Das Hauptziel der internationalen Studie war es, neue Erkenntnisse über Beethovens Gesundheitsprobleme zu erlangen. Dazu zählte ein fortschreitender Hörverlust, der bei dem Schöpfer von epochalen Werken der Wiener Klassik - unter anderem seine neun Symphonien, die Oper „Fidelio“ und fünf Klavierkonzerte - bereits im Alter von etwa 25 bis 29 Jahren einsetzte und schließlich dazu führte, dass der Komponist im Jahr 1818 de facto taub war. Das Team unter dem Erstautor Tristan Begg von der Universität Cambridge untersuchte aber auch mögliche genetische Ursachen für Beethovens chronische Magen-Darm-Beschwerden und eine schwere Lebererkrankung, die 1827 zu seinem Tod führte.
„Die von der Universität Cambridge, dem Beethoven Center San Jose (Kalifornien; Anm.) und der American Beethoven Society, der Katholischen Universität Leuven (Niederlande), dem Unternehmen FamilyTreeDNA, dem Universitätsklinikum Bonn und der Universität Bonn, dem Beethoven-Haus Bonn und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (Leipzig) geleitete Studie bringt neue Erkenntnisse über die Krankheiten des Komponisten zu Tage und wirft Fragen über seine jüngste Abstammung und Todesursache auf“, schrieb die Universitätsklinik Bonn zu der wissenschaftlichen Veröffentlichung in „Current Biology“.
Die Wissenschafter analysierten die Erbsubstanz von acht Haarsträhnen, die Beethoven zugeschrieben worden waren. Dabei wurde der Ursprung von fünf Haarproben gesichert. Die Ergebnisse zeigen, dass die DNA von fünf Haarsträhnen - die alle aus den letzten sieben Lebensjahren Beethovens stammen - einer einzigen Person zugeordnet werden können. „Die genetischen Daten dieser Person weisen auf eine Herkunft hin, die mit der historisch gut erforschten Herkunft Beethovens übereinstimmt. Auf dieser Grundlage kommen die Forschenden zu dem Schluss, dass diese fünf Locken 'mit ziemlicher Sicherheit authentisch' sind“, schrieben die Wissenschafter.
Gesamtes Genom in einer Locke
Die fünf Proben gehören dem Ira F. Brilliant Center for Beethoven Studies in San Jose, Kalifornien, einem privaten Sammler, dem Mitglied der American Beethoven Society, Kevin Brown, und dem Beethoven-Haus in Bonn. Beethoven übergab eine der Locken (jetzt in Browns Sammlung) im April 1826 an den Pianisten Anton Halm mit den Worten „Das ist mein Haar!“. Beethovens gesamtes Genom wurde anhand einer weiteren Probe aus Browns Sammlung, der sogenannten „Stumpff-Locke“, sequenziert, die sich als am besten erhalten erwies. Das Team fand zwischen der aus der „Stumpff“-Locke extrahierten DNA und Menschen, die im heutigen Nordrhein-Westfalen leben, die stärkste Verbindung, was auch mit Beethovens bekannter Herkunft seiner Vorfahren übereinstimmt.
Schon in seiner Heimatstadt Bonn bis zur Übersiedlung nach Wien um 1792 litt der Komponist, wie er vermerkte, unter „elenden“ Magen-Darm-Beschwerden, die sich in Wien fortsetzten und verschlimmerten. Im Sommer 1821 bekam Beethoven zum ersten Mal eine Gelbsucht, an der er mindestens ein weiteres Mal in seinem Leben erkrankte. Leberzirrhose gilt seit langem als die wahrscheinlichste Ursache für seinen Tod im Alter von 56 Jahren.
Die Hauptergebnisse der umfangreichen genetischen Untersuchungen: Das Wissenschafterteam konnte keine genetische Ursache für Beethovens Taubheit oder seine Magen-Darm-Probleme feststellen. Gluten- oder Laktoseintoleranz konnte ausgeschlossen werden, ebenso ein Reizdarmsyndrom. Bei der Schwerhörigkeit stellt sich allerdings die Frage, ob die aktuelle Wissenschaft genetische Befunde bereits ausreichend gut interpretieren kann, um ein solches Risiko zweifelsfrei zu bestätigen oder zu verneinen. Axel Schmidt vom Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn: „Obwohl keine eindeutige genetische Ursache für Beethovens Schwerhörigkeit identifiziert werden konnte, kann man eine solche auch nicht völlig ausschließen. Die Referenzdaten, die für die Interpretation individueller Genome notwendig sind, werden stetig besser. Es ist daher möglich, dass Beethovens Genom in Zukunft Hinweise auf den Ursprung seiner Schwerhörigkeit liefern wird.“
Ganz anders scheint das für Beethovens Leberleiden zu sein. Hier wurde durch die DNA-Sequenzierung ein erbliches Risiko für Lebererkrankungen in den sogenannten PNPLA3- und HFE-Genen erkannt. Erstautor Begg von der Universität Cambridge, bezieht in seinen Schlussfolgerungen auch auf die schriftliche Unterlagen des Komponisten: „Beethovens 'Konversationshefte', die er im letzten Jahrzehnt seines Lebens benutzte, legen die Vermutung nahe, dass er sehr regelmäßig Alkohol konsumierte. Die genauen Mengen einzuschätzen, bleibt aber schwierig. Auch wenn die meisten seiner Zeitgenossen behaupten, sein Alkoholkonsum sei für Wiener Verhältnisse des frühen 19. Jahrhunderts mäßig gewesen, gibt es auch Quellen, in denen sich andere Aussagen dazu finden. Unserer Einschätzung nach dürfte es sich immer noch um Alkoholmengen gehandelt haben, von denen man heute weiß, dass sie für die Leber schädlich sind. Wenn Beethovens Alkoholkonsum über einen ausreichend langen Zeitraum hoch genug war, stellt die Wechselwirkung mit seinen genetischen Risikofaktoren eine mögliche Erklärung für seine Leberzirrhose dar.“
Erbliches Risiko für Leberzirrhose und Infektion mit Hepatitis-B-Virus
Hinzu kam der Befund, dass Beethovens Haar-DNA-Einlagerungen des Genoms Hepatitis-B-Viren enthält - das Zeichen einer überstandenen akuten oder gar einer chronischen Virus-Leberentzündung. „Wir können nicht mit Sicherheit sagen, woran Beethoven gestorben ist, aber wir können jetzt zumindest das Vorhandensein eines erheblichen erblichen Risikos für eine Leberzirrhose und eine Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus belegen“, sagte Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
„In Anbetracht der bekannten Krankengeschichte ist es sehr wahrscheinlich, dass im Zusammenspiel genetische Veranlagung, Hepatitis-B-Infektion und Alkoholkonsum zu Beethovens Tod geführt haben. Künftig muss noch erforscht werden, in welchem genauen Umfang jeder einzelne Faktor beteiligt war“, fügte Begg hinzu.
Von den Wissenschaftern ausgeschlossen wurde hingegen eine chronische Vergiftung, zum Beispiel durch Blei. Eine Probe, die darauf hinweisen könnte, die sogenannte „Hiller“-Locke von Beethoven, die der deutsche Musiker Ferdinand Hiller unmittelbar nach dessen Tod abgeschnitten haben wollte, stammte nämlich überhaupt von einer Frau.
Im Rahmen der Untersuchungen samt genetischen Vergleichen mit lebenden Nachkommen der Familie Beethoven in Belgien stellte sich allerdings auch ein Familiengeheimnis heraus: Irgendwann zwischen 1572 und der Zeugung von Ludwig van Beethoven sieben Generationen später, gab es einen Bruch in der väterlichen Linie - ein Kind aus außerehelicher Beziehung in Beethovens direkter väterlicher Linie.
Studie