolgreich, die einem normierten Schönheitsideal entsprechen. Sie sind dünn, langhaarig und beschäftigen sich hauptsächlich mit den Themen Mode, Ernährung und Beauty. Weibliche Selbstinszenierung findet hier nur in einem sehr begrenzten Korridor statt“, erklärt Magdalena Mangl vom Verein Wiener Jugendzentren. Vor allem auf die psychische Gesundheit hätte das Auswirkungen, die stärksten negativen Auswirkungen seien etwa Angstzustände, Depressionen, Schlafstörungen oder Körperwahrnehmungsstörungen, so Mangl dazu.
Sammelband
Kongress #Frauengesundheit 4.0