Frauen gehen früher zur Gesundheitsvorsorge als Männer und leben auch dadurch rund sieben Jahre länger. Im Interview skizziert der Urologe Bob Djavan, u.a. Leiter des Kompetenzzentrums Urologie im Rudolfinerhaus, die Gründe dafür, warum Männer beim Thema Vorsorge weniger aktiv sind, wie man Awareness schaffen kann und wohin sich Therapie und Diagnostik in Sachen Prostata hin entwickelt haben.
Medinlive: Gerade ist der November zu Ende gegangen, fast schon traditionell der Monat der „Männergesundheit“. Auch medial wird das Thema groß bespielt, Stichwort Movember. Was umfasst dieser Bereich für Sie?
Djavan: Der Begriff „Männergesundheit“ ist in letzter Zeit oft thematisiert worden, gerade auch durch die Erfolge bei Brustkrebs und Krebserkrankungen ganz allgemein auf Seiten der Frauen. Dort ist das Terrain bereits sehr aktiv medial aufbereitet worden und wir haben gesehen, mit welcher Effizienz hier Awareness geschaffen worden ist. Man konnte in der Bevölkerung einen Refrain, eine Antwort erzeugen und somit ein erhöhtes Bewusstsein für Erkrankungen jeglicher Couleur, vor allem Krebs, schaffen. Es geht schlicht darum, die Menschen dazu zu bewegen, proaktiv etwas für ihre Gesundheit und Lebensqualität zu tun. Bei den Frauen hat das wie gesagt gut funktioniert, nun wollen wir das bei den Männern auch erreichen. Dabei geht es aber nicht nur um bösartige Erkrankungen wie Krebs, sondern auch um kardiovaskuläre oder metabolische Erkrankungen. Wir sind in der Medizin mittlerweile so weit, dass wir Probleme schneller, besser und auch kostengünstiger lösen können, wenn wir sie rechtzeitig erkennen. Und das ist der wesentliche Punkt bei dem Thema „Männergesundheit“.
Medinlive: Wie könnte diese Bewusstseinsbildung aussehen?
Djavan: Es geht um die Zusammenarbeit vieler verschiedener Player im Gesundheitsbereich, um die Zusammenarbeit mit der Ärztekammer, den Universitäten, Spitälern und vor allem dem niedergelassenen Bereich. Diese Ärzte haben den direkten Draht zur Bevölkerung. Wenn wir es schaffen, die Thematik alltäglich werden zu lassen, dann kann sie nicht mehr einfach verdrängt werden. Und Männer verdrängen das Thema Vorsorge gerne. Die meisten Männer gehen nur zum Arzt, wenn es sich gar nicht mehr vermeiden lässt, sonst nicht. Hier muss man unbedingt ansetzen. Bei den Frauen gab es eine deutliche Verbesserung der Mortalität sowie der Komplikationen bei Krebs zu beobachten, es geht ja nicht nur um die Überlebensrate, sondern auch um Lebensqualität. Etwa um die Verhinderung von Metastasen, wenn sich ein Tumor doch nicht vermeiden lässt. Das funktioniert aber nur dann, wenn ich mich rechtzeitig kümmere. Beim Mann ist es essentiell zu schauen, dass er wie gesagt bald genug zum Arzt geht. Vor allem vor dem Hintergrund, dass urologische Karzinome ja sehr heimtückisch sein können. Das Gleiche, die rechtzeitige Vorsorge, gilt aber auch für erwähnte kardiovaskuläre Erkrankungen. Niemand hat zum Beispiel einen Herzinfarkt aus dem Stegreif. Es gibt Signale wie Verkalkungen, Stressfaktoren oder genetische Vorbelastungen. Das Thema „Männergesundheit“ auf die Urologie zu beschränken ist also falsch, es umfasst viel mehr. Wenn der Mann sich daher eine umfassende Untersuchung einmal im Jahr vorstellen kann, ohne groß darüber nachzudenken, weil das einfach zum Rundumpaket dazugehört, wie bei den Frauen der Gynäkologenbesuch ganz selbstverständlich dazugehört, dann wäre viel geschafft. Dann haben wir gewonnen.
Medinlive: Welche großen Baustellen sind gesundheitlich aktuell bei den Männern zu beobachten?
Djavan: In der westlichen Welt kann man davon ausgehen, dass Frauen rund sieben Jahre länger leben. Was sich auch darauf zurückführen lässt, dass Frauen eben früher zur Vorsorge gehen und Probleme daher früher erkannt werden. Männer könnten, würden sie ähnlich agieren, viele Lebensjahre dazubekommen! Ganz zu schweigen von der Lebensqualität. Es mag sein, dass man in der Früherkennung übermäßig viele Dinge sieht, die noch nicht per se gefährlich sind, Stichwort Prostatakarzinom: Da ist nur ein sehr geringer Prozentsatz gefährlich und mit der Mehrheit der Tumore kann man gut leben. Konkret hat sich aber die Diagnostik sehr verbessert und es lässt sich viel präziser feststellen, ob ein Tumor eben gefährlich ist oder nicht.
Medinlive: Wie sieht denn derzeit der Goldstandard in Sachen Prostata aus?
Djavan: Der hat sich sehr verändert. War früher die Fingeruntersuchung und der PSA-Wert das Nonplusultra, hat die Fingeruntersuchung mittlerweile an Wertigkeit verloren. Sie wird einmal gemacht, anfangs, aber sie steht nicht mehr im Mittelpunkt. Warum? Weil unter anderem der PSA verfeinert wurde und andere Tumormarker verwendet werden. Ein bisschen ist das vergleichbar mit dem Cholesterin, da kann man auch Triglyzeride, HDL und ähnliches zusätzlich bestimmen. Beim PSA gibt es zum Beispiel den P2PSA Wert oder den Prostata Health Index (PHI), einen Mischmarker. Was sich auch radikal geändert hat, ist die Wertigkeit des Risikoprofils. Früher hiess es, wenn der PSA über 4 liegt, ist das automatisch schlecht und karzinomverdächtig. Dieser Zugang ist passé. Nun werden Faktoren wie Ernährung, Lebensumstände und Ethnizität ebenfalls bewertet, die die Absolutheit des Tumormarkers relativieren.
Parallel dazu hat sich die Bildgebung revolutioniert. Bis vor fünf Jahren gab es praktisch nur eine Blinduntersuchung. Das Prostatakarzinom war übrigens einer der letzten soliden Tumore beim Mann, wo die Bildgebung lange keine Rolle gespielt hat. Man kann hier mittlerweile mittels multiparametrischem MRT untersuchen, ob ein Prostatakarzinom vorliegt oder nicht und ob der Tumor aggressiv ist. Denn das war und ist natürlich eines unserer Dilemmata: Wenn wir bei unseren Patienten Tumore finden, die eigentlich gar keine Probleme machen und wo nur 10-15 Prozent gefährlich sind, dann haben wir eine Menge sinnlose Operationen mit allen Nebenwirkungen und sind in der Übertherapie gelandet. Die in der Urologie durchaus ein großes Thema ist. Natürlich lebt der Patient garantiert länger, wenn ich das betroffene Organ entferne, aber er wäre vielleicht durch eine konservative Therapie genauso gut davongekommen. Mit dem MRT, den verfeinerten Tumormarkern und dem angepassten Risikoprofil haben wir aber immer mehr und bessere Methoden in der Hand, um besagter Übertherapie entgegenzuwirken.
Medinlive: Stichwort Gender: Inwiefern reagieren Männer anders auf Diagnosen, wie unterscheidet sich die Compliance bei Frauen und Männern und wie agieren sie in der Therapie?
Djavan: Vereinfacht gesagt, haben Männer immer noch das kulturell geprägte, patriarchale Selbstbild verinnerlicht, dass da heißt: Ein Mann darf nicht arm, krank oder schwach sein. Er darf zumindest keine Schwäche zeigen. Sich krank und ausgeliefert zu fühlen ist gegen das männliche Naturell, selbstverständlich gibt es Ausnahmen, aber unsere Kultur zeichnet da ein bestimmtes Männerbild vor. Noch immer, trotz aller Fortschritte in Sachen Gleichberechtigung. Dementsprechend sind die Themen Vorsorge und die Einsicht, dass man zum Arzt muss, für Männer oft weniger leicht zu bewältigen als für Frauen. Deswegen glaube ich, dass man gute Vorbilder braucht, Männer, die sagen ich bin stark, cool und ein Kämpfer und genau deshalb gehe ich zur Vorsorge. Die Rolle der Medien ist hier eminent wichtig.
Denn wir müssen das Thema Vorsorge als starkes Statement kommunizieren, nicht als sanfte Empfehlung. Männer müssen zum Arzt gehen, sonst sterben sie früher. Ganz simpel. Und die wissenschaftliche Erkenntnis, dass es wenig Sinn macht, erst zwischen 50 und 55 zur Untersuchung zu gehen, die muss auch verankert werden. Vorsorge sollte nämlich im Idealfall schon zwischen 40 und 45 passieren. Da lässt sich schon ein Risikoprofil erkennen und man kann die darauffolgenden Untersuchungsintervalle natürlich daran anpassen.
Medinlive: Wie lautet Ihr Fazit?
Djavan: Letztendlich hat sich die Einstellung der Ärzte geändert und die Strategie, wie wir den Problemen, die durch Früherkennung entstehen, begegnen, Stichwort Übertherapie. Es wird nicht mehr radikal operiert, denn hier war die Angst der Männer sehr verständlich. Das kranke Organ automatisch zu entfernen ist aber nicht mehr state of the art. Die active surveillance hat sich etabliert, also die aktive Beobachtung. Wir haben gelernt, dass man Tumore durchaus beobachten kann, ohne gleich operieren zu müssen und dass es Tumore gibt, mit denen man gut alt werden kann. Außerdem sind die OP-Methoden verändert worden und Chemotherapien sind weniger aggressiv als früher. Auch die Immuntherapie ist ein großer Schritt vorwärts gewesen. Der Kernpunkt ist aber die personalisierte Medizin, die Verfeinerung der Tumormarker und eine gute bildgebende Diagnostik. Das ist die Zukunft. Wenn man das mit der Kulinarik vergleichen will, dann geht es darum, nicht mehr vorab Salz auf das ganze Essen zu streuen, sondern bei jedem Gast zu schauen, mit ihm gemeinsam, ob er noch etwas Salz braucht und möchte. Und sobald die Patienten diesen Zugang merken, sind sie auch deutlich entspannter, was schlussendlich dem Behandlungserfolg zu Gute kommt.
Medinlive: Ich bedanke mich sehr herzlich für das Gespräch!