Interview

„Wir sind nicht so gut aufgestellt wie manche glauben!“

Franz Allerberger, Humanmediziner und Leiter des Bereichs „Öffentliche Gesundheit“ bei der AGES, im Gespräch über den problematischen Antibiotikaverbrauch im Humansektor, das zoonotische Geschehen in Österreich und ein Gesetz, das längst ein Update brauchen würde.

Eva Kaiserseder
Franz Allerberger AGES
Franz Allerberger sieht einerseits die Entwicklung in Sachen Zoonosenbekämpfung als Erfolgsgeschichte, verortet aber im Humanbereich bei der Dokumentation des Antibiotikaverbrauchs noch Luft nach oben.
Foto Nitsche

Medinlive: Das West Nil Virus ist aktuell medial recht präsent. Wie sieht es hier österreichweit bzw. in den Nachbarstaaten aus?

Allerberger: Dazu muss ich ein wenig ausholen und den Hintergrund erläutern. 2011 wurde in Österreich ein Stechmücken-Surveillancesystem etabliert, das übrigens auch auf der AGES Site nachzuverfolgen ist. Die Stechmücken sind ja Überträger des Virus. Ganz akzeptiert war dessen Notwendigkeit damals nicht, aber es gab Vorgaben seitens des Blutspendewesens, entweder dieses Monitoring einzuführen oder jede einzelne Blutspende auf West Nil Virus zu untersuchen. Also wurde das mittlerweile gut funktionierende Surveillancesystem etabliert. 2008 war der erste Falke von diesem Virus betroffen gewesen, denn so wie Habichte sind diese Tiere dafür recht anfällig. Für uns Mediziner war das damals ein interessanter Fall, auch im Hinblick darauf, dass ein gut abgerichteter Falke ja einen hohen Wert hat und die Züchter natürlich wissen wollen, warum da ihre teuren Tiere tot vom Himmel fallen. Das war wie gesagt 2008. Heuer haben wir bisher insgesamt vier infizierte Vögel gehabt, alle im Raum Wien bzw. Niederösterreich. Drei davon waren Falken bzw. Habichte und einer der Vögel war eine Krähe. Außerdem waren drei Pferde betroffen, wovon zwei Tiere an der Krankheit gestorben sind. Prinzipiell erkranken neben Vögeln, die natürliche Reservoirträger sind, eigentlich nur zwei Spezies, eben Pferde und Menschen. Für heuer ist die Stechmückensaison vorbei, die meisten Fälle traten im August auf. Und von Juni bis Oktober wird verlangt, die Blutkonserven zu testen. Von den Nachbarländern Ungarn, Italien, Slowenien und der Tschechischen Republik sind alle vom Virus betroffen.

Medinlive: Stichwort Zoonosen: Welche neuen Erreger gibt es, die den Humanmediziner interessieren sollten?

Allerberger: Man muss bei Zoonosen immer aufpassen, von was man spricht, denn streng genommen sind ja 60 bis 70 Prozent unserer menschlichen Infektionskrankheiten Zoonosen. Selbst HIV stammt ja bekanntlich ursprünglich von Primaten. Im landläufigen Sinne sprechen wir aber, wenn wir von Zoonosen reden, von Krankheiten, die bei Mensch und Tier vorkommen und zwischen beiden übertragen werden können. Unter neuen Erregern ist zu verstehen, dass sie bei uns erstmalig auftreten. Aktuell gibt es zum Beispiel eine Publikation von Georg Duscher, der an der VetMedUni Wien forscht, und zwar geht es dabei um die bei uns neu entdeckte Zeckenart Hyalomma marginatum. Die deutschen Kollegen haben hier vor einigen Monaten medial schon gewarnt. Diese Zecke ist jedenfalls für uns interessant, weil sie der Überträger des Krim Kongo Fiebers sowie des arabisch hämorrhagischen Fieber ist. Krim Kongo Fieber ist zB. in Bulgarien schon seit Jahrzehnten bekannt, heuer gab es erstmals bekannte Fälle in Spanien und Frankreich.  Das nehmen wir natürlich ernst in Hinblick auf das zoonotische Risiko, weil damit zu rechnen ist, dass diese Krankheit auch bei uns eingeschleppt wird. Und es ist ein Signal, dass sich Zoonosen permanent verändern. Die Zecke, die wir an einem Pferd gefunden haben, wurde allerdings negativ auf Krim Kongo Fieber getestet, aber in dieser Zecke wurde Rickettsia aeschlimannii gefunden, ein humanpathogenes Bakterium, das zuvor in Österreich noch nie nachgewiesen wurde.

Medinlive: Wie hat sich das zoonotische Geschehen in Österreich verändert in den letzten Jahrzehnten?

Allerberger: Dazu kann ich nur sagen, panta rhei, alles ist im Fluß. Das gilt ebenso für die Zoonosen. Heuer haben wir ein wichtiges Jubiläum, Österreich ist nämlich seit zehn Jahren frei von terrestrischer Tollwut. Das bedeutet, von am Boden lebenden Tieren wird keine Tollwut mehr übertragen. Wir gehen EU-weit von diesem Zustand aus. Grenzgebiete zu Weißrußland oder der Ukraine, wo Tollwut nach wie vor ein riesiges Problem ist, sind natürlich Ausnahmen, denn so ein Fuchs kann schon einmal 30 Kilometer wandern.   

Um jetzt zur Aktualität des Themas zu kommen: Es ist absehbar und fix, dass wir Tollwutviren in einer Fledermaus finden werden, nicht absehbar ist allerdings ob das in ein paar Wochen oder Jahren passieren wird. In den Nachbarländern wurde Tollwut in Fledermäusen schon nachgewiesen. Es gab zwar noch nie eine Tollwuterkrankung durch einen Fledermausbiss in Österreich, aber wir haben Sorge, dass die Bevölkerung in diesem Fall überreagieren könnte, wenn wir das Virus erstmalig bei Fledermäusen nachweisen werden.

Medinlive: Warum sind ausgerechnet Fledermäuse so prädisponiert?

Allerberger: Ich würde sagen, das ist eine Laune der Natur. Ein großer Teil uns bekannter Viren ist in Fledermäusen enthalten, auch viele, die wir noch nicht kennen. Ebola z.B. wird ja auch durch Fledermäuse übertragen. Fledermäuse sind ein wichtiges Reservoir für virale Erkrankungen.

Medinlive: Wie sieht denn die gesetzliche Lage zu Zoonosen aus?

Allerberger: Das diesbezügliche Epidemiegesetz stammt aus dem Jahr 1950 und soll künftig neugestaltet werden. Es war auch nicht in der Lage, lebensmittelbedingte Krankheitsausbrüche zufriedenstellend abzudecken. Deshalb wurde 2005 ein Zoonosengesetz erstellt, mit dem wir gut leben können. Der Unterschied zum Epidemiegesetz liegt darin, dass bei diesem bei der Ausbruchsbekämpfung die jeweilige Bezirksbehörde zuständig ist. Wir haben insgesamt 94 davon. Dass sich diese im Ernstfall alle rechtzeitig einigen, hat nicht funktioniert. Beim viel jüngeren Zoonosengesetz wurde nun festgelegt, dass der Landeshauptmann zuständig ist, wenn mehr als ein Bezirk betroffen ist. Was in der Regel zutrifft. Wenn mehr als ein Bundesland betroffen ist, entscheidet der Gesundheitsminister, wer die weiteren Maßnahmen trifft. Das hat sich bewährt. Der letzte Lebensmittelausbruch zeigt, wie gut das funktioniert, so gab es etwa heuer beim Listerien-kontaminierten Tiefkühl-Mais nur zwei Erkrankte statt potentiellen 200. Dieses Gesetz ist also durchaus eine Erfolgsgeschichte.

Medinlive: Was haben Humanmediziner rund um die Zoonosen besonders zu beachten?

Allerberger: Der niedergelassene Arzt und auch der Spitalsarzt bekommt leider nie einen Dank dafür, dass er bei diesem so wichtigen Thema die Hauptarbeitet leistet. Denn für den Patienten ist es unerheblich, ob er einen Norovirus oder Campylobacter hat, der Praktiker aber, der so umsichtig ist, eine solide Diagnose erstellt und eine Probe einschickt- durch dessen Arbeit bemerken wir Häufungen und können Trends verorten.  Die Tatsache etwa, dass Salmonellosen in den letzten zehn Jahren um 80 Prozent reduziert werden konnten, beruht auf der hervorragenden Zusammenarbeit mit dem niedergelassenen Sektor. So haben wir die eibedingte Häufung entdeckt, denn früher waren Eier salmonellentechnisch kein Problem, aber die heutigen Hochleistungshybridrassen sind anfälliger. Durch diesen Nachweis wurde schlussendlich die Impfung für Legehennen eingeführt. Auf der anderen Seite gibt es Campylobacteriosen, wogegen de facto nichts unternommen wurde. Hier steigen die Zahlen laufend. Allerdings ist das Thema seit 1.1. 2018 im Visier der EU. Es gibt eine EU-weite neue Vorgabe für Geflügelfleisch, schließlich gehen wir davon aus, dass die Hälfte der Campylobactererkrankungen von Geflügelfleisch stammen. Die neue Vorgabe besagt, dass keine 1000 Campylobacterkeime mehr pro Gramm Schlachtkörper erlaubt sind, sondern dass die Keim-Belastungen von Hühnerschlachtkörpern darunterliegen müssen. Schafft der Geflügelproduzent das nicht, muss er nachweisbare Maßnahmen setzen, etwa die Besatzdichte beim Geflügelhof reduzieren.  Allerdings hat die industrielle Geflügelproduktion auch mit geringerer Besatzdichte ein Problem, denn das Entfedern der Karkassen kann man sich wie eine Autowaschanlage vorstellen, wo das Huhn durchmuss. Und da wird die Anlage nicht nach jedem Huhn desinfiziert. Grundsätzlich ist der einfachste Weg, die Herdengröße zu reduzieren. Selbstverständlich geht das nur eingeschränkt, wenn der Konsument weiter sein Drei Euro Hendl verlangt. Dazu braucht es eine Bewusstseinsänderung. Ich glaube aber trotzdem, dass eine Halbierung von Campylobacteriosen in den nächsten fünf Jahren realistisch ist: 7201 Campylobacter-Fälle gab es 2017 in Österreich und das sind nur diejenigen, wo es Patienten-Namen und Bakterien-Isolate gibt! Die Dunkelziffer ist jedenfalls deutlich höher. Warum wir Campylobacteriosen unter anderem sehr ernst nehmen, ist das Guillain Barre Syndrom, eine sehr vielgestaltige Autoimmunerkrankung, die mit Campylobacter assoziiert wird.

Medinlive: Welche Zoonosen sind neben Campylobacteriosen am relevantesten?

Allerberger: In Westösterreich gibt es zum Beispiel ein Problem mit Mycobacterium caprae. M. caprae stellt im Prinzip für den Rinderbestand ein Problem dar, Stichwort Rindertuberkulose, denn wenn der Rinderbestand über einem Grenzwert mycobakterienpositiv ist, darf ganz Österreich keine Rinder mehr exportieren. Sie können sich vorstellen, was das für die Betriebe bedeutet. Das Problem mit der Rindertuberkulose rührte daher, dass viele Milchbauern im Winter zusätzlich als Einnahmequelle Rotwild fütterten. Natürlich ist das lukrativ, wenn z.B. Jäger aus dem Ausland kommen, um einen kapitalen Hirsch zu schießen. Ein Hirsch braucht aber an die 50 Hektar Waldbiotop als Revier und wenn die Hirsche dann bei der Winterfütterung auf engstem Raum stehen und mit Kraftfutter versorgt werden und sich gegenseitig mit Tuberkulose anstecken, dann ist das äußerst problematisch. Unter anderem darum, weil die Tuberkulose durch dieselben Almweiden, auf denen unter Tags die Kühe stehen, in die Rinderbestände überschwappt. Und auf einmal hat der Bauer dann Lungentuberkulose. Das ist einer menschlichen Fehlentwicklung geschuldet, denn Hirsche zur Winterfütterung zusammenzupferchen war wirklich kontraproduktiv.

Medinlive: Seit 2014 gibt es die Antibiotika-Mengenstromanalyse für die Veterinärmedizin, wo Tierärzte den Einsatz der Antibiotika genauestens dokumentieren müssen. Wie sieht es diesbezüglich im humanmedizinischen Bereich aus?

Allerberger: Die Veterinäre haben ihre Hausaufgaben gemacht, ihnen ist Hochachtung zu zollen. Natürlich haben sie das nicht gerne gehört, dass sie mitverantwortlich für die Resistenzproblematik gemacht werden, aber schlussendlich sind sie auf diesem Gebiet Vorreiter, sie haben die Mengen deutlich reduziert, etwa im Geflügelsektor.  Und jeder Schweinebauer weiß auf das Kilo genau, wieviel Antibiotika im letzten Jahr eingesetzt worden sind. Bei den Krankenhäusern weiß das vielleicht eines von zehn.  Dabei bieten wir den Krankenhäusern eine kostenlose Erhebung an, es gibt ja auch in den Apotheken ein SAP-System, womit genau eruiert wird, an welche Kostenstelle die Medikamente gehen, etwa an die Innere Medizin, Urologie oder Augenklinik. Das heißt, die Spitäler wissen den Verbrauch und wir bieten ihnen die Umrechnung in Kilogramm Wirksubstanz an. Teilnehmen tun an diesem Programm aber derzeit erst 18 Spitäler von rund 140 österreichweit. Laut Gesamtverbrauch haben im Jahr 2007 die Krankenhäuser 19,7 t an Antibiotika verwendet, 2017 waren es 22 Tonnen. Zum Vergleich: Die Geflügelbauern haben ihren Antibiotikaverbrauch im gleichen Zeitraum um ein Drittel reduziert. Im Humanbereich gibt es also noch viel Spielraum, wobei die Praktiker teilweise schon eine gute Entwicklung hingelegt haben: Da ist der Verbrauch von 47 auf 43 Tonnen hinuntergegangen und hier wird ja am meisten verschrieben. Grundsätzlich gilt: Jeder weiss, dass das Thema von der UNO zum Major Public Health Problem erklärt wurde, aber in der Humanmedizin ist es trotz allem noch nicht so hundertprozentig angekommen. 

Medinlive: Es gibt aber keine Verpflichtung, den Antibiotikaverbrauch anzugeben?

Allerberger: Jein. Es gibt einen Zielsteuerungsvertrag und der Bund hat die Möglichkeit, mit Krankenhausträgern und Ländern Qualitätsfaktoren festzulegen. Zum Beispiel ist bei nosokomialen Infektionen im Zuge von Hüftendoprothesen-OPs und Gallenblasen-OPs die Dokumentationspflicht der Infektionsraten festgelegt worden. Die meisten Krankenhäuser haben diese Antibiotikaverbrauchsdaten derzeit nicht. Jedenfalls sind wir diesbezüglich nicht so gut aufgestellt, wie es hier ohne großen Aufwand möglich wäre.

 

Weiterführende Infos:

West Nil Fieber in Europa

Tollwut

Tuberkulose

Antibiotikavertriebsmengen in der Veterinärmedizin

Resistenzberichte Österreich (AURES)

Antibiotikaresistenz im Krankenhaus

 

 

 

 

WEITERLESEN:
„Der niedergelassene Arzt und auch der Spitalsarzt bekommt leider nie einen Dank dafür, dass er bei diesem so wichtigen Thema, den Zoonosen, die Hauptarbeitet leistet. (...)- durch dessen Arbeit bemerken wir Häufungen und können Trends verorten."