Als österreichisch-mährischer Bauernsohn geboren, zum Augustiner-Abt in Brünn geworden und zu Lebzeiten als Forscher verkannt: Gregor Mendel wäre heute 200 Jahre alt geworden und beeinflusst noch heute die Medizin. Ohne ihn wäre die Genetik, ein Schlüssel zum Verständnis vieler Krankheiten, eine andere.
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Sein Name ist untrennbar mit der Erbse, dieser eher unscheinbaren Hülsenfrucht, verbunden: 1856, da war er 34 Jahre alt, begann Gregor Mendel im Klostergarten seiner Abtei systematische Kreuzungsversuche mit der Gartenerbsen (Pisum sativum). Warum es ausgerechnet die Erbse und nicht eine andere Pflanze wurde, lässt die Fachwelt bis heute rätseln.
Ein neuer Bericht in der Fachzeitschrift „Nature Genetics“ deutet darauf hin, dass Mendel eigentlich einen Schädling, den Gemeinen Erbsenkäfer, im Sinn hatte, als er mit seinen Forschungen begann. Wollte er Erbsen züchten, denen dieser Schädling nichts anhaben konnte? Das Autorenteam um den niederländischen Pflanzenforscher Peter van Dijk sieht diese Spur als realistisch: Mendels Forschung könnte also aus einem ganz praktisch veranlagten Zuchtprogramm entstanden sein.
Gescheitert in Wien
Es könnte aber auch einen noch einfacheren Grund geben: „Mendel hatte über 30 verschiedene Sorten gesammelt, die zum Beispiel rot oder weiß blühten, hochwüchsig waren oder kurze, runde oder runzelige Samen enthielten oder sich in der Form der Hülse unterschieden“, erklärte der Biologe Johann Vollmann von der Wiener Universität für Bodenkultur kürzlich in einem ORF-Interview. Diese Merkmalsunterschiede waren für Mendel wichtig, um das zu untersuchen, was er wollte, „nämlich die Informationsübertragung der biologischen Information – für rot oder weiß – von einer Generation auf die nächste“, so Vollmann. Deswegen vielleicht die Erbse? Mendel forschte später allerdings auch an anderen Pflanzen. Auch Bienen wurden von ihm, dem begeisterten Imker, untersucht.
Aber von vorne. Geboren wurde Gregor Mendel als Bauernsohn namens Johann (Jan) in eher ärmlichen Verhältnissen im heute tschechischen Heinzendorf (Hynčice). Schon in jungen Jahren verdingte er sich als Privatlehrer, um seine Ausbildung bezahlen zu können. Sein Versuch, Philosophie zu studieren, scheiterte trotzdem am Geldmangel und „bitteren Nahrungssorgen“. Die Alternative war der Eintritt in das Augustinerkloster in Brünn, wo er zum Priester geweiht wurde und seinen Ordensnamen Gregorius verliehen bekam. Da war Mendel ein junger Mann von 21 Jahren.
Neben seinem Theologiestudium besuchte der naturwissenschaftlich sehr interessierte Mendel Vorlesungen über die Obstbaum-Zucht. Er lernte, wie man Samen vermehrt, zudem standen Kreuzungstechniken und Ausleseverfahren am Lehrplan. Da er Physik und Naturgeschichte unterrichten wollte, trat Gregor Mendel 1859 zur Lehramtsprüfung in Wien an. Er schaffte die Prüfung allerdings nicht und studierte an der Uni Wien Physik, Chemie, Mathematik und Biologie, um für einen zweiten Versuch besser gewappnet zu sein. Mendel lebte damals im dritten Wiener Gemeindebezirk an der heutigen Adresse „Invalidenstraße 13". Beim Physiker Christian Doppler lernte er viel über die qualitative Auswertung von Experimenten. Was ihm zwar bei seinen Kreuzungsexperimenten nützte, aber nicht für die Lehramtsprüfung, bei der er erneut durchfiel. Zu diesem Zeitpunkt kultivierte er schon Erbsenpflanzen, um herauszufinden, wie sich deren Nachkommenschaft entwickelte.
Kostenintensive Sexualität
Apropos Nachkommen: Der Biologe Nicholas Barton vom ISTA (Institute of Science and Technology) untersuchte, wie die natürliche Selektion am Wirkungsvollsten funktioniert. Der Artikel erschien kürzlich im Wissenschaftsjournal „PNAS“.
Die Forscher kamen dahinter, dass sexuelle Vermehrung und mendelsche Vererbung die natürliche Auslese (Selektion) sogar unterstützen, indem sie etwa günstige Genvarianten in den Kindern zusammenbringen und zerstörerische Mutationen eliminieren.
Das ist vor allem für „höhere Organismen“ (Eukaryoten) mit teils langer Generationszeit wichtig, meint Barton. Sie nehmen dafür die „Kosten der Sexualität“ in Kauf, dass zum Beispiel auf komplizierte Art Ei- und Samenzellen gebildet werden und Sexualpartner gefunden werden müssen. Bakterien mit ihren immensen Populationszahlen und extrem raschen Generationswechseln könnten darauf verzichten. Doch komplex aufgebaute Eukaryoten würden sich gegenüber den weit zahlreicheren und sich rapide vermehrenden Konkurrenten „bemerkenswerterweise“ durch die sexuelle Reproduktion behaupten, erklärte der Forscher.
Dafür bräuchte es eine große genetische Variabilität, die in den Eltern schlummert und möglichst breit an die Kinder weitergegeben wird. Die wichtigsten Eigenschaften werden durch „eine extrem große Anzahl genetischer Positionen bestimmt“, so Barton. Demnach würde auch die Selektion von vielen solcher Positionen beeinflusst.
Die mendelsche Vererbung begünstigt die natürliche Auslese demnach am effektivsten, wenn sie mittels vieler geringfügiger Varianten agiert, so Barton: „Die Selektion fungiert demnach paradoxerweise genau in solchen Fällen besonders effektiv, die kaum für Untersuchungen erfassbar sind.“ Denn dazu bräuchte es riesige Datenmengen. Der Zugang, den Mendel ja schon vor 150 Jahren hatte: Das Sammeln von Informationen.
Sieben Jahre mit dem Tuschepinsel
„Mendel sah ein Muster in den natürlichen Vorgängen", erklärt auch Magnus Nordborg, der das Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaft (ÖAW) leitet. „Mit seinen Experimenten versuchte er zu verstehen, wie die Welt funktioniert. Das ist Wissenschaft im ursprünglichsten Sinn, und die Art, wie sie betrieben werden sollte, weil es nur so zu den wirklichen Durchbrüchen kommt."
Für seine Untersuchungen verwendete Mendel reinerbiges Saatgut, bei dem er mehr als zwei Jahre lang prüfte, ob die Nachkommen noch die gleichen Merkmale wie die Eltern tragen. Um die Erbsen zu bestäuben, nahm er aus einer Blüte mit einem Tuschepinsel Pollen und übertrug sie auf die Narbe einer noch ungeöffneten Blüte einer anderen Pflanze. Dann entfernte er deren Staubblätter, um Selbstbefruchtung auszuschließen.
Er arbeitete mit 22 Sorten und sieben gut unterscheidbaren Merkmalen wie die Farbe der Schoten. Damit wurde für ihn das Vererbungsgeschehen überschaubar. Zwischen 1856 und 1863 kultivierte er 28.000 Erbsenpflanzen und wertete seine Ergebnisse statistisch aus. 1866 veröffentlichte er seine Erkenntnisse mitsamt ausführlicher Versuchsbeschreibungen und -Auswertungen im knapp 50 Seiten starken Büchlein: „Versuche über Pflanzenhybriden".
Genotyp und Phänotyp
Mendels berühmte Vererbungsregeln haben wir wohl alle einmal im Biologieunterricht gehört: Die „Uniformitätsregel" besagt, dass die Nachkommen zweier reinerbiger Eltern bezüglich eines Merkmals alle das gleiche Erbgut tragen und gleich aussehen, auch wenn sich die Eltern bei diesem Merkmal unterscheiden.
Die „Spaltungsregel" tritt in Kraft, wenn beide Eltern jeweils unterschiedliche Genvarianten für ein Merkmal tragen. Bei diesen mischerbigen Individuen spalten sich die Nachkommen bezüglich des Erbguts (Genotyp) und der Ausprägung (Phänotyp) nach einem bestimmten Zahlenverhältnis auf.
Mendels „Unabhängigkeitsregel" besagt, dass zwei unterschiedliche Merkmale wie die Blüten- und Fruchtfarbe unabhängig voneinander vererbt werden. Dazu müssen sie aber auf zwei unterschiedlichen Erbgutträgern liegen, oder zumindest so weit voneinander entfernt, dass sie während der Entstehung der Geschlechtszellen regelmäßig getrennt werden.
„Meine Zeit wird kommen“
Mendels Pionierleistung war der Denksprung in die kleinsten Teile bei der Vererbung, denn was Chromosome oder Gene sind, war damals ja völlig unbekannt. Er sprach von „teilchenartigen Elementen“, die auf die Nachkommen übertragen werden. „Bis die chromosomale Vererbung gefunden wurde, mussten noch 50 Jahre vergehen, und noch weitere 50 Jahre, bis man die DNA identifizierte“, so Nordborg. Diese Entdeckungen bestätigten Mendels Idee schließlich. „Sein grundlegendes Prinzip ist unglaublich universell“, erläutert Nordborg. Alles was seitdem folgte, seien lediglich Ergänzungen.
1867 wurde Gregor Mendel zum Abt des Stiftes St. Thomas in Brünn gewählt. Er setzte aber seine „so lieb gewordenen Bastardisierungsversuche fort“, wie er erklärte. Dass er noch zu Lebzeiten eher mit der Ignoranz der Wissenschaftswelt zu kämpfen hatte, irritierte ihn nicht besonders. „Meine Zeit wird noch kommen“, soll er gesagt haben. Diese Vorhersage stimmte bekanntlich, erlebt hat er seinen Ruhm allerdings nicht mehr. Im Frühjahr 1883 erkrankte Mendel an einem Nierenleiden, am 6. Jänner 1884 verstarb er in Brünn. So wie er es selbst gewünscht hatte, wurde seine Leiche seziert. Bestattet sind seine sterblichen Überreste in der Augustiner Gruft am Brünner Zentralfriedhof.