Gentherapie bietet neue Chancen für Kinder mit Krebs und seltenen Erkrankungen

Als Wissenschaftler vor 20 Jahren zum ersten Mal das komplette Genom des Menschen entschlüsselten, begann auch eine neue Ära in der Behandlung von Krebs und seltenen Krankheiten. Ärzt:innen wie Gudrun Schleiermacher nutzen Gentherapien, um zum Beispiel krebskranke Kinder zu retten, die auf herkömmliche Behandlungen nicht ansprechen. Gentherapie für Krebs ist seit der Corona-Pandemie durch die Arbeit von Biontech einem breiteren Publikum bekannt geworden.

red/Agenturen

Das Biotechnologie-Unternehmen nutzte 2020 seine Forschung an Krebstherapien für die Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus.

Schleiermacher, die in Paris am Institut Curie, Frankreichs bedeutendstem Krebsforschungszentrum, arbeitet, bespricht sich jede Woche mit spezialisierten Kinderärzt:innen aus ganz Frankreich. Sie analysiert mit ihren Kolleginnen und Kollegen Krebszellen betroffener Kinder mit dem Ziel, auf der Grundlage des exakten genetischen Profils des Krebses die wirksamste Behandlung zu bestimmen. Dieser Ansatz stellt eine Revolution für Kinder dar, die nicht mit klassischen Therapien behandelt werden können, erklärt die aus Heidelberg stammende Wissenschaftlerin.

Dank der Technologien für die zielgerichtete Analyse des Genoms können Spezialisten mittlerweile molekulare Veränderungen von Krebszellen feststellen. So kann jedes kranke Kind die aussichtsreichste Therapie bekommen, auch wenn diese sich noch im Versuchsstadium befindet.

Seit 20 Jahren hat die Medizin in diesem Bereich durch die Genforschung Riesenschritte gemacht. Das Genom jeder Zelle, einschließlich von Krebszellen, kann jetzt entschlüsselt werden. „Ein exponentieller Wissensfortschritt“, sagt Schleiermacher. „Wenn man früher das gesamte Genom analysieren wollte, war das nicht möglich. Mittlerweile haben wir diese Ressource und hocheffiziente Geräte, die uns erlauben, einen Blick auf das Genom insgesamt zu werfen“, betont sie. Dadurch „können wir auch sehen, was sich in den Tumorzellen abspielt“.

Dieser Fortschritt verändert die Krebsbekämpfung grundlegend und trägt dazu bei, den 2.500 Kindern zu helfen, die in Frankreich jedes Jahr an Krebs erkranken. Schleiermacher hat sich auf das Neuroblastom spezialisiert, eine Krebserkrankung des Nervensystems, die laut Deutscher Krebsgesellschaft (DKG) meist Kleinkinder bis zum sechsten Lebensjahr betrifft.

Das Neuroblastom ist laut DKG in Deutschland nach der akuten lymphatischen Leukämie der zweithäufigste Krebs im Kindesalter. Rund 150 neue Fälle werden sowohl in Deutschland als auch in Frankreich jedes Jahr diagnostiziert.

Durch die Genforschung kann festgestellt werden, ob Kinder eine Mutation eines Gens namens ALK haben. Die Betroffenen können dann gezielt behandelt werden. Ein neues Medikament wird derzeit am Institut Curie klinisch getestet und „die vorläufigen Ergebnisse sind sehr positiv“, sagt Schleiermacher. „Es bedeutet eine echte Hoffnung.“

Insgesamt hat die Genforschung bereits zur Entwicklung von mehr als einhundert Therapien geführt, die auf Mutationen von Krebszellen abzielen, erklärt Pascal Pujol, Chef der Onkogenetik des Universititätsklinikums von Montpellier. „Genetische Information zu haben, eröffnet uns Möglichkeiten, zum Beispiel Prognosen über die Entwicklung von Pathologien abgeben zu können.“

Neben der Krebsbehandlung können Gentherapien auch für seltene Krankheiten eingesetzt werden. Ein Zusammenschluss aus drei französischen Forschungsinstituten etwa arbeitet an einer Therapie für die Septische Granulomatose, auch Chronische Granulomatose genannt, einer seltenen Erbkrankheit des Immunsystems, die hartnäckige Infektionen verschiedener Organe auslöst.

Die Forscher haben neue Verfahren angewandt, die es ihnen erlauben, Hunderte von individuellen Zellen zu analysieren, erklärt Emmanuelle Six, die beim Inserm für das Projekt zuständig ist. So konnten bei Patient:innen mit dieser Erkrankung 51 Biomarker nachgewiesen werden, die es ermöglichen, den Erfolg oder Misserfolg einer Behandlung vorauszusagen.

Eins von 200.000 bis 250.000 Neugeborenen leidet an Septischer Granulomatose. In Deutschland gibt es etwa 150 Patient:innen. Gerade für die Betroffenen solch seltener Erkrankungen bergen die Fortschritte in der Genforschung Hoffnung.