Einer der sich mit dem Thema Schmerz gut auskennt und der sich für den seit April 2022 monatlich stattfindenden „Schmerzbefreiten Mittwoch“ des Fortbildungsreferats der Ärztekammer für Wien verantwortlich zeichnet, ist der Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin Dr. Ekkehard Schweitzer, der weiß: „Es gibt keine dankbareren Patient:innen als die, die sie von Schmerzen befreien.“
Und der Leiter der Interdisziplinären Schmerzambulanz im Krankenhaus Hietzing leitet den Beginn der Vortragsreihe, die online von mehr als 300 interessierten Ärzt:innen verfolgt wurde, mit einem ungewöhnlichen Appell ein. Denn nicht nur brauche es in der Schmerztherapie ein breites Wissen über die Wirksamkeit von Substanzen, deren therapeutische Anwendung und mögliche Nebenwirkungen, darüber hinaus sei eines besonders wichtig: „Der behandelnde Arzt und die behandelnde Ärztin, denn Sie sind das Placebo! Nützen Sie das aus, vermitteln Sie Zuversicht, erklären Sie die Wirksamkeit des Verfahrens, klären Sie genau darüber auf wie schnell die Wirkung eintreten wird und wie lange das Medikament wirksam ist.“ In der täglichen Arbeit in der Schmerzambulanz bedeute das, „nicht schwerpunktmäßig über Nebenwirkungen aufzuklären, Schwerpunkt sollte sein: Was kann helfen, und wie gut kann es helfen“, beschreibt Schweitzer seine Erfahrungen aus der Praxis.
Schnellere Schmerztherapie mit Placebo-Effekt
Wie effektiv der Placebo-Effekt in der Schmerztherapie ist, beweisen auch Studien des führenden Placebo-Forschers Dr. Fabrizio Benedetti, einem Schmerzforscher aus Turin, der in mehreren Settings herausgefunden hat, dass der Placebo-Effekt bei Schmerz über Endorphine läuft. Studien von Benedetti haben bewiesen, dass die Wirkung von Placebo-Medikamenten umso stärker greift, wenn bei den Testpersonen eine diesbezügliche Erwartungshaltung geweckt wurde. Die Hoffnung auf Heilung führt zu einer Ausschüttung von Endorphinen, diese binden an Rezeptoren im schmerzleitenden System, was dazu führt, dass dessen Aktivität gesenkt wird und die Schmerzwahrnehmung im Gehirn unterdrückt wird.
In einer aktuellen Studie einer Forschungsgruppe rund um Schmerzforscher Benedetti, die 2021 im European Journal of Pain publiziert wurde, wurde aufgezeigt, dass mittels verbaler Suggestion selbst der Zeitpunkt der eintretenden Wirksamkeit von Medikamenten beeinflusst werden kann. Im Setting der Studiengruppe mussten die Probanden ihre Hand in sieben Grad kaltes Wasser halten, bevor sie eine Placebo-Creme bekamen, die helfen solle die Kälte besser auszuhalten. Einer Gruppe sagte man, die Creme beginne bereits nach fünf Minuten zu wirken, der zweiten Gruppe wurde von den Studienleitern eine Wirksamkeit erst nach 30 Minuten suggeriert. „Was hat man beobachtet? Die Probanden, denen man gesagt hatte, die Creme wirke nach 5 Minuten, hatten ihre Toleranzzeit nach zehn Minuten um die Hälfte erhöht, auch nach 35 Minuten hatte die Creme eine gewisse Wirkung. Auf der anderen Seite hatte die Gruppe, der man gesagt hatte, die Creme wirke nach 30 Minuten, nach 10 Minuten noch keinen Effekt. Deshalb klären Sie Ihre Patient:innen über den Zeitfaktor auf“, fasst Schweitzer die Studienergebnisse zusammen, die zeigen wie entscheidend die Aufklärung über Wirksamkeit und Wirkdauer seitens der behandelnden Ärzt:innen ist.
Vom Katastrophisieren in die Chronifizierung
Das Erleben des Schmerzes ist ein komplexes Konstrukt, wie Schmerz wahrgenommen wird und welches Schmerzverhalten daraus resultiert, ist abhängig von vielen Variablen: Schlechte Vorerfahrungen, ein Gefühl der Hilflosigkeit, Ängste, Depressionen sowie eine mangelnde soziale Unterstützung machen die Betroffenen vulnerabler und können sogar eine Chronifizierung fördern. Förderlich dafür ist außerdem die Neigung zum „Katastrophisieren“, eine Eigenschaft wo man, „weil man so gestrickt ist, immer das Schlimmste annehmen muss. Beispielsweise wenn die Wasserleitung bricht und Sie Angst haben das ganze Haus kracht zusammen“, umschreibt Schweitzer mit einem Augenzwinkern.
Das zeigt auch eine oft zitierte Studie zur Chronifizierung akuter Bandscheibenvorfälle anschaulich, bei der Patient:innen einer neurochirurgischen Ambulanz nach einem Bandscheibenvorfall mit positiver Einstellung zu nur sieben Prozent chronische Schmerzen entwickelten, während das Chronifizierungsrisiko bei Patient:innen, die zum Katastrophisieren neigten, bei 69 Prozent lag. „Damit ist das Risiko zehn Mal so hoch und daher gilt auch für alle behandelnden Ärzt:innen: Klären Sie nicht katastrophisierend auf“, warnt Schweitzer die zahlreichen Zuhörer seines Vortrags.
„Schmerz chronisch genervt“
Das Katastrophisieren als wichtigen Faktor nicht nur bei akuten sondern vor allem bei chronischen Schmerzen, unterstreicht auch Wilhelm Kantner-Rumplmair, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie und Leiter der Psychosomatischen Schmerzambulanz in Innsbruck: „Die Menschen haben ihre Glaubenssysteme und tiefsitzenden, tradierten Überzeugungen. Auch bei Schmerzpatient:innen gibt es Veränderungsängste und das oft schwierige ist, sie zur positiven Erfahrung hinzuführen. Denn eigentlich muss man sie so hinführen, dass sie selber daraufkommen.“
Wie genau dieses Hinführen funktionieren kann, erklärt Kantner-Rumplmair in seinem Vortrag „Schmerz chronisch genervt“, in dem er sich der Behandlung chronischer und chronisch-rezidivierender Schmerzen widmet. „Insgesamt wollen wir mit unseren Vortragenden alle Facetten der Schmerztherapie abdecken“, gibt Organisator Schweitzer einen Ausblick auf die kommenden Fortbildungen im Rahmen des „Schmerzbefreiten Mittwochs“.
Der nächste „Schmerzbefreite Mittwoch“ findet am Mittwoch, 14. September 2022, zum Thema „Stechend, Brennend, Elektrisierend: Die Behandlung peripherer neuropathischer Schmerzen“ mit OÄ Dr. in Gabriele Graggober statt.
Weitere Infos zu den Veranstaltungen und den Link zur Anmeldung der Webinare finden Sie hier.
Das Programm für alle „Schmerzbefreiten Mittwoche“ finden Sie hier
OA Dr. med. univ. Ekkehard Schweitzer, DEAA hielt im Rahmen des „Schmerzbefreiten Mittwochs“ einen Vortrag zum Thema „Das Richtige, aber schnell: Umgang mit akuten Schmerzen“. Das Webinar ist im Archiv der Ärztekammer für Wien für alle Ärzt:innen frei zugänglich und kann online nachgesehen werden.