Sigmund Freud

„Der Mensch ist nicht Herr seiner selbst!"

Sigmund Freud gilt als Vater einer bahnbrechenden intellektuellen Idee des 20. Jahrhunderts  – der Psychoanalyse.  Im Wien des Fin de Siecle war das eine neue und höchst umstrittene Methode, das Unbewusste, die „Nachtseite“ des Menschen, zu erforschen. Die Ärztekammer beherbergt aktuell ein Exponat aus dem Freud Museum  –  die weltberühmte Wohnung in der Berggasse 19 wird gerade renoviert.

Eva Kaiserseder

„…I discovered some important new facts about the unconscious in psychic life, the role of instinctous urges and so on. Out of these findings grew a new science psychoanalysis, a part of psychology, and a new matter of treatment of the neuroses.”

So lapidar beschreibt Sigmund Freud ein Jahr vor seinem Tod in einem BBC-Interview, übrigens der einzig bekannten Tonaufnahme, seine bahnbrechenden Entdeckungen rund um die menschliche Psyche. Der Wiener wurde am 6. Mai 1856 in Mähren geboren und wird gerne als „Vater der Psychoanalyse” tituliert. Zeit seines Lebens war er enormen Anfeindungen ausgesetzt, was seine Arbeit betraf. Ging es bei seinem Lebenswerk doch (auch) zu großen Teilen um Tabus wie Sexualität und versteckte Triebe. Um das bis dahin wenig thematisierte Unbewusste, also den Bereich unserer Psyche, der dem Menschen verstandesmäßig nicht zugänglich ist. Bei der Erforschung dieser marginalisierten Bereiche stieß der Nervenarzt Sigmund Freud nicht eben auf begeisterten Applaus, um es euphemistisch zu sagen. Schon gar nicht beim wohlsituierten Bürgertum, seiner Klientel. Gerne wird übrigens gesagt, dass Freud die Psychoanalyse nicht erfunden, sondern gefunden hat, weil Themen wie verdrängte Sexualität im Wiener Fin de Siecle ohnehin in der Luft lagen.

Anno 2019 sieht die Lage etwas anders aus. Freuds Thesen und Ideen sind längst Allgemeingut geworden, Freud selbst zu einer Art Popstar der Seelenmedizin avanciert. Das Bild des Zigarre rauchenden, weißhaarigen Bartträgers symbolisiert des Wien der Jahrhundertwende aufs Trefflichste, lange Zeit zierte sein Konterfei auch den 50-Schilling-Schein. Im kommenden Jahr will der Streaminganbieter Netflix seinem Publikum sogar eine Serie über den jungen Freud kredenzen – die erste Netflix-Serie mit österreichischen Wurzeln übrigens. Regisseur Marvin Kren skizziert die Serie als „filmische, düstere Reise ins Unbewusste.“

Freud und Schnitzler in der Ärztekammer: Die  „Doppelgängerscheu“

Arthur Schnitzler und Sigmund Freud. Zwei Männer und zwei Mediziner, die sich in denselben Gesellschaftsschichten bewegten, zur selben Zeit und das auch noch in derselben Stadt. Verdrängte Lust, Traumdeutung als Schlüssel zum Unbewussten und das Tabu Sexualität: Diese Themen beschäftigten beide stark. Den einen als Mediziner, den anderen als Literaten. Umso interessanter also, dass es zwischen den beiden Männern nur losen, oberflächlichen Kontakt gab.

Eine Erklärung dafür hat Freud selbst in einem Brief aus 1922 anlässlich Schnitzlers 60. Geburtstag versucht. Darin spricht er sehr offen von einer „Art Doppelgängerscheu.“ Und weiter, „Ihr Ergriffensein von den Wahrheiten des Unbewußten, von der Triebnatur des Menschen, Ihre Zersetzung der kulturell-konventionellen Sicherheiten, das Haften Ihrer Gedanken an der Polarität von Lieben und Sterben, das alles berührte mich mit einer unheimlichen Vertrautheit.“ so Freud. Er gesteht Schnitzler eine Art von Intuition zu, mit der dieser „alles das wisse, was ich in mühseliger Arbeit an anderen Menschen aufgedeckt habe.“

Die Ärztekammer beherbergt passend zu dieser Beziehung temporär ein extravagantes Ausstellungsstück aus dem Freud-Museum, die Wohnung in der Berggasse 19 wird nämlich aktuell renoviert. Und zwar einen zweckentfremdeten Biedermeierkasten, der Briefe, Dokumente und Fotografien enthält. Was es damit auf sich hat? „Parallelaktionen“ heißt die Ausstellung, die sich den Beziehungen von Freuds Werk und Person mit vier ausgewählten Zeitgenossen (Kraus, Salten, Von Hoffmansthal und Schnitzler) widmet. Der Schnitzler-Kasten steht noch bis Ende der Renovierungsdauer des Museums (voraussichtlich bis 2020), im Veranstaltungszentrum der Ärztekammer (Erster Stock, Weihburggasse 10-12, 1010 Wien) und kann dort zu den Öffnungszeiten der Kammer besichtigt werden.

Nota bene: Im Falle von Sitzungen ist das Exponat nicht zu besichtigen, wir empfehlen daher vorher einen Anruf im Veranstaltungszentrum unter: 0043-1-515 010-1004.

Die Öffnungszeiten der Ärztekammer:

Montag bis Mittwoch: 08.00 - 16.00 Uhr
Donnerstag: 08.00 - 18.00 Uhr
Freitag: 08.00 - 14.00 Uhr

Die Sprechtherapie

Apropos Reise ins Unbewusste: Müsste man Freuds Lehren auf einen einzigen Satz komprimieren, wäre wohl folgende Aussage ein heißer Kandidat dafür: „Der Mensch ist nicht Herr seiner Selbst.“

Was diesem Satz, der Freuds Ideen so komprimiert zusammenfasst, vorausging, war unter anderem seine Beschäftigung mit der Hysterie. Der „Fall der Anna O.“ gilt als einer der bekanntesten Fälle der Medizingeschichte. Die Fallgeschichte und deren Publikation gemeinsam mit dem „Hysteriespezialisten“ Josef Breuer (Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene, 1893) werden gerne als Geburtsstunde der Psychoanalyse bezeichnet. Gemutmaßt wurde später, dass die Frau an einer multiplen Persönlichkeitsstörung litt, die damalige Diagnose lautete aber Hysterie. Eine Definition des deutschen Neurologen Paul Julius Möbius bezeichnet als Hysterie „alle diejenigen krankhaften Erscheinungen, die durch Vorstellungen verursacht sind.“ Ein äußerst vages Krankheitsbild also. Heute würde man wohl „dissoziative Störung“ oder ähnliches dazu sagen.

Dazu erwähnen muss man einen anderer Meilenstein in Freuds Anfängen als „Seelenforscher“: Seinen Studienaufenthalt bei Jean Martin Charcot Mitte der 1880er Jahre. Der Neurologe galt als Aushängeschild an der Psychiatrischen Klinik Salpetriere in Paris, eine der bekanntesten „Nervenkliniken“ Europas. Er forschte ebenfalls rund um die Hysterie, damals galt sie als eine recht neu als Krankheit definierte neurologische Störung. Charcot galt als Pionier in der Arbeit mit Hypnose, um den anatomischen Ursachen der Hysterie auf die Spur zu kommen. Heute ist er nicht unumstritten, dennoch war er seiner Zeit sicherlich weit voraus. Freud jedenfalls durfte ihn während eines Studienaufenthalts aus nächster Nähe beobachten, war sein Schüler und übersetzte dessen Buch über Hysterie ins Deutsche.

Zurück zu „Anna O.“: Breuer und Freud versuchten also, die „hysterischen Zustände“ der jungen Bertha Pappenheim, so ihr richtiger Name, zu heilen. Und zwar mit Hypnose. Bald entdeckten die beiden Ärzte aber, dass Bertha vor allem das Sprechen über ihre Probleme und Ängste half, was als einer der erste Schritte in Richtung Psychoanalyse gilt.

Eine von Freuds revolutionären Leistung in diesem Zusammenhang war: Er legte bei seiner Behandlung seelischer Erkrankungen den Schwerpunkt nicht auf die Beseitigung organischer Ursachen. Vielmehr wollte er verdrängte und vergessene Motive, vorrangig aus der Kindheit, aufspüren, die die aktuelle seelische Verfassung eines Menschen seiner Meinung nach bestimmten und diese aufarbeiten. Das war neu.

Das Drei-Instanzen-Modell

Als wichtigste Werke Freuds gelten weiterhin die 1899 erschienene „Traumdeutung“ oder „Das ich und das Es“ aus 1923. Träume waren für Freud der Schlüssel zum Unbewussten, mit seiner Methode analysierte er die Träume seiner Patienten und deren Assoziationen dazu. Später folgte Freuds berühmtest Drei-Instanzen-Modell, laut dem sich das menschliche Seelenleben auf drei Ebenen abspielt, nämlich dem Es, Ich und dem Über-Ich.

Das Es zeichnet sich durch angeborenen Instinkte und diverse menschliche Triebe aus, „die Macht des Es drückt die eigentliche Lebensabsicht des Einzelwesens aus. Sie besteht darin, seine mitgebrachten Bedürfnisse zu befriedigen“ so Freud. Das Über-Ich ist der moralische Teil der Persönlichkeit, der u.a. durch gesellschaftliche Wertvorstellungen und Normen geprägt wird. Und dazwischen steht das Ich, als Vermittler sozusagen. Das Ich händelt die Realität, hält das Es in Schach und strebt nach dem ständigen Kompromiss zwischen den beiden anderen Extremen  – um es äußert kurz gefasst zu sagen. Freud nannte die „Umleitung“ von sozial nicht akzeptierten Trieben, die aus dem Es stammen, in Bereiche, die aus dem Über-Ich stammen, Sublimierung. Verdrängte Gefühle und Vorstellungen aus dem Es schreibt Freud damit dem Über-Ich zu.

Was Freud jedenfalls so unglaublich radikal für die damalige Zeit machte, skizziert der Sozialpsychologe Harald Welzer wie folgt:„Ernst genommen, bedeutet das (die Psychoanalyse, Anm. d. Red.) nochmals eine gewaltige Kränkung des Ichs und die Abkehr vom idealistischen Selbstbild der Moderne. Das Ich ist nicht nur nicht Herr im eigenen Haus, wie Freud gesagt hat, sondern es gibt dieses eigene Haus gar nicht.“

Interessanterweise ist Freud aber trotz aller psycholgischen Finessen jemand gewesen, der sehr naturwissenschaftlich gedacht hat. So hat er etwa Psyche und Gehirnaktivität miteinander verquickt; die Psyche sozusagen als einen Teil des Gehirns betrachtet, der ein Eigenleben entwickelt hat. Das Seelische hat er nicht ohne neuronale Vorgänge gedacht. Der Neurowissenschafter und Nobelpreisträger Eric Kandel, selbst sehr versiert in Sachen Psychoanalytik, vertritt gar die Meinung, Freud wäre nach heutigen Maßstäben wohl Neurobiologe geworden. Wir, die Nachgeborenen, wissen es nicht. Als Entzifferer der menschlichen Seele und Begründer einer neuen Denkschule wird er aber unbestritten ein Jahrhundertmediziner bleiben.

Biografische Infos

Sigmund Freud wurde am 6.Mai 1956 in Freiberg/Mähren geboren, das damals zum Kaisertum Österreich gehörte. Sein Vater war ein jüdischer Kaufmann, er hatte insgesamt sechs Geschwister. Schon als Sigmund drei Jahre alt war, übersiedelte die Großfamilie nach Wien, wo Freud bis zu seiner Vertreibung durch die Nazis 1938 wohnen sollte. Nachdem er das Gymnasium in der Leopoldstadt abgeschlossen hatte, inskribierter er sich für das Medizinstudium, das er 1881 abschloß. Der Neurologie galt sein vorrangiges Interesse und 1885 wurde er Dozent für Neuropathologie. Mit seiner Frau Martha (Mädchenname Bernays) bekam er sechs Kinder, zwei Töchter und vier Söhne. Anna Freud wurde selbst Psychoanalytikerin. Seit 1891 wohnte die Familie an der Adresse Berggasse 19 und das für insgesamt 47 Jahre. Im Vorgängerhaus an derselben Stelle ordinierte übrigens auch der Gründer der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, Viktor Adler, als Armenarzt.

Freud arbeitet jedenfalls in der Berggasse als praktischer Arzt, veröffentlichte daneben aber viele neurologische Arbeiten und wurde 1902 außerordentlicher Professor sowie 1919 ordentlicher Titularprofessor der Universität Wien. Die legendäre „Psychologische Mittwoch-Gesellschaft“, aus der später die Wiener Psychoanalytische Vereinigung entstand, wurde 1902 gegründet. Zu den Gründern zählten u.a. Max Kahane und Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie. Mit dem Sekretär der Gruppe, Otto Rank, überwarf sich Freud, ebenso wie mit C. G. Jung einige Jahre später. Jung war allerdings nicht Mitglied der „Mittwochsrunde“. Später gründete er eine eigene psychoanalytische Denkschule.

In den 20er Jahren erschienen schließlich einige der Hauptwerke Freuds neben der 1899 publizierten „Traumdeutung“, dazu zählen etwa „Das Ich und das Es“ (1923) oder „Jenseits des Lustprinzips“ (1920).

1933 schließlich, mit Beginn der Hitlerdiktatur, fielen Freuds Werke der Bücherverbrennung anheim und wurden verboten. 1938, bei Österreichs „Anschluß“ an das Deutsche Reich, war Freud noch vorsichtig optimistisch und dachte, er könne trotz des wachsenden radikalen Antisemitismus in Wien bleiben. Nach einem Gestapoverhör seiner Tochter Anna wurde ihm allerdings der Ernst der Lage mehr und mehr bewusst. Im Juni 1938 floh die Familie via Paris nach London. Dort lebte Freud bis zu seinem Krebstod 1939 in einem Haus im Stadtteil Hampstead, wo sich heute ein Museum befindet (20 Maresfield Gardens). Freud wurde 83 Jahre alt.

 

Weitere Infos:

Freud Museum Wien

Freud Museum London

Wiener Psychoanalytische Vereinigung

Buchneuerscheinung „Freuds Dinge“ von Lothar Müller, Die Andere Bibliothek, 2019

 

 

 

Sigmund Freud
Das ikonisch gewordene Porträt Sigmund Freuds von Max Halberstadt. Es wurde 1921 aufgenommen. Halberstadt war Porträtfotograf und mit Freuds jung verstorbener Tochter Sophie verheiratet.
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Schnitzler Kasten Freud Museum
Der Biedermeierkasten ist eine Leihgabe des Wiener Freud Museums und kann aktuell in der Ärztekammer besichtigt werden. Er beherbergt Dokumente, die die Parallelen in Sigmund Freuds und Arthur Schnitzlers Werk beleuchten.
Claudia_Tschabuschnig
„So habe ich den Eindruck gewonnen, daß Sie durch Intuition - eigentlich aber in Folge feiner Selbstwahrnehmung - alles das wissen, was ich in mühseliger Arbeit an anderen Menschen aufgedeckt habe. " Sigmund Freud an Arthur Schnitzler (1922)
Drei-Instanzen-Modell
Das so genannte Strukturmodell der Psyche (Drei-Instanzen-Modell). Freud hatte auch ein etwas älteres topisches Modell der Seele entworfen, das in "Unbewusst, vorbewusst und bewusst" einteilte.
Rainer Zenz
Sigmund Freud 1905
Sigmund Freud, hier als 49jähriger, kam bereits als Dreijähriger nach Wien und blieb der Stadt und ihren Bewohnern in leidenschaftlicher Hassliebe verbunden. 1938 floh er vor den Nazis nach London.
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