Bodenverbrauch: NGO klagt Republik Österreich

Die auf Klimaklagen fokussierte österreichische NGO AllRise hat am Donnerstag wegen des Bodenverbrauchs in Österreich eine Staatshaftungsklage gegen die Republik eingereicht, wie AllRise-Mitgründer und Anwalt Wolfram Proksch bekannt gab. „Wo bleibt der Schutz unserer Böden?“ Diese Frage stellen auch über 175 Wissenschafter:innen in einem Offenen Brief u.a. an Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) und fordern die versprochene „Bodenstrategie für Österreich“.

red

Der Initiator der NGO AllRise, Johannes Wesemann, sprach von einem „systemischen Versagen“, das den Bodenschutz unzulänglich mache und massive Schäden zur Folge hätte. Die Konsequenzen des jahrzehntelangen politischen Fehlversagens hätte der Bürger zu tragen, so Wesemann. „Wir glauben, dass der Kampf gegen die Klimakrise zu einem Gutteil auf den Gerichtshöfen stattfinden wird, weil wir einfach klare Entscheidungen brauchen und die Politik diese nicht liefert.“ Der Bodenverbrauch in Österreich ist hoch. „Ein Fünftel unserer Fläche ist schon verbaut. Das ist die doppelte Größe Vorarlbergs. Und jedes Jahr kommt Eisenstadt dazu.“

Flächen- oder Bodenversiegelung bezeichnet die wasser- und luftdichte Abdeckung des Bodens. Das hat eine Reihe ökologischer Konsequenzen, unter anderen geht produktiver Boden dauerhaft verloren. Etwa 11,3 Hektar an Fläche wird in Österreich täglich verbraucht, rund die Hälfte davon auch versiegelt. Im türkis-grünen Regierungsprogramm ist von einem Zielpfad zur Reduktion des Flächenverbrauchs auf 2,5 Hektar am Tag die Rede, aber gesetzliche Vorgaben fehlen weiterhin. Aufgrund dessen hat AllRise nun die Staatshaftungsklage nicht nur gegen die Republik, sondern auch gegen die Bundesländer Nieder- und Oberösterreich eingereicht. Die NGO geht davon aus, dass der Verfassungsgerichtshof die Klage annimmt.

Belastung für Gesundheit

Die NGO habe von einem Institut errechnen lassen, dass bereits jetzt schon ein Schaden in der Höhe von acht Milliarden Euro jährlich auf Österreich zukommen wird aufgrund von Anpassungskosten in der Volkswirtschaft, so Wolfram Proksch. „Jeder von uns hat ca. einen Tausender im Mittel pro Jahr schon dazu beizutragen, dass wir keine hinreichenden Klimawandelbekämpfungsmaßnahmen gesetzt haben.“ Auch 5.000 vorzeitige Todesfälle seien pro Jahr aufgrund der Klimaerwärmung zu beklagen, dazu kommen massive Belastungen der Gesundheit etwa durch Feinstaub.

Kromp-Kolb: Boden wichtig für Klimadiskussion

Meteorologin und Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb unterstützt das Vorhaben: „Unser globales Ökosystem besteht nicht nur aus Luft, das ist eine ganz starke Interaktion zwischen allen Elementen. Da ist der Boden ein ganz wesentlicher Faktor in der Klimadiskussion.“ Und der Boden werde sehr oft übersehen. „Er ist ein Ökosystem. Es leben in diesem Boden unheimlich viele Lebewesen, die wir ganz dringend brauchen für den Erhalt unserer Natur, für das gesamte Ökosystem“, erklärte die Wissenschafterin.

Expert:innen urgieren „Bodenstrategie für Österreich“

In dieselbe Kerbe schlägt er ehemalige BOKU-Rektor, Ökologe und Bodenkundler Martin Gerzabek bei einem Pressegespräch des Wissenschaftsnetzwerkes Diskurs: „Wir schneiden uns unsere Lebensgrundlagen ab. Es muss etwas passieren!“ Konkrete Maßnahmen und eine koordinierte Strategie des Bundes, mit der die Bundesländer stärker in die Pflicht genommen werden und Handlungsdruck von den oft überforderten Bürgermeistern genommen werde, seien überfällig, denn „ich will mir nicht vorstellen, wie Österreich 2050 sonst aussieht“.

175 Wissenschafter:innen forderten in einem Offenen Brief  Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) und die Verantwortlichen der Raumplanungsabteilungen in Wien und Tirol auf, die von der Politik versprochene „Bodenstrategie für Österreich“ umzusetzen. Diese liege seit November in einer finalen Fassung vor, sei aber bisher weder beschlossen noch kommuniziert worden. Dabei dränge die Zeit.

Ziel wird nicht erreicht

Bis 2050 sehen EU-Vorgaben einen Netto-0-Bodenverbrauch vor. Die österreichische Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, in einem ersten Schritt den Bodenverbrauch bis 2030 auf 2,5 ha pro Tag zu senken. „Wir werden das Ziel mit Sicherheit nicht erreichen“, sagte BOKU-Agrarwissenschafter Franz Fehr. Derzeit halte man bei einer Bodeninanspruchnahme von 11,3 ha pro Tag, was zwar eine leichte Reduktion gegenüber den Vorjahren bedeute, aber noch immer zu den höchsten in ganz Europa zähle, hieß es. „Flächenverbrauch und Bodenversiegelung reduzieren“ sei im Österreichischen Raumentwicklungskonzept ÖREK 2030 ein prioritäres Ziel, für dessen Erreichung die Bodenstrategie benötigt werde.

„Jeder Tag ohne einen nationalen 'Fahrplan' bedeutet den Verlust von weiteren wertvollen landwirtschaftlichen und biologisch aktiven Flächen“, heißt es in dem Offenen Brief. „Je länger es keinen strategischen Umsetzungsplan gibt, desto schwieriger und unwahrscheinlicher wird die Erreichung der dargestellten und anzustrebenden Ziele und desto notwendiger werden Nahrungsimporte und Umbrüche in der heimischen Landwirtschaft.“

Böden als CO2-Speicher

Denn genügend intakte Böden seien nicht nur als CO2-Speicher wichtig - laut Renate Christ, der ehemaligen Leiterin des IPCC-Sekretariats, werden derzeit 29 Prozent der globalen CO2-Emissionen von Böden gebunden -, sondern sind auch für die Nahrungsmittelsicherheit entscheidend. Gerzabek ortet für die Zukunft einen „doppelten Zielkonflikt“. Einerseits würden künftig große Flächen für die Erzeugung erneuerbarer Energie benötigt, andererseits brauche Österreich „schon längst jede fruchtbare Fläche“, da durch den Klimawandel die Ertragsfähigkeit bei Pflanzen wie Winterweizen oder Körnermais abnehme. Es gäbe aber auch Länder, die vom Klimawandel etwa durch das Auftauen der Permafrostböden profitieren werden: „China und Russland werden die Großmächte der Agrarwirtschaft werden. Was das politisch bedeutet, muss sich jeder selbst überlegen.“ Der Umgang mit der endlichen Ressource Boden sei in Österreich jedoch weiterhin nahezu fahrlässig, so der Tenor der Wissenschafter.

Bodenversiegelung
In Österreich wird noch zu sorglos mit der endlichen Ressource Boden umgegangen.
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