Interview

Fortschritt in der Augenheilkunde „ein richtiger Galopp”

Oliver Findl zählt zu Österreichs Experten für die Behandlung des Grauen Star. Im Bezug auf die steigende Zahl von Kurzsichtigkeit mahnt der Augenchirurg die Politik, bereits in den Schulen gegenzuwirken.

Claudia Tschabuschnig
Findl
Oliver Findl, Vorstand der Augenabteilung des Hanusch-Krankenhauses, gilt als Experte für Augenheilkunde.
Claudia Tschabuschnig
„Da muss sich der Stadtschulrat, eigentlich im Endeffekt das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Gedanken machen, wie man diesen neuen Erkenntnissen Rechnung tragen kann.“

medinlive: Sie sind Facharzt für Augenheilkunde und gelten als Spezialist für Kataraktoperationen. Welche Entwicklungen gibt es in der Behandlung des Grauen Star?

Findl: In diesem Bereich bewegt sich einiges. Eine der größten Herausforderungen ist die gesteigerte Erwartungshaltung der Patienten. Viele gehen etwa davon aus, dass die Operation sicher ist, dabei ist natürlich jeder Eingriff mit Risiken behaftet. Ein bestimmender Faktor ist, ob der Patient nach der Operation zufrieden ist oder wie gut er in die Ferne ohne Brille scharf sehen kann. Früher haben wir die Augen vor der Operation mit Ultraschall vermessen, wodurch es eine ziemliche Streuung gab. Da gab es viele Patienten, die auch für die Ferne wieder eine Brille brauchten. Durch die optische Biometrie hat sich das deutlich verbessert. Wir können nun die Augen mit einem Laser vermessen, was eine hoch präzise Methode darstellt.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient nach der Operation knapp an null Dioptrie liegt und keine Brille für die Ferne braucht, ist jetzt viel höher. Diese Technologie wurde in den frühen 1990er Jahren in Wien entwickelt – ein Siegeszug, der durch die ganze Welt gegangen ist.
Dann haben wir Patienten, die auch ihre Brille für die Nähe loswerden wollen. Das können wir mit sogenannten Multifokallinsen lösen, diese haben einen speziellen Schliff mit mehreren Brennpunkten. Mit dieser Linse braucht ein Großteil – fast 90 Prozent – der Träger keine Brille mehr. Nur ist das Tragen der Linsen mit Nebenwirkungen verbunden: Das Konstrastsehen ist nicht optimal, die Patienten sehen um Lichtquellen Lichtkreise – auch Halos genannt – und das Blendungsempfinden ist stärker. Hier können EDOF-Linsen (Extended Depth of Focus, Anm.) helfen, die nur wenige Nebenwirkungen hervorrufen. Der Träger braucht zwar eine Lesebrille, aber nicht so oft wie bei Standardlinsen. Auch Astigmatismus (Stab­sichtigkeit oder Hornhaut­verkrümmung, Anm.) kann korrigiert werden. Hierfür verwenden wir seit vielen Jahren torische Linsen.

medinlive: Wie sehen sie den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Augenmedizin?

Findl: Wo uns Künstliche Intelligenz sicherlich helfen und unterstützen wird, ist im Bereich der Diagnostik. Den Einsatz von Algorithmen in diesem Bereich hatte eine kürzlich publizierte große Studie aus England von der Firma „Deep Mind” und dem Moorfields Eye Hospital London zum Thema. Dabei wurde gezeigt, dass Algorithmen aus optischen Schnittbildern, die wir etwa von der Netzhaut machen, fast automatisiert Diagnosen erstellen können. Dieser Algorithmus kann aus den Bildern der Patientenaugen lernen und eine Diagnose stellen, die mit der Beurteilung von Experten übereinstimmt – im Grunde sogar besser ist. Das ist natürlich etwas, dass auch ein wenig Unruhe stiftet, denn da stellt man sich natürlich die Frage, was werden wir Ärzte in zehn, 20 Jahren noch machen? Das ist unklar, aber ich seh’s positiv, denn Künstliche Intelligenz unterstützt uns, noch bessere Diagnosen zu machen.
Woran derzeit weltweit auch mit Künstlicher Intelligenz gearbeitet wird, ist die Analyse von Patientengeschichten, die über einen längeren Zeitraum verfolgt werden. Ziel ist es, genauer zu sehen, wer gut oder schlecht auf eine Therapie anspricht. Die Hoffnung ist, dass man dann schon von Anfang an vorhersehen kann, welche Behandlung für einen Patienten sinnvoll ist. Das können wir derzeit aus der Datenmasse schwer herauslesen. Hier sehe ich einen klaren Vorteil von Künstlicher Intelligenz.

medinlive: Gibt es auch rechtliche oder datenschutzrechtliche Bedenken beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz?

Findl: Natürlich ist Datenschutz auch ein Thema, wenige Anwender haben die Datensätze im eigenen Haus. Eine weitere Herausforderung und Thema, das Juristen beschäftigen wird, ist die Haftung. Wer übernimmt die Verantwortung, wenn das KI-System die falsche Diagnose gestellt hat? Im Endeffekt muss die Ärztin oder der Arzt den Kopf hinhalten. Daher kann es nur ein unterstützendes System bleiben, denn die Technologiefirmen werden die Verantwortung nie übernehmen. Natürlich ist die Angst, dass man durch solche Technologien ersetzt werden könnte, nicht von der Hand zu weisen. Meiner Ansicht nach, wird es trotzdem Ärztinnen und Ärzte brauchen, weil Patienten einen direkten Ansprechpartner und Empathie erfahren wollen.

medinlive: Ein Thema am 8. Wiener Augentag, der Mitte Oktober in Wien stattfand, war die Gentherapie. Welche Fortschritte wurden in diesem Bereich gemacht?

Findl: Die Augenheilkunde ist das erste Fach, in dem eine Gentherapie zugelassen wurde. Das geschah vor mehreren Monaten von der FDA (amerikanischen Arzneimittelagentur, Anm.) und jetzt auch von der EMA (Europäischen Arzneimittelagentur, Anm.). Dabei dreht sich alles um ein mit Adenoviren implantiertes Gen namens RPE65, das bei seltenen hereditären Netzhauterkrankungen fehlt. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene wurden in den USA mit diesem Verfahren behandelt. Dabei wurde in einer Operation der Glaskörper des Auges entfernt und diese Adenoviren unter die Netzhaut gespritzt. Diese dringen dann in die Fotorezeptoren ein und das Gen wird dort abgeladen. Diese Behandlung scheint für zwei Jahre wirksam zu sein.
Die Therapie ist aber sehr teuer: Die Kosten liegen bei etwa 850.000 Dollar für ein Auge für eine einmalige Therapie. Es ist eine budgetäre Herausforderung. Zudem drängen sich hier auch ethische Fragen auf. Zwar greifen wir nur in einen Teil der Netzhaut ein, aber wir applizieren Gene. Ein Eingriff, der für manche sicher diskussionswürdig ist. Man wird sicher noch Langzeitergebnisse abwarten müssen, um zu sehen, ob ein dauerhafter Effekt entsteht. Und man sollte über das Nutzen-Risiko-Verhältnis nachdenken, denn auch diese Operation birgt Risiken. Auch in der Studie, die in den USA durchgeführt wurde, gab es Patienten, bei denen es Komplikationen beim operativen Eingriff gegeben hat und die im Endeffekt schlechter gesehen haben. Man muss das abwiegen, aber trotzdem sind diese Entwicklungen schon recht aufregend.

medinlive: Wie kann man der steigenden Fällen der Kurzsichtigkeit begegnen?

Findl: Kurzsichtigkeit ist ein großes Thema, besonders auch bei Jüngeren. Es gibt mittlerweile einige Therapiemöglichkeiten, die wir kurzsichtigen Kindern oder Jugendlichen anbieten können. Das sind beispielsweise Atropin, Bella Donna oder die Tollkirsche. Studien aus Asien haben gezeigt, dass durch das tägliche Eintropfen einer geringen Dosierung dieser Wirkstoffe die Progression der Myopie (Kurzsichtigkeit, Anm.) deutlich verlangsamt wird. Der Mechanismus dahinter ist noch nicht geklärt, aber das Atropin dürfte einen direkten Effekt auf die Regulation des Augenwachstums haben. Dabei kam es auch kaum zu Nebenwirkungen, die Pupille blieb klein, da die Dosierung, die bei etwa 01, Prozent lag, so gering war. Auch gibt es Linsen, die Kurzsichtigkeit hemmen können. Sie haben einen speziellen Schliff und können das Licht, das seitlich eintritt, scharf abbilden. Wenn dieses periphere Bild unscharf abgebildet wird, ist das ein Wachstumsreiz. Dann wächst das Auge in die Länge und wird kurzsichtig. Diese sogenannten peripher defokus modifizierte Kontaktlinsen sind hemmend und werden auch von den Kassen finanziell unterstützt,

medinlive: Steht die Entwicklung zu mehr Kursichitigkeit in Zusammenhang mit dem steigenden Konsum von digitalen Geräten?

Findl: Die Entwicklung von Kurzsichtigkeit hat weniger mit Bildschirmarbeit als vielmehr mit Naharbeitzu tun. Zudem spielt die Lichtintensität eine Rolle, denn im Innenraum ist diese deutlich geringer, und helleres Licht ist ein hemmender Faktor. In Taiwan zum Beispiel, aber auch in anderen asiatischen Ländern, wo die Kurzsichtigkeit viel stärker ausgeprägt ist als bei uns, gibt es Ideen, dieser Entwicklung entgegenzuwirken: Die Schüler müssen nun zwei Stunden am Tag hinausgehen und haben auch Unterricht im Freien. Durch das Tageslicht kann die Progression der Myopie abnehmen. Statistiken über die Zunahme der Kurzsichtigkeit in den letzten 50 bis 70 Jahren zeigen jedenfalls eine stark steigende Tendenz, auch in Österreich. Ich denke, da wird man sich auch in Österreich Gedanken machen müssen.
Bei der Myopie geht es nicht nur darum, dass man eine Brille oder Kontaktlinse braucht, sondern dass sie später zu Augenerkrankungen führen kann: Netzhautabhebungen, Blutungen in der Netzhautmitte – auch das Glaukom, der Grüne Star, tritt vermehrt auf. Das sind alles schwere Augenerkrankungen, die aus einer Kurzsichtigkeit resultieren können. Da muss sich der Stadtschulrat, eigentlich im Endeffekt das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Gedanken machen, wie man diesen neuen Erkenntnissen Rechnung tragen kann. Auch die Augenärzte sollten in diese Diskussion miteinbezogen werden. Diese Notwendigkeit von Maßnahmen ist meiner Ansicht in Österreich noch nicht am Radar, wird aber auf das Radar kommen und auch müssen. Viele Länder setzen sich schon jetzt stark mit diesem Thema auseinander.

medinlive: Vielfach wird der Zusammenhang von Rauchen und Augenerkrankungen erwähnt. Welchen Effekt hat Rauchen auf die Augengesundheit?

Findl: Rauchen ist klar schädlich für das Auge. Der Graue Star tritt bei Rauchern deutlich früher auf. Auch ist das Rauchen der einzige von sich aus beeinflussbare Risikofaktor für die Makuladegeneration, die häufigste sehbeeinträchtigende Erkrankung, die im Alter in der westlichen Welt Erblindung verursachen kann. Das Rauchen kann auch zu trockenen Augen, im Extremfall zu Hornhautproblemen oder zu Durchblutungsstörungen am Sehnerv führen.

medinlive: Wie wird die Augenheilkunde von der Pharmaindustrie vorangetrieben?

Findl: Augenmedizin wird als Entwicklungsbereich in der Pharmaindustrie gesehen. Die Menschen werden immer älter, natürlich gilt das für viele Bereiche, aber viele Augenerkrankungen treten meist im Alter auf. Man geht davon aus, dass der Augenbereich jener ist, der besonders wachsen wird. Es hat sich viel getan in der Augenheilkunde. Wir können auf eine unglaubliche Entwicklung zurückblicken, ein richtiger Galopp, sowohl im chirurgischen als auch im Pharmabereich. Das wird wahrgenommen und nun gibt es einige, die bisher wenig mit Augenheilkunde zu tun hatten, die nun auch in diesem Bereich gehen wollen. Anderseits denke ich, dass das Thema Augenlicht und Sehfunktion unterbelichtet ist, denn das Auge wird beispielsweise in den QALYs (Studien zur Messung der Lebensqualität) noch schwach abgebildet. Fragt man aber Menschen, die Augenerkrankungen haben, stellt sich heraus, dass das Sehen einen ganz kritischen und wichtigen Teil der Lebensqualität darstellt.

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Prof. Findl leitet auch das VIROS-Institut der Karl-Landsteiner-Gesellschaft, das im Hanusch-Krankenhaus angesiedelt ist.
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„Meiner Ansicht nach, wird es trotzdem Ärztinnen und Ärzte brauchen, weil Patienten einen direkten Ansprechpartner und Empathie erfahren wollen", sagt Findl zum Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Medizin.